Werden Verstorbene in deutschen Kliniken vorschnell für hirntot erklärt? In einem gestern in der Süddeutschen Zeitung (SZ) erschienen Bericht heißt es jedenfalls unter Berufung auf Mitarbeiter der Deutschen Stiftung für Organtransplantation (DSO) [1]: „In deutschen Krankenhäusern werden Menschen oft fälschlicherweise für hirntot erklärt.“ Als Ursache wird die unzureichende Ausbildung der Ärzte genannt. So hätten Mitarbeiter der DSO zum Teil erst kurz vor der Organentnahme entdeckt, dass der Hirntod nicht den Vorschriften gemäß diagnostiziert worden war. Von 8 Fällen über einen Zeitraum von 3 Jahren ist in dem SZ-Bericht die Rede.
Für eine Organspende werden in Deutschland pro Jahr etwa 2.000 Menschen für hirntot erklärt. Somit belaufe sich die Zahl der unter Verdacht stehenden Fälle auf unter 1%, wird DSO-Vorstand Rainer Hess in dem SZ-Artikel zitiert. Auch die Aufdeckung durch die DSO-Mitarbeiter zeige, so die Replik von Hess „dass die Handhabung von Zweifelsfällen vorbildlich verläuft und die Koordinatoren ihrer formalen Kontrollfunktion umfänglich nachkommen".
Formale Fehler, die jedoch nichts an der Hirntod-Diagnose änderten
„Die Hirntod-Diagnostik ist – sorgfältig durchgeführt – eine sehr, sehr sichere Diagnostik“, stellt Prof. Dr. Andreas Ferbert, Direktor der Neurologie am Klinikum Kassel und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Neurointensiv- und Notfallmedizin (DGNI), klar. Von Fehlern, so Ferbert auf Nachfrage von Medscape Deutschland, sei ihm nichts bekannt. „Ich kann allerdings nicht ausschließen, dass irgendwo etwas schief geht. Der Kollege, dem das passiert, hätte sich dann aber der fahrlässigen Tötung schuldig gemacht“, erklärt Ferbert.
Wie die SZ berichtet hatte, reagierten Ärzte, von DSO-Mitarbeitern auf ihre Fehler angesprochen, oft abwehrend und beharrten auf dem Standpunkt, alles richtig gemacht zu haben.
Obwohl die Hirntoddiagnostik nach dem Gesetz in den Verantwortungsbereich des Krankenhauses fällt, ist es die Aufgabe der DSO-Koordinatoren, in ihrer Kontrollfunktion die Protokolle vor der Entnahmeoperation auf ihre formale Richtigkeit zu überprüfen. Nach dem Transplantationsgesetz ist der Hirntod für Organspenden unabdingbare Voraussetzung – bei Herztoten erfolgt keine Organentnahme.
„Der Generalverdacht, die Hirntoddiagnostik in Deutschland sei häufig fehlerhaft, ist nicht gerechtfertigt“, hält DSO-Vorstand Dr. Rainer Hess in einer Mitteilung der DSO fest, die sich auf die Veröffentlichung in der SZ bezieht [2]. Hess bestätigt, dass es sich bei der Hirntoddiagnostik um eine der sichersten Diagnosen in der Medizin überhaupt handele.
In 2 bekannten Fällen, so räumt er ein, sei es zwar nach einer lediglich formal fehlerhaften Hirntoddiagnostik zu einer Organentnahme gekommen. Aber in beiden Fällen handelte es sich eben um Formfehler oder um eine Abweichung vom Ablauf, die nichts an einer der Sache nach richtigen Feststellung des Hirntodes änderten. In einem Fall habe eines der 4 Hirntodprotokolle gefehlt und in dem anderen Fall seien die Untersuchungszeiten nicht korrekt eingehalten worden.
Beide Fälle wurden bereits der Staatsanwaltschaft gemeldet, und das Ergebnis war eindeutig. Hess stellt ausdrücklich fest: „Es wurde zweifelsfrei bestätigt, dass beide Spender vor der Organentnahme hirntot waren.“ In den anderen Fällen wurde auf Intervention von DSO-Koordinatoren die Hirntoddiagnostik korrekt wiederholt, oder es hat bei weiterhin zweifelhafter Diagnose keine Organentnahme stattgefunden.
Hohe Anforderungen an die Hirntoddiagnose in Deutschland
Der Deutschen Stiftung Organtransplantation hat der Staat vor 13 Jahren die Aufgabe übertragen, Organspenden zu organisieren und durchzuführen. Etwa 44 Millionen Euro fließen jährlich aus der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) an die DSO, damit diese sämtliche Organentnahmen bundesweit verantwortet.
