Berlin – Die langfristige Einnahme von Acetylsalicylsäure (ASS) hat offenbar einen präventiven Effekt gegen Darmpolypen und Adenokarzinome – und das schon in niedrigen Dosen. Trotzdem wird eine vorbeugende Einnahme derzeit nicht empfohlen. Denn dem Darmkrebsschutz stehen schwerwiegende gastrointestinale Blutungsrisiken durch ASS gegenüber, und validierte Marker für Personengruppen mit besonderem Nutzen oder Risiko existieren noch nicht.
der ASS-Einnahme
ist immer erst nach etwa zehn Jahren
zu beobachten.“
Eigentlich sollten sie zeigen, ob die ASS-Einnahme das Herz-Kreislauf- und Schlaganfallrisiko senkt: der British Doctors‘ Aspirin Trial (n = 5.139) und der UK TIA Aspirin Trial (n = 2.449). Dass mit dem langfristigen ASS-Einnahme ein verringertes Risiko für (vor allem proximale) Kolonkarzinome verbunden ist, war eher ein Nebenbefund.
In einer gemeinsamen Auswertung beider Studien wurden die Daten von 5.139 gesunden Ärzten und 2.449 schlaganfallgefährdeten, aber onkologisch unauffälligen Probanden zusammengefasst. „Jeweils zwei Drittel von ihnen hatten über ein bis sieben Jahre, meist fünf Jahre, täglich 300, 500 oder 1.200 mg ASS eingenommen“, berichtete Prof. Dr. Cornelia Ulrich, Leiterin der Präventiven Onkologie am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) Heidelberg, auf dem Krebskongress in Berlin [1].
wird momentan
keine ASS-Gabe empfohlen.“
Effekt wird nach etwa zehn Jahren sichtbar
Es fiel auf, dass sich die Kurven für die Darmkrebsinzidenz teilten; in den Jahren 10 bis 14 war das Darmkrebsrisiko der ASS-Konsumenten halbiert (Hazard Ratio HR = 0,51). Der Effekt fiel noch deutlicher aus, wenn die Probanden 5 Jahre oder länger ASS genommen hatten (HR = 0,37), erst recht, wenn sie dabei eine hohe Compliance zeigten (HR = 0,26) [2].
Diese Beobachtung bestätigte sich auch in weiteren Studien, von denen einige epidemiologische Kohortenstudien waren, andere aber prospektiv auf das Darmkrebsrisiko bei Gesunden oder bei familiär Vorbelasteten ausgerichtet waren [3, 4, 5]. „Der Einfluss der ASS-Einnahme ist immer erst nach etwa zehn Jahren zu beobachten“, gibt Ulrich zu bedenken. Dies sei etwa die Zeit, die es dauere, bis sich ein Adenokarzinom entwickele.

Falsche Baustelle?
Als krebsinhibierender Wirkmechanismus von ASS werden antiinflammatorische Effekte auf COX-2 und Prostaglandine vermutet. Das bestätigt auch Prof. Dr. Thomas Seufferlein, Ärztlicher Direktor der Klinik für Innere Medizin I am Universitätsklinikum Ulm, im Gespräch mit Medscape Deutschland.
Seufferlein, der auch im Beirat der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) ist, sieht allerdings in Deutschland keinen Bedarf für Medikamente zur Darmkrebsvorsorge: „Wir haben mit der Koloskopie, ergänzt durch weitere Tests, sehr gute Möglichkeiten, Darmkrebs in Frühstadien zu erkennen und zu therapieren“, betont er auf Nachfrage. „In der S3-Leitlinie zum Darmkrebs wird daher momentan keine ASS-Gabe empfohlen.“ Eine medikamentöse Prävention wird laut Seufferlein in anderen Indikationen dringender benötigt – „etwa beim Pankreaskarzinom, das noch immer in den meisten Fällen viel zu spät diagnostiziert wird und eine schlechte Prognose hat.“
Krebsprävention vs Blutungsrisiko
Sowohl Seufferlein als auch Ulrich verweisen auf das unter ASS-Einnahme gesteigerte Blutungsrisiko. Mit einem Irrtum räumt Ulrich aber gleich auf: Es ist nicht so, dass Menschen, die ASS einnehmen, auf eine paradoxe Weise von Blutungen profitieren würden, weil dadurch ihre Darmpolypen früher entdeckt werden. „Das wird beispielsweise durch eine Studie widerlegt, in der Patienten unter Warfarin zwar eine erhöhte Blutungsneigung, aber keine verringerte Darmkrebsinzidenz hatten“, so Ulrich [6].
Für die Allgemeinbevölkerung ist die Dauereinnahme von ASS jedenfalls keine Option, dies ist die Einschätzung beider Experten. Wie sieht es aber mit bestimmten Risikogruppen aus, etwa Ältere, Adipöse, Menschen mit inflammatorischen Erkrankungen oder mit positiver Familienanamnese? „Auch das wäre noch eine zu große Gruppe“, meint Seufferlein: „Bevor wir Gesunden, die vielleicht einen Darmkrebspatienten in der Familie haben, jahrzehntelang ASS geben, sollte der Nutzen noch höher sein, in Richtung garantierter Darmkrebsvermeidung, und das Blutungsrisiko sollte gegen null gehen.“
Genetische Marker werden noch erforscht
Hilfreich wären genetische Marker, um z.B. Patienten mit besonders hohem Darmkrebsrisiko oder geringem Blutungsrisiko zu detektieren. Daran arbeiten mehrere Forschergruppen intensiv. So präsentierte Ulrich eine eigene Studie, in der sie zeigen konnte, dass Menschen mit homogenem Wildtyp des Gens COX-1-P17L hinsichtlich Darmkrebsprävention stärker als andere von nichtsteroidalen Antirheumatika profitieren [7].
Weitere Gene, die hier möglicherweise eine Rolle spielen, betreffen die Prostaglandinsynthese oder Entzündungssignale. Direkt auf ASS bezogen waren die bisherigen Studien zu genetischen Markern wohl nicht; Ulrich wertet sie aber insgesamt als „vielversprechend“.