
Berlin – Eine genetische Kartierung aller Lungenkrebspatienten und eine flächendeckende Individualisierung der Lungenkrebstherapie – das ist das ambitionierte Ziel, das sich Prof. Dr. Jürgen Wolf und Prof. Dr. Reinhard Büttner von der Klinik I für Innere Medizin der Universitätsklinik Köln gesteckt haben. Beide sind Sprecher des Netzwerks Genomische Medizin Lungenkrebs (NGML). Das Vorhaben markiert eines der herausragenden Beispiele für die Fortschritte der personalisierten Medizin in der Onkologie, über die auf dem Deutschen Krebskongress in Berlin berichtet wurde [1].
„Ziel des 2010 gegründeten Verbundes ist die umfassende und flächendeckende Genotypisierung von Lungenkrebspatienten in Nordrhein-Westfalen und darüber hinaus die Implementierung personalisierter Lungenkrebstherapien in der Breite der Versorgung“, so Wolf.
Aktuell nehmen an dieser Initiative neben den Universitätskliniken in Köln, Bonn und Aachen 10 Krankenhäuser teil, die ihre Gewebeproben entweder direkt oder auf dem Umweg über Pathologen in das Studienzentrum nach Köln schicken.

Dort wird nicht etwa das gesamte Genom sequenziert, sondern – basierend auf den jeweils neuesten Erkenntnissen – werden „nur“ die jeweils als relevant geltenden Gene ausgelesen. Diese zentrale Genotypisierung geschieht mittels Multiplex-Next-Generation-Sequencing-Technologie (NGS) und ist für die Teilnehmer kostenlos.
Mutationsanalysen in einem einzigen Arbeitsgang
Dieses Verfahren erlaubt es, die Genuntersuchungen auf die entscheidenden Fragen zu fokussieren. Bis vor kurzem mussten noch alle Aberrationen einzeln gescreent werden, was ein sehr zeitaufwendiger und arbeitsintensiver Prozess sei, wie Büttner erläuterte. Heute dagegen ist man in der Lage, alle Mutationsanalysen in einer einzigen Untersuchung in etwas mehr als einer Arbeitswoche durchzuführen.
Neben den wichtigsten, beim Lungenkrebs relevanten Mutationen in Genen wie EGFR, KRAS, BRAF und DDR2 suchen die Pathologen in Köln zusätzlich nach Amplifikationen von HER2 und FGFR1 sowie nach Translokationen wie EML4/ALK, RET oder ROS1.
Dies geschieht derzeit noch durch Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierungen (FISH), deren Ergebnisse in der Regel ein paar Tage nach den Ergebnissen der NGS-basierten Analysen berichtet werden. Wie auf der Webseite des Konsortiums zu erfahren ist, erwartet man eine weitere Verbesserung der Technologie noch im laufenden Jahr 2014 [2]. Dann wird man alle Analysen in einem einzigen Arbeitsgang durchführen können, was gleichzeitig die Menge an benötigtem Gewebe wie auch die Arbeitszeit weiter reduzieren wird.
Stand November 2013 wurden bislang mehr als 6.000 Lungenkrebspatienten durch das NGML gescreent. Das entspricht mehr als 3.000 Personen pro Jahr, mehr als 70% aller Lungenkrebsfälle in der Region – und immerhin mehr als 5% aller Lungenkrebserkrankungen in Deutschland.
das Thema eine Gänsehaut.“
Eine Vielzahl von ihnen kann anschließend von personalisierten Therapien profitieren, wie in Berlin gleich auf mehreren weiteren Symposien zu hören war. „Mir macht das Thema eine Gänsehaut“, sagte Prof. Dr. Christof von Kalle, Leiter des Nationalen Zentrums für Tumorerkrankungen in Heidelberg. „Es gibt eine Begeisterung im Feld, die wir lange nicht gehabt haben“, erklärte von Kalle, der in Berlin den Beitrag der Onkologie zum Querschnittsverbund Personalisierte Medizin der Helmholtz-Gesellschaft skizzierte.
Noch fehlen Leitlinien für eine personalisierte Therapie
Etwas mehr als die Hälfte aller Lungenkrebspatienten hätten in ihrem Erbgut Mutationen, die bereits heute therapeutisch relevant sind, berichtete NGML-Ko-Sprecher Wolf in Berlin. „Allerdings gibt es für die Mehrzahl dieser Fälle noch keine adäquaten Leitlinien“, sagte Wolf und bemerkte: „Ich glaube, dass wir unseren Patienten etwas Gutes tun, wenn wir solche Leitlinien entwickeln.“ Dies erfordere ein engeres Zusammenrücken der verschiedenen Disziplinen. „Die Befunde sind mittlerweile selbst für uns so schwierig zu interpretieren, dass eine qualifizierte Beratung nötig ist.“
Das Kölner Netzwerk fungiert gleichzeitig als Eingangsportal für mehr als ein Dutzend Studien, bei denen die darin eingeschlossenen Patienten jeweils entsprechend ihren spezifischen Mutationen maßgeschneiderte Wirkstoffe erhalten sollen. An 2 Beispielen demonstrierte Wolf, dass diese Strategie das Gesamtüberleben verbessern kann:
So hat bei Patienten mit Mutationen im Gen für den Epidermalen Wachstumsfaktor (EGFR) mit einer Therapie mittels spezifischer Inhibitoren (EGFRi) die mittlere Überlebenszeit 31,5 Monate betragen – gegenüber 9,6 Monaten unter konventioneller Chemotherapie. Und bei Patienten mit ALK-Fusionen sah man mit dem selektiven Wirkstoff Crizotinib ebenfalls im Vergleich zur Standardtherapie eine Verdoppelung der Überlebenszeit von 11 auf 23 Monate. Wolfs Fazit: „Die personalisierte Therapie verlängert das Überleben von Krebspatienten.“
Als besonders erfreulich stellte Wolf die gute Kooperation mit den Kostenträgern heraus. „Wir hatten einen extrem konstruktiven Dialog mit den Krankenkassen und wir sind uns einig, dass man die Vorteile der Testung den Patienten nicht vorenthalten sollte.“ Noch im nächsten Quartal soll ein Vertrag mit der AOK Rheinland/Hamburg abgeschlossen werden, der die Finanzierung der molekularen Diagnostik im NGML umfasst sowie deren gemeinsame Evaluation und Weiterentwicklung.