Anstrengend, aber wirksam bei Fatigue: Sport macht müde Krebspatienten munter

Simone Reisdorf | 25. Februar 2014

Autoren und Interessenkonflikte


Prof. Dr. Hans Helge Bartsch

Berlin – Bis zu 80% der Krebspatienten klagen nach Operation, Chemo-, Strahlen- und/oder Hormontherapie über Erschöpfung. Sich in diesem Zustand noch sportlich zu betätigen, fällt verständlicherweise besonders schwer: „Einen Patienten, der ohnehin an Erschöpfung leidet, auch noch zu körperlicher Bewegung zu motivieren, ist nicht einfach“, räumt Prof. Dr. Hans Helge Bartsch, Ärztlicher Direktor der Klinik für Tumorbiologie in Freiburg im Breisgau, zwar ein [1]. „Es lohnt sich aber trotzdem – Sport ist eines der wirksamsten Mittel gegen Fatigue“, hebt er im Gespräch mit Medscape Deutschland auf dem Deutschen Krebskongress (DKK) in Berlin hervor.

Fatigue nach Tumortherapie – das ist nicht nur die häufigste Diagnose in onkologischen Rehabilitationszentren. Sie ist auch besonders belastend und kommt im Ranking der Beschwerden noch vor körperlichen oder seelischen Problemen und Schmerzen. „Dauert sie länger als 6 Monate und erreicht sie mindestens vier Punkte auf dem zehnstufigen ‚Fatigue-Thermometer‘, so gilt sie als chronische mäßige oder starke Fatigue und ist behandlungsbedürftig“, erklärt Prof. Dr. Manfed E. Heim, Leiter des Gesundheitszentrums Bodensee im schweizerischen Güttingen auf dem DKK in Berlin.

„Zunächst sollten primäre Ursachen wie Schlafstörungen, Schmerz und Depression abgeklärt und behandelt werden“, führte der Onkologe, Rehabilitations- und Sportmediziner weiter aus. „Genügt dies nicht oder liegt eine primäre chronische Fatigue vor, so wird eine multimodale Therapie empfohlen.“ Dazu gehört neben Schulung, Psychoedukation, Entspannungstraining und Ernährungsberatung ausgerechnet die sportliche Betätigung.

Was sagt die Studienlage über die Wirkung von Sport gegen Fatigue?

„Sport ist eines der wirksamsten Mittel gegen Fatigue.“
Prof. Dr. Hans Helge Bartsch

Rea Kühl von der AG „Bewegung und Krebs“ am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen in Heidelberg bestätigte auf dem DKK die Wirksamkeit von Sport gegen krebsbedingte Fatigue anhand zahlreicher Metaanalysen. Sie betonte allerdings, dass man mit der Bewegungstherapie nicht erst warten muss, bis die chronische Fatigue bereits manifest geworden ist.

So zitierte Kühl eine aktuelle Metaanalyse, die den Schluss zulässt, dass onkologische Patienten durch ein Krafttraining während oder nach ihrer Krebstherapie nicht nur die Muskelkraft ihrer Beine und Arme signifikant steigern können (um 14,6 bzw. 6,9kg, p=0,0005 bzw. p<0,00001). Die aktiven Patienten hatten auch Vorteile, was die Zunahme der fettfreien Körpermasse (+1,1kg, p<0,0001) und die Abnahme im Anteil an Fettmasse betraf (–2,1%, p = 0,003). Kein geringer Pluspunkt war außerdem: Sie konnten ihre Fatigue signifikant mindern (p<0,05) [2].

„Zunächst sollten primäre Ursachen
wie Schlafstörungen, Schmerz und Depression abgeklärt und behandelt werden.“
Prof. Dr. Manfed E. Heim

In eine andere Metaanalyse umfasste 36 Studien mit Patienten unter aktiver Krebstherapie, 10 Studien mit Patienten während und nach der Krebsbehandlung und 10 Studien mit Patienten kurz vor ihrer onkologischen Therapie. Sie betätigten sich entweder durch Walking, Radfahren, Krafttraining oder Yoga oder eine Kombination daraus.

Es zeigte sich, dass ein Trainingsbeginn schon während der Therapie einen förderlichen Einfluss auf Lebensqualität, Rollenfunktion, soziale Funktion, Depression, Angst, Schlaf und Fatigue hatte. Aber auch das Training im Anschluss an die onkologische Therapie besserte Lebensqualität, Angst, Schmerz, Depression, emotionale Funktion, soziales Wohlbefinden – und wiederum die Fatigue [3].

