COPD oft (zu) spät entdeckt – doch welche Strategie führt zur frühen Diagnose?

Simone Reisdorf | 21. Februar 2014

Autoren und Interessenkonflikte


Prof. Dr. Tobias Welte

Eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) wird bei vielen Patienten erst spät diagnostiziert. „Die BOLD-Studie hat für Deutschland gezeigt, dass lediglich 60% einer Populationsstichprobe mit pathologischer Lungenfunktion bereits entdeckt und diagnostiziert waren“, kritisiert Prof. Dr. Tobias Welte im Gespräch mit Medscape Deutschland.

Welte ist Direktor der Klinik für Pneumologie an der Medizinischen Hochschule Hannover und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e. V. „Wir leben in einem Herz-fokussierten Land. Primär wird leider immer erst eine mögliche Herzerkrankung abgeklärt, statt an die Lunge zu denken – und dies meist mit wesentlich teurerer Diagnostik,“ sagt er.

Die Verzögerung raube COPD-Patienten wertvolle Behandlungsjahre: „Frühzeitige Therapiemaßnahmen wie Raucherentwöhnung, Vermeidung infektbedingter Verschlechterungen durch Impfung, etwa gegen Influenza und Pneumokokken, Bewegungs- und möglicherweise auch Medikamententherapie können den Progress der Erkrankung aufhalten. Muskulatur und Belastbarkeit bleiben dann länger erhalten“, gibt Welte zu bedenken.

Registerdaten von fast 39.000 britischen Patienten ausgewertet

Die Strategien, um eine rechtzeitige Diagnose zu implementieren, sind vielfältig. So betrachteten die Autoren einer aktuellen britischen Studie jede – auch die akute – Erkrankung der unteren Atemwege als eine Gelegenheit für den (Haus-)Arzt, eine Spirometrie durchzuführen und nach COPD zu fahnden.

„Die BOLD-Studie
hat für Deutschland gezeigt, dass
lediglich 60% einer Populationsstichprobe mit pathologischer Lungenfunktion bereits entdeckt und diagnostiziert waren.“
Prof. Dr. Tobias Welte

Rupert CM Jones von der Plymouth University Peninsula School of Medicine and Dentistry und Kollegen sichteten Registerdaten aus den Jahren 1990 bis 2009. Sie fanden 38.859 COPD-Patienten ab einem Alter von 40 Jahren, für die Daten aus den letzten 2 bis 20 Jahren und mindestens einem Jahr nach COPD-Diagnose vorlagen. 99% der Daten stammten aus der primärärztlichen Behandlung.

Die Autoren versuchten die bereits vor der COPD-Diagnose aufgetretenen Lungensymptome retrospektiv möglichst lückenlos zu erfassen. Sie suchten deshalb lungenbezogene Diagnosen und Therapiemaßnahmen anhand von insgesamt 919 sogenannten „Read-Codes“ aus den Registern zusammen.

Erfasst wurden erstens alle Arztkonsultationen, bei denen Codes für eine infektiöse Bronchitis, Tracheitis oder Pneumonie, eine Asbestose oder für Symptome wie Husten, Atemnot/Kurzatmigkeit, Hyperventilation oder Giemen notiert worden waren. Zweitens wurden Arztbesuche erfasst, die zwar zu keiner codierten Diagnose geführt hatten, aber zur sofortigen Verschreibung oraler Kortikosteroide oder Antibiotika. Drittens ging es um Arzttermine, bei denen ein Thoraxröntgen veranlasst worden war. Hier nahmen sie in Kauf, dass sie auch Lungenkrebs- und Tuberkulose-Patienten mitzählten.

5 von 6 „neuen“ COPD-Patienten hatten schon jahrelang Symptome

„Wir leben in einem Herz-fokussierten Land. Primär wird leider immer erst
eine mögliche Herzerkrankung abgeklärt, statt an die Lunge zu denken …“
Prof. Dr. Tobias Welte

Folgt man der Betrachtungsweise der englischen Studienautoren, so ließen die behandelnden Ärzte viele Gelegenheiten für eine deutlich frühere COPD-Diagnose ungenutzt: In den 5 Jahren direkt vor der COPD-Diagnose waren 85% der Patienten wegen verschiedenster Symptome der unteren Atemwege in der Arztpraxis. All diese frühen Lungenbeschwerden wurden behandelt, ohne dass sie in eine COPD-Diagnose mündeten.

Zwar muss nicht jede akute Bronchitis Zeichen einer COPD sein. Bedenklich ist aber, dass nur bei einem Drittel derjenigen Patienten, die in den 2 Jahren unmittelbar vor ihrer COPD-Diagnose zum Thoraxröntgen geschickt wurden (2.296 von 6.897), auch eine Spirometrie vorgenommen wurde.

Bei chronische Krankheiten COPD-Diagnostik?

Die abschließende Empfehlung der Studienautoren lautet, bei allen Patienten, die

  • 40 Jahre oder älter sind,
  • die rauchen oder früher geraucht haben
  • und die nun mit Symptomen der unteren Atemwege in die Praxis kommen
  • und ein Rezept benötigen.

6 Wochen später eine spirometrische Untersuchung zum Ausschluss einer COPD durchzuführen.

„Bei kardiovaskulären Erkrankungen existiert sicherlich ein Zusammenhang zur COPD. Asthma tritt aber allenfalls bei etwa 10–15% der COPD-Patienten auf und ist keine typische COPD-assoziierte Komorbidität.“
Prof. Dr. Tobias Welte

Die Autoren gehen sogar noch weiter: Sie empfehlen eine unverzügliche COPD-Diagnostik auch für alle Patienten, die eine Hausarztpraxis oder Klinik wegen einer chronischen Erkrankung aufsuchen, welche häufig gemeinsam mit COPD auftritt. Dazu zählen sie neben Lungenkrebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes auch chronischen Schmerz, Refluxkrankheit und Magenulcera, Depression und Angst, Osteoporose sowie Bronchiektasien, Allergische Rhinitis und Asthma. Allerdings räumen sie ein, dass die in ihrer Studie festgestellte hohe Quote von 34% COPD-Patienten mit „komorbidem“ Asthma auch das Ergebnis alter Fehldiagnosen in den Krankenakten sein könnte.

Welte relativiert: „Bei kardiovaskulären Erkrankungen existiert sicherlich ein Zusammenhang zur COPD. Asthma tritt aber allenfalls bei etwa 10–15% der COPD-Patienten auf und ist keine typische COPD-assoziierte Komorbidität.“

In Deutschland andere Kriterien

Nach Weltes Aussage wird in Deutschland eine andere Strategie zur Implementierung einer rechtzeitigen COPD-Diagnose verfolgt: Haus- und Allgemeinärzte sollten gezielt auf Patienten achten, die

  • als Raucher oder Ex-Raucher eine Anamnese von 20 Packungsjahren oder mehr aufweisen,
  • seit mindestens 3 Wochen über Husten klagen
  • sowie Atemnot verspüren, vor allem bei Belastung.

Diese Patienten sollten rechtzeitig einer gründlichen Lungendiagnostik zugeführt werden, am besten durch Überweisung zum Pneumologen.

Referenzen

Referenzen

  1. Jones RCM, et al; Lancet Respiratory (online) 13. Februar 2014
    http://dx.doi.org/10.1016/S2213-2600(14)70008-6

Autoren und Interessenkonflikte

Simone Reisdorf
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Welte T, Jones RCM: Es liegen keine Erklärungen zu Interessenkonflikten vor.

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