Berlin – Nur jeder 2. onkologische Patient nimmt seine Medikamente so ein, wie der Arzt sie ihm verschrieben hat. Mit dieser ernüchternden Aussage startete das Symposium „Therapietreue in der Onkologie“ auf dem 31. Deutschen Krebskongress. Das Thema ist essentiell für eine erfolgreiche Tumorbehandlung. Denn nehmen Patienten ihre Medikamente nicht regelmäßig, sinkt ihre Überlebenschance signifikant. Durch die Personalisierung der Behandlung in der Onkologie „wird das Problem noch zunehmen“, ist Dr. Thomas Zander vom Centrum für Integrierte Onkologie an der Universitätsklinik Köln überzeugt [1].
Schlechte Therapietreue ist die Regel
Therapietreue, auch Adhärenz genannt, ist vor allem das Ergebnis einer guten Zusammenarbeit zwischen Arzt und Patient, Non-Adhärenz entsprechend das Gegenteil. „Der Regelfall in der Medizin ist eher die Non-Adhärenz“, sagt Dr. Bernhard Braun vom Zentrum für Sozialpolitik an der Universität Bremen [2]. So werden 20 bis 30% aller Rezepte nie in der Apotheke eingelöst. Nur jeder 4. Patient gilt als hoch adhärent. Grund für die schlechte Mitarbeit ist weniger, dass der Betroffene dem Arzt misstraut: „62,4 Prozent der Non-Adhärenz beruht schlicht auf Vergesslichkeit“, sagt Braun.
Auch wenn sie menschlich verständlich ist – die geringe Adhärenz kann für die Patienten schwerwiegende Folgen haben. Bei Asthmatikern etwa steigt das Risiko für eine beatmungspflichtige Komplikation um 35%, wenn die Adhärenz nur um 10% sinkt [3]. Umgekehrt verringert eine gute Adhärenz das Mortalitätsrisiko bei chronisch Kranken um 44% [4]. Das Problem betrifft nicht nur den einzelnen: Non-Adhärenz verursacht pro Jahr in Deutschland Kosten von 10 Milliarden Euro. „Es lohnt sich also, in das Thema zu investieren“, sagt Braun.
der Non-Adhärenz beruht schlicht auf Vergesslichkeit.“
Für die Onkologie war Therapietreue lange ein geringeres Problem – schließlich steuerte der Arzt selbst die Chemotherapie. „Die zunehmende personalisierte Medizin führt aber dazu, dass heute immer mehr Patienten Tabletten bekommen“, erläuterte Zander. Und die nähmen sie nicht immer nach Vorschrift.
Die Adhärenzraten bei Krebsmitteln liegen, gemessen an der verbrauchten Dosis, zwischen 70 und 80%. Das klingt zunächst nicht schlecht, ist aber bei einer lebensbedrohlichen Erkrankung nicht ausreichend. Für Tamoxifen oder Aromatasehemmer etwa wurde festgestellt: Die durchschnittliche Überlebenszeit sinkt deutlich, wenn weniger als 80% der Tabletten eingenommen werden [5,6].
Viele Programme zur Steigerung von Adhärenz wirken nicht
Die Frage drängt also, ob und wie sich die Therapietreue gezielt steigern lässt. „Die Evidenz dazu ist leider sehr dünn“, sagte Braun. Von 83 langfristigen Maßnahmen zur Steigerung der Therapieadhärenz, die 2008 in einem Cochrane-Review untersucht wurden, zeigten 36 eine positive Wirkung [7]. 25 beeinflussten auch das medizinische Outcome, wenn auch oft nur in geringem Maße. Etwas besser sieht es bei kurzfristigen Interventionen aus: Hier waren von 10 untersuchten Maßnahmen 4 erfolgreich, sowohl für die Adhärenz als auch fürs Outcome.
eine von vielen Herausforderungen, die er (der Patient)
bei Krebs bewältigen muss.“
Die wirksamen langfristigen Programme zeichneten sich dadurch aus, dass sie sehr komplex waren. Patienten bekamen Informationen zu ihrer Behandlung, regelmäßige Erinnerungen, Beratung, Psychotherapie, Familientherapie und Krisenintervention. Doch selbst die besten Programme erbrachten keine große Steigerung der Adhärenz.
„Die Erwartungen an Interventionen sollten daher nicht zu hoch sein“, sagt Braun. Ein positives Beispiel bei Krebs ist das Selbstmanagement-Programm „I can cope“ aus den USA. In dem Gruppenkurs erhalten die Patienten Informationen, lernen Bewältigungstechniken und tauschen sich mit anderen Betroffenen aus. Nach einer aktuellen Studie steigert das auch die Adhärenz [8].
„Gerade zu Beginn der Erkrankung gibt es oft eine hohe Bereitschaft, an solchen Angeboten teilzunehmen“, sagte Prof. Dr. Michael Ewers vom Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft an der Charité Berlin [9]. Es dürfe jedoch nicht nur darum gehen, die Therapietreue zu verbessern: „Damit würde man solche Kurse instrumentalisieren.“ Wichtig sei, dass der Patient mit all seinen Bedürfnissen und Problemen Unterstützung erfahre: „Adhärenz ist nur eine von vielen Herausforderungen, die er bei Krebs bewältigen muss.“
Einen der wichtigsten Faktoren für die Adhärenz können Ärzte zudem leider nicht beeinflussen: der Partner zuhause, der sich kümmert. Verheiratete zeigen eine deutlich größere Therapietreue als Singles.