Lindert Cannabis Rheumaschmerz – und soll es der Arzt empfehlen?

Petra Plaum | 19. März 2014

Autoren und Interessenkonflikte

Kiffend den chronischen Schmerz meistern? Bei Menschen mit rheumatischen Erkrankungen funktioniert dies teilweise, bringt aber auch gefährliche Nebenwirkungen mit sich, warnen Wissenschaftler aus Kanada und den USA jetzt in einer Übersichtsarbeit in Arthritis Care & Research [1].

 

Prof. Dr. Christoph Baerwald
 

„Zieht man alle Faktoren in Betracht, sollte derzeit Patienten davon abgeraten werden, Cannabis zur Therapie von rheumatischen Erkrankungen zu nutzen“, schlussfolgern die Autoren um Dr. Mary-Ann Fitzcharles aus der Division of Rheumatology am McGill University Health Center in Quebec.

Diese Warnung unterschreibt auch Prof. Dr. Christoph Baerwald, Leiter der Sektion Rheumatologie am Universitätsklinikum in Leipzig. Der Sprecher des Arbeitskreises „Rheuma und Schmerz" der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie betont gegenüber Medscape Deutschland: „Es gibt zurzeit kaum eine Indikation für Marihuana, und die Qualität des Stoffes variiert stark.“

Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (ACM), Dr. Franjo Grotenhermen, möchte diesem Negativfazit jedoch nicht zustimmen. Der Allgemeinmediziner bemängelt unter anderem einen „massiven Bias“ und die Art, in der die Studienergebnisse interpretiert werden.

 

Dr. Franjo Grotenhermen
 

Einig sind sich Fitzcharles, Grotenhermen und Baerwald jedoch in einem Punkt: Inhaltsstoffe der Hanfpflanze Cannabis sativa können chronisch Kranken helfen. Momentan gibt es 3 verordnungsfähige Medikamente, die zwar unter das Betäubungsmittelgesetz fallen, aber nach Beantragung beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte verschrieben werden dürfen – wenn andere Therapien sich als unzureichend erwiesen haben. Die Kosten von mehreren 100 Euro im Monat trägt der Patient in der Regel selbst.

Positive Studienergebnisse mit drei Substanzen

Das erste ist das Mundspray Nabiximols (Sativex®), das Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD) zu gleichen Anteilen enthält. Die Substanz CBD ist im Hinblick auf rheumatische Erkrankungen vor allem interessant, weil sie nicht nur schmerzlindernd wirkt, wie THC, sondern auch entzündungshemmend. Es richtet sich primär an Multiple-Sklerose-Patienten mit starker Spastik.

 
„Es gibt zurzeit kaum eine Indikation für Marihuana, und die Qualität des Stoffes variiert stark.“
Prof. Dr. Christoph Baerwald
 

Die zweite Substanz ist Dronabinol. Es ist indiziert gegen starke Übelkeit unter Chemotherapie oder gegen Gewichtsverlust bei HIV-Infektion. Dronabinol ist der internationale Freiname für THC, welches aus der Pflanze extrahiert oder teil- bzw. vollsynthetisch hergestellt werden kann. Dronabinol wird entweder importiert (z. B. als Marinol®-Kapseln aus den USA) oder, in Form von öligen Lösungen oder Kapseln, nach Rezept vom Apotheker hergestellt.

Die dritte Substanz, Nabilon, ist ein vollsynthetisches Derivat des Delta-9-Tetrahydrocannabinol, wirkt wie dieses und muss importiert werden (Cesamet®).

Der Review berücksichtigt verschiedene Studien. In einer placebokontrollierten Studie mit 58 Teilnehmern zur Wirkung von Nabiximols bei Rheumatoider Arthritis berichteten die Probanden, dass sich Schmerzen und Schlaf besserten, signifikant stärker als in der Placebogruppe. Als Nebenwirkungen gaben sie Schwindel oder Mundtrockenheit  an [2].

 
„Es gibt keine vernünftige Methode, die Dosis der Wirkstoffe einzuschätzen.“
Dr. Mary-Ann Fitzcharles
 

Eine weitere, placebokontrollierte Studie zu Nabilon mit 40 Teilnehmern, die unter Fibromyalgie litten, ergab ebenfalls eine Abnahme der Schmerzen, eine Abnahme der Fibromyalgie-Symptomatik und weniger Ängste bei jenen, die Nabilon einnahmen. Daten zu Nebenwirkungen wurden hier nicht explizit genannt [3].

Schließlich zeigte eine Vergleichsstudie mit 31 Fibromyalgie-Patienten mit Schlafstörungen, die entweder Nabilon oder das Antidepressivum Amitriptylin bekamen, dass Nabilon sich nicht auf Schmerzempfinden oder auf die Lebensqualität auswirkte, dafür aber den Schlaf der Patienten positiver beeinflusste als Amitriptylin. Auch hier waren die Hauptnebenwirkungen von Nabilon Schwindel und Mundtrockenheit [4].

Nebenwirkungen, aber auch Wirkungen nicht zu unterschätzen

Viele Patienten mit chronischen Schmerzen nutzen jedoch statt der Medikamente mit definierten Inhaltsstoffen das Cannabiskraut selbst – aus legalen oder illegalen Bezugsquellen. In 20 US-Bundesstaaten und Kanada ist der Bezug von Cannabis mit medizinischer Indikation legal, in Deutschland erhalten chronisch Kranke in Einzelfällen ebenfalls die Genehmigung zum Bezug aus der Apotheke.

