US-Leitlinien machen kurzen Prozess mit der Vitamin- und Mineralstoff-Supplementierung

Ute Eppinger | 14. März 2014

Autoren und Interessenkonflikte

Die U.S. Preventive Services Task Force (USPSTF) hat ihre Leitlinien zur Vitamin- und Mineralstoff-Supplementation bei gesunden Erwachsenen aktualisiert. An Deutlichkeit lassen die Empfehlungen – ein Update der Leitlinien von 2003 – wenig zu wünschen übrig: Die USPSTF spricht keine Empfehlung für Nahrungsergänzungsmittel mit Multivitaminen und Mineralstoffen für gesunde Erwachsene aus. Die Zufuhr von Beta-Karotin und Vitamin E wird ausdrücklich nicht empfohlen, denn sie reduziere weder das kardiovaskuläre Risiko noch das Krebsrisiko.

„Wir begrüßen die
US-Leitlinien sehr.
Sie enthalten wissenschaftlich in der Tat nichts Neues, aber es ist ein Novum, dass sich eine Gesellschaft traut, dies auch so explizit zu formulieren.“
Dr. Jutta Hübner

Dass die US-Leitlinien an Deutlichkeit wenig zu wünschen übrig lassen, bestätigt auch Dr. Jutta Hübner im Gespräch mit Medscape Deutschland. „Wir begrüßen die US-Leitlinien sehr. Sie enthalten wissenschaftlich in der Tat nichts Neues, aber es ist ein Novum, dass sich eine Gesellschaft traut, dies auch so explizit zu formulieren”, erklärt die Vorsitzende Arbeitsgemeinschaft Prävention und integrative Medizin in der Onkologie (PRiO) bei der Deutschen Krebsgesellschaft.

Kein belegter Nutzen, aber Schadenspotenzial

„Die USPSTF fand unzulängliche Beweise für einen Nutzen einer Multivitamin-Supplementierung, einer Supplementierung mit individuellen Vitaminen oder Mineralstoffen oder Kombinationspräparaten zur Reduktion des kardiovaskulären Risikos und des Krebsrisikos“, schreiben Dr. Virginia Moyer, Pädiaterin aus Houston/Texas und Chair der USPSTF, und Kollegen [1].

Auch die Beweislage, dass eine Supplementierung mit Beta-Karotin oder Vitamin E das kardiovaskuläre Risiko oder das Krebsrisiko senken könne, sei unzureichend. Die Task Force hatte unter anderem 2 ältere Studien berücksichtigt, die unter Vitamin E und Beta-Karotin von einem erhöhten Lungenkrebsrisiko und erhöhter Mortalität bei Rauchern, speziell bei schweren Rauchern und bei Menschen, die Asbest ausgesetzt sind, berichteten [2,3].


„Die Empfehlungen entsprechen einem langjährigen
und konstanten Kenntnisstand, der wiederholt durch mehrere Studien
und Metaanalysen … bestätigt worden ist.“
Prof. Dr. Helmut Gohlke

Es gäbe einige bekannte Nebenwirkungen, die von exzessiven Vitamindosen verursacht würden. Beispielsweise reduziere eine moderate Vitamin- A-Supplementierung die Knochendichte, hohe Dosen aber wirkten hepatotoxisch oder fruchtschädigend. Weil viele dieser Vitamine fettlöslich sind, solle der lebenslange Effekt hoher Dosen mitberücksichtigt werden, so die USPSTF.

Langjähriger Kenntnisstand bekräftigt

Prof. Dr. Helmut Gohlke von der Deutschen Herzstiftung erklärt auf Nachfrage: „Die Empfehlungen entsprechen einem langjährigen und konstanten Kenntnisstand, der wiederholt durch mehrere Studien und Metaanalysen z.B. von Sesso, Clarke oder Neuhouser bestätigt worden ist.“ [4,5,6]

Aus Sicht der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie, so Gohlke, hätten die Statements der US-Leitlinie ebenfalls keinen Neuigkeitswert: „Sie bekräftigen Wohlbekanntes – was ja manchmal auch wichtig sein kann.“ Vielleicht, mutmaßt Gohlke über den Zeitpunkt des Erscheinens der Leitlinie, seien in den USA ja besonders starke Marketing-Aktivitäten im Gange, die ein solches Statement notwendig erscheinen ließen.

Die Empfehlungen der USPSTF basieren auch auf den Einschätzungen der amerikanischen Fachgesellschaften. So machte die American Cancer Society deutlich, dass gegenwärtige Beweise den Nutzen einer diätischen Supplementierung zur Krebsprävention nicht unterstützen. Das American Institute for Cancer Research stellte bereits 2007 fest, dass die diätische Supplementierung zur Krebsprävention nicht empfehlenswert ist und riet stattdessen zu einer Ernährung, die geprägt ist durch eine Vielfalt an Lebensmitteln. Die American Heart Association (AHA) betont, dass gesunde Personen eher durch vielfältige und ausgewogene Ernährung ein adäquates Nahrungsangebot erhalten als über Supplementierung. Die Empfehlungen der American Academy of Family Physicians entsprechen den USPSTF-Empfehlungen.