Dass die Überwindung der Fatigue das Resultat des Sports und nicht nur das Ergebnis eines gruppendynamischen „Wohlfühlfaktors“ ist, konnten Kühl und Kollegen übrigens in einer eigenen randomisierten, kontrollierten Studie nachweisen, die allerdings noch nicht veröffentlicht wurde.

Ausdauer- oder Krafttraining? Das ist noch offen.

Ganz unabhängig vom  Zeitpunkt des Trainingsbeginns zeigten sich Vorteile einer sportlichen Betätigung in einer Metaanalyse bei Patienten mit Brust- oder Prostatakarzinom. Hier war die Reduktion der krebsbezogenen Fatigue stärker ausgeprägt, wenn die Patienten ein moderates Krafttraining absolvierten anstatt „nur“ ein leichtes Kraft- oder ein Ausdauertraining [4].


„Selbstverständlich kann ein Lungen-
krebspatient mit ausgeprägter Dyspnoe nicht die gleiche Anstrengung aufbringen wie etwa eine junge Frau bei Mammakarzinom.“
Rea Kühl

Umgekehrt lauteten die Ergebnisse einer anderen Untersuchung: Dort verminderte sich die Fatigue bei Patienten mit Ausdauertraining signifikant, bei Patienten mit Krafttraining sank sie lediglich im Trend, der Unterschied war jedoch nicht-signifikant [5]. In beiden Studien profitierten zwar Patienten mit soliden Tumoren vom Sport, Leukämiepatienten hatten aber nicht den gleichen Nutzen.

Standardisierte Programme für Sport gegen krebsbezogene Fatigue – oder überhaupt für Sport bei Krebs – gibt es noch nicht. „Letztlich bringt jeder onkologisch tätige Rehabilitationsmediziner hier seine eigenen Erfahrungen ein, und jeder Patient muss seine individuelle ‚Einstiegsdosis‘ finden“, erläutert Bartsch auf Nachfrage von Medscape Deutschland.

Diese „Dosis“ sei auch von der Krebsentität abhängig: „Selbstverständlich kann ein Lungenkrebspatient mit ausgeprägter Dyspnoe nicht die gleiche Anstrengung aufbringen wie etwa eine junge Frau nach erfolgreicher Brust erhaltender Therapie bei Mammakarzinom.“

„Wir müssen Wege finden, den Circulus vitiosus aus krebsbezogener Fatigue, körperlicher Inaktivität und nachlassender körperlicher Leistungsfähigkeit
zu durchbrechen.“
Rea Kühl

Mit einem niederschwelligen Start und einer langsamen, kleinschrittigen Steigerung der Belastung können aber laut Bartsch fast alle Patienten wieder an die Bewegung herangeführt werden und ihre Fatigue aktiv angehen.

„Hier immer wieder einmal nachzufragen und Angebote zu machen, auch noch Monate und Jahre nach der Krebsbehandlung, das ist eine wichtige Aufgabe der niedergelassenen Onkologen, onkologisch tätigen Fachärzte und Hausärzte“, so Bartsch. „Wir müssen Wege finden, den Circulus vitiosus aus krebsbezogener Fatigue, körperlicher Inaktivität und nachlassender körperlicher Leistungsfähigkeit zu durchbrechen“, dies war auch das Fazit von Kühl.

Referenzen

Referenzen

  1. 31. Deutscher Krebskongress 2014, 19. bis 22. Februar, Berlin. Supportiv-/Palliativtherapie, Fatigue, 20.02.2014
    http://www.dkk2014.de
  2. Strasser B, et al: Med Sci Sports Exerc 2013;45:2080-2090
    http://dx.doi.org/10.1249/MSS.0b013e31829a3b63
    http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23669878
  3. Mishra SI, et al: Clin Otolaryngol 2012;37:390-392
    http://dx.doi.org/10.1111/coa.12015
  4. Brown JC, et al., Cancer Epidemiol Biomarkers Prev 2011;20:123
    http://dx.doi.org/10.1158/1055-9965.EPI-10-0988
  5. Cramp F, Byron-Daniel J, Cochrane Database Syst Rev 2012; 11: CD006145
    http://dx.doi.org/10.1002/14651858.CD006145.pub3

Autoren und Interessenkonflikte

Simone Reisdorf
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Bartsch HH, Heim ME: Es liegen keine Erklärungen zu Interessenkonflikten vor.

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