 
„Aber für viele ist das Verhältnis von erwünschten Wirkungen und Nebenwirkungen mit Cannabis wirklich gut.“
Dr. Franjo Grotenhermen
 

Hier – und erst recht beim illegalen Hanfkonsum – fangen die Probleme für Rheumakranke an, warnen die Wissenschaftler um Fitzcharles. „Die durchschnittliche THC-Konzentration in illegal angebautem Marihuana hat sich in der letzten Dekade weltweit fast verdoppelt“, informieren sie. „Mit einem THC-Gehalt der Pflanzenteile von einem bis 30 Prozent und einer Bioverfügbarkeit, die zwischen zwei und 56 Prozent liegt, gibt es keine vernünftige Methode, die Dosis der Wirkstoffe einzuschätzen.“ Neben der anxiogenen und erregenden Wirkung, die bis zur Psychose gehen kann, kann ein unkontrollierter Marihuanakonsum zudem kardiovaskuläre Ereignisse begünstigen [5].

Grotenhermen ist diese Einschätzung zu negativ. Er betreut in seiner privatärztlichen Praxis viele Menschen mit rheumatischen Erkrankungen und beobachtet etwa bei einer Cannabistherapie, dass sich bei nachlassendem Schmerz auch die Stimmung bessere. „Natürlich ist eine ausführliche Anamnese notwendig und wir wissen, dass der Cannabiskonsum die Wahrscheinlichkeit einer Schizophrenie verdoppelt“, so Grotenhermen. „Aber für viele ist das Verhältnis von erwünschten Wirkungen und Nebenwirkungen mit Cannabis wirklich gut.“

Nebenwirkungen wie Schwindelgefühle und Fahruntüchtigkeit könnten bei richtiger Dosierung oft rasch wieder abklingen, so Grotenhermen. Dennoch gelte: „Cannabis ist kein Wundermittel, es hilft auch nicht allen Schmerzpatienten. Doch international beobachten Ärzte, wie bei Patienten, bei denen nichts anderes wirkte, Cannabis eben doch wirkt. Und man kann es über Jahre bis Jahrzehnte geben, ohne Magen, Leber, das Immunsystem oder die Nieren zu schädigen.“

Forschung zu Cannabinoiden ist nötig und sinnvoll

 
„Am Tiermodell wurde eindrucksvoll gezeigt, wie reine Substanzen aus der Cannabis-Pflanze Entzündungen günstig beeinflussen.“
Prof. Dr. Christoph Baerwald
 

Die Patienten verlassen sich jedoch nicht allein auf den Rat ihres Arztes, auch hier gilt es, informiert zu sein. In den einschlägigen Internetforen finden sich zahlreiche Einträge zur Therapie von rheumatischen Erkrankungen mit Cannabis & Co. Mitunter scheint durch, dass der Patient die berauschende Wirkung mehr schätzt als die schmerzlindernde. Den „möglichen Missbrauch des medizinisch indizierten Rauschs“ und seine Folgen für Patientengesundheit und Gesellschaft sieht auch Baerwald als Problem.

Dennoch möchte er Cannabis als Therapeutikum für rheumatische Erkrankungen nicht gänzlich abschreiben: „Auf dem letztjährigen Rheuma-Kongress in den USA wurde am Tiermodell eindrucksvoll gezeigt, wie reine Substanzen aus der Cannabis-Pflanze Entzündungen günstig beeinflussen“, berichtet er. Nun bleibe abzuwarten, „inwieweit sich das auf den Menschen übertragen lässt.“ Daher besteht Bedarf an guten Vergleichsstudien und an einer genaueren Charakterisierung einzelner Wirkstoffe sowie deren Langzeitwirkung.

Mehr Forschung zu Hanf und seinem Potenzial speziell für Rheumatiker wünschen sich auch Fitzcharles und ihre Kollegen. Bei aller Warnung vor dem Konsum von Cannabis empfehlen sie: „Rheumatologen sollten sich für weitere Studien mit einzelnen Cannabinoiden einsetzen, bei denen die Dosis genau kontrolliert werden kann und Effizienz und Sicherheit mit wissenschaftlichen Standardmethoden bewertet werden können.“ Aktuell laufen international einige Studien zu Cannabis bei Patienten mit diversen Erkrankungen, u. a. Fibromyalgie [6].

Referenzen

Referenzen

  1. Fitzcharles MA, et al: Arthritis Care Res (online) 3. März 2014
    http://dx.doi.org/10.1002/acr.22267
  2. Blake DR, et al: Rheumatology 2006;45(1):50-52
    http://dx.doi.org/10.1093/rheumatology/kei183
  3. Skrabek RQ, et al: J Pain 2008;9(2):164-173
    http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/17974490
  4. Ware MA, et al: Anesth Analg 2010;110(2):604-610
    http://dx.doi.org/10.1213/ANE.0b013e3181c76f70
  5. Aryana A, Williams MA: Int J Cardiol 2007; 118(2):141-144
    http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/17005273
  6. Intern. Arbeitsgemeinschaft für Cannabinoidmedikamente (Hg.), abgerufen 11. März 2014
    http://www.cannabis-med.org/?lng=de

Autoren und Interessenkonflikte

Petra Plaum
Es liegen keine Interessenkonflikte vor

Baerwald C: Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Grotenhermen F: Berater und Gutachter zu pharmakologischen und toxikologischen Aspekten der Cannabinoide

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