Unterschreiten der Referenzwerte heißt nicht automatisch Vitaminmangel

„Deutschland ist kein Vitaminmangelland“, erklärt Silke Restemeyer von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Vitaminmangelkrankheiten kämen bei gesunden Erwachsenen in Deutschland äußerst selten vor und ein ungünstiges Ernährungsverhalten könne bei keiner Bevölkerungsgruppe durch Einnahme von Vitaminpräparaten oder anderen Nahrungsergänzungsmitteln ausgeglichen werden.

„Nahrungsergänzungs-
mittel schützen Gesunde nicht
vor Krankheiten.“
Prof. Dr. Bernhard Watzl

Sollten die Referenzwerte einmal nicht erreicht werden, sei dies trotzdem noch lange kein Mangel, betont Diplom-Oectrophologin Angela Bechthold: „Zwischen dem errechneten Unterschreiten eines Referenzwerts und einem durch biochemische bzw. klinische Parameter festzustellenden nicht gedeckten Bedarf sowie einem mit Symptomen und Funktionsstörungen einhergehenden Vitaminmangel liegt eine mehr oder weniger große Spanne in der Nährstoffzufuhrmenge.“ [7] Werden die Referenzwerte bei Gesunden unterschritten, sei das in der Regel durch eine ungünstige Auswahl der Lebensmittel verursacht.

Und Prof. Dr. Bernhard Watzl vom Max Rubner-Institut in Karlsruhe, resümiert: „Nahrungsergänzungsmittel schützen Gesunde nicht vor Krankheiten. In den 1980er- und 1990er-Jahren reduzierte man die positiven gesundheitlichen Effekte von Gemüse und Obst auf bestimmte Inhaltsstoffe, insbesondere Vitamine. Heute wissen wir, dass vielmehr die Vielfalt biologisch aktiver Substanzen, die wir durch einen hohen Konsum von Gemüse und Obst aufnehmen, insgesamt positive Wirkungen auf die Gesundheit hat.“

Deutsche Gesellschaft für Ernährung rät von Vitaminpillen & Co ausdrücklich ab

„Dem fehlenden Nutzen steht das Risiko durch zu
hohe, gesundheitlich bedenkliche Zufuhren gegenüber, wenn hoch dosierte Nahrungs-
ergänzungsmittel eingenommen … werden.“
DGE

Die DGE rät Gesunden ausdrücklich davon ab zu supplementieren: „Dem fehlenden Nutzen steht das Risiko durch zu hohe, gesundheitlich bedenkliche Zufuhren gegenüber, wenn hoch dosierte Nahrungsergänzungsmittel eingenommen und zusätzlich angereicherte Lebensmittel verzehrt werden.“ [8] Für einzelne Risikogruppen – Schwangere und Stillende, Säuglinge oder Menschen, die sich bei Sonnenschein nicht oder kaum in Freien aufhalten bzw. ihre Haut nicht unbedeckt der Sonne aussetzen – sähe dies anders aus. Davon abgesehen empfiehlt die DGE neben ausgewogener und vielfältiger Nahrung mit viel frischem Obst und Gemüse der Gesamtbevölkerung lediglich die Verwendung von jodiertem und fluoridiertem Speisesalz.

Ob die Bedenken gegen Vitamin-Pillen und Co beim Verbraucher angekommen sind? Christian Splett, Sprecher der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA), jedenfalls bestätigt auf Nachfrage, dass die Verkaufserlöse durch Vitamine und Mineralstoffe stagnieren: „Vom jährlichen Umsatz in Apotheken in Höhe von 42,6 Milliarden Euro (ohne Mehrwertsteuer) werden weniger als ein Prozent – 0,3 Milliarden Euro – durch Vitamine und Mineralstoffe erzielt.“ Schaue man sich die vergangenen 3 Jahre an, so habe der Anteil jeweils auch bei 0,3 Milliarden Euro pro Jahr gelegen. Gut möglich aber auch, dass der Verbraucher Vitaminpillen & Co stattdessen im Supermarkt, beim Discounter oder im Onlineversandhandel ersteht.

Referenzen

Referenzen

  1. Moyer VA, et al: Ann Intern Med (online) 25. Februar 2014
    http://dx.doi.org/10.7326/M14-0198
  2. Prevention Study Group: NEJM 1994;330(15):1029-35
    http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/8127329
  3. Omenn GS, et al: NEJM 1996;334(18):1150-5
    http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/8602180
  4. Sesso HD, et al: JAMA. 2012;308(17):1751-1760
    http://dx.doi.org/10.1001/jama.2012.14805
  5. Clarke R, et al: Arch Intern Med. 2010;170(18):1622-1631
    http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/20937919
  6. Neuhouser ML, et al: Arch Intern Med. 2009;169(3):294-304
    http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19204221
  7. Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE): Pressemitteilung „Deutschland ist kein Vitaminmangelland”, 17. Juli 2012
    http://www.dge.de/modules.php?name=News&file=article&sid=1231
  8. Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE): Pressemitteilung „Bunte Pillen für’s gute Gewissen – Was bringen Nahrungsergänzungsmittel?“,  4. Dezember 2012
    http://www.dge.de/modules.php?name=News&file=article&sid=1249

Autoren und Interessenkonflikte

Ute Eppinger
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Gohlke H, Splett C, Restemeyer S, Hübner J: Es liegen keine Erklärungen zu Interessenkonflikten vor.

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