Die Anforderungen an die Hirntoddiagnose sind in Deutschland hoch: Die Gesamtfunktionen des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms müssen irreversibel ausgefallen sein. Dann erst dürfen lebensverlängernde Maßnahmen abgeschaltet werden. Zudem müssen solche Umstände, die das Gehirn nur betäuben – etwa Medikamente, eine zu niedrige Körpertemperatur, Koma oder Vergiftung –, zwingend ausgeschlossen werden.
„Die korrekte und sorgfältige Hirntoddiagnostik ist eine unabdingbare Voraussetzung für ein funktionierendes Transplantationssystem “, bekräftigt der DSO-Vorstand. Dies sei auch ein wichtiges Anliegen der DSO, wie die aufgezeigten Fälle zeigten. Eine Diskussion zur Vermeidung von Fehlern sei unzweifelhaft wichtig, dürfe aber nicht einen Generalverdacht gegenüber einem ansonsten gut und sicher aufgestellten System schüren, so Hess.
Für die Transplantationsmedizin ist es zwingend nötig, dass keine Fehler gemacht werden und sich Menschen auf die Hirntoddiagnosen verlassen können. Denn vom Umgang mit Hirntoten in deutschen Krankenhäusern hänge auch die Bereitschaft der Menschen zur Organspende ab, eine Bereitschaft, die nach einigen Skandalen in der jüngeren Vergangenheit ohnehin nachgelassen hat.
Ärzte zu schlecht ausgebildet?
Ein weiterer Vorwurf in dem Bericht der SZ lautet, dass Ärzte, die den Hirntod erklären, unzureichend ausgebildet seien.
Aber prinzipiell würden Patienten mit schweren Hirnverletzungen ohnehin direkt in große Kliniken geflogen, in Kliniken also, die häufiger mit der Diagnose Hirntod zu tun haben und entsprechend erfahren mit dem Prozedere sind, wendet Ferbert ein. „Natürlich kann man nicht ausschließen, dass ein solcher Patient auch mal in einer Klinik landet, die damit vielleicht nicht so häufig zu tun hat, aber dann kommt auf Vermittlung der DSO zur Unterstützung ein externer Arzt ins Krankenhaus.“
Prinzipiell wird die Diagnose Hirntod immer durch 2 Ärzte abgesichert, beide mit mehrjähriger Erfahrung in der Intensivbehandlung von Patienten mit schweren Hirnschädigungen und entsprechend den Richtlinien zur Hirntod-Diagnostik der Bundesärztekammer, erklärt Ferbert, der Mitglied in der Hirntodkommission der Bundesärztekammer (BÄK) ist. Beide Ärzte arbeiten unabhängig voneinander und sind nicht an Entnahme oder Übertragung der Organe beteiligt.
Die BÄK-Richtlinie zur Hirntod-Diagnostik stammt von 1997 und wird derzeit überarbeitet. „Es ist auch im Interesse der DSO, die Anforderungen an die Qualifikation der Ärzte für eine Hirntoddiagnostik zu verschärfen“, erklärt Hess. Dies sei allerdings Aufgabe der Bundesärztekammer.
„Wir wollen natürlich, dass alles reibungslos läuft und unterstützen deshalb die Richtlinien-Anpassung zur Hirntoddiagnostik“, bekräftigt auch Prof. Dr. Björn Nashan, Transplantationsmediziner am Hamburger Universitätskrankenhaus Eppendorf und Präsident der Deutschen Transplantationsgesellschaft (DTG).
Die SZ nennt unter den fehlerhaften Fällen solche, bei denen der Hirntod diagnostiziert worden war, obwohl die Patienten kurz zuvor starke Schmerzmittel wie Sufentanil oder Propofol erhalten hatten. „Ein Patient, der mit einer Medikamentenvergiftung z.B. einer Barbituratvergiftung in die Klinik gebracht wird, kann zwar auf den ersten Blick wirken wie hirntot“, erklärt Ferbert. Doch die Richtlinien der BÄK sähen explizit vor, dass die Ursachen für einen Hirntod klar sein müssten. „Wenn man also feststellt, dass man nicht weiß, weshalb der Patient diese tiefe Bewusstlosigkeit hat, dann darf auf keinen Fall eine Hirntod-Diagnostik erfolgen“, erklärt Ferbert.
Vielmehr müssten Intoxikation, dämpfende Wirkung von Medikamenten, Relaxation, primäre Hypothermie, Kreislaufschock und Koma definitiv ausgeschlossen werden. „Für das Vorliegen eines Hirntods muss das Gehirn schwerste Schäden aufweisen“, so Ferbert. Infrage kämen also meist schwere Schädel-Hirnverletzungen nach Unfällen oder schwerste Schlaganfälle, und die ließen sich in der Computertomografie leicht erkennen.