Viele Daten, wenig Evidenz: Wie sinnvoll ist das Mammografie-Screening?

Dr. Erentraud Hömberg | 17. Februar 2014

Autoren und Interessenkonflikte

Die Angst vor Brustkrebs ist groß. 60% der deutschen Frauen zwischen 50 und 69 Jahren folgen alle 2 Jahre der Einladung zum Mammografie-Screening. Doch jede zweite Frau ist falsch oder unzureichend darüber informiert, was ein solches Screening bringt, so das Ergebnis des aktuellen Gesundheitsmonitors der Bertelsmann-Stiftung [1]. Fast ein Drittel der befragten Frauen glaubt sogar, die bloße Teilnahme am Screening verhindere Brustkrebs. Die meisten sind überzeugt, dass die Reihenuntersuchungen sinnvoll sind.


Dr. Rüdiger Schulz-Wendtland

Was aber kann das Screening wirklich? „Wenn wir 1000 Frauen innerhalb von zehn Jahren untersuchen, entdecken wir 4 Karzinome ohne Screening. Mit Screening entdecken wir 5“, sagt Dr. Rüdiger Schulz-Wendtland, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Senologie, gegenüber Medscape Deutschland zu den bisherigen Ergebnissen der deutschen Reihenuntersuchung.

Im British Medical Journal wurden nun die aktuellen Ergebnisse einer großen kanadischen Follow-up-Studie zum Mammografie-Screening veröffentlicht, die bereits seit 25 Jahren läuft und fast 90.000 Frauen im Alter zwischen 40 und 59 Jahren umfasst [2]. Die Ergebnisse sind ernüchternd: „Jährliches Screening reduziert die Sterblichkeit durch Brustkrebs gegenüber der normalen Vorsorgeuntersuchung nicht“, so die Autoren. Außerdem: 22% der Karzinome, die durch das Screening entdeckt wurden, waren Überdiagnosen – also harmlose Tumoren, die weder Symptome noch den Tod der Frauen verursacht hätten.

Ganz anders die schwedische Two-County-Studie. 30 Jahre dauerte der Follow-up, über 133.000 Frauen von 40 bis 74 Jahren wurden randomisiert mit bzw. ohne Screening aufgenommen. Hier konnte die Brustkrebssterblichkeit in der Screening-Gruppe relativ um 36% gesenkt werden [3].

Schlechte Daten – gute Daten: Alle in einen Topf

„Ohne jede Frage haben die heute wesentlich besseren Behandlungsmöglichkeiten zum Rückgang der Krebssterblichkeit geführt.“
Prof. Dr. Rüdiger Schulz-Wendtland

Prof. H. Gilbert Welch vom Dartmouth Institute for Health Policy and Clinical Practice in Hanover, New Hampshire, USA, nahm sich vor allem diese beiden Untersuchungen vor, um in einem JAMA-Artikel Nutzen und Schaden des Mammografie-Screenings zu bewerten [4]. Er stellte die negativen Ergebnisse der kanadischen Studie den positiven Resultaten der schwedischen Studie gegenüber, um die Schwankungsbreite der Todesfälle zu ermitteln, die durch die Reihenuntersuchungen verhindert worden waren: Bei 1.000 Frauen, die innerhalb eines Zeitraums von 10 Jahren jährlich gescreent wurden, betrug die Zahl der geretteten Frauen 0,3 in der kanadischen und 3,2 in der schwedischen Studie.

Die Spannweite der Rate dafür in Kauf zu nehmender falsch-positiver Befunde mit anschließender Biopsie lag nach Welchs Ermittlungen dagegen zwischen 490 und 670 von 1000 Frauen, so viele wurden also ohne Grund geängstigt. Auch bei den Überdiagnosen und Übertherapien hielt sich der Mediziner an die höchsten und niedrigsten Einschätzungen. Dabei kam er auf einen Wert zwischen 3 und 14 Frauen von 1000, die innerhalb von 10 Jahren aufgrund des Screenings unnötig behandelt wurden.

„Je besser die Therapie für eine klinische Krankheit wird, desto weniger nützt das Screening.“
Prof. H. Gilbert Welch

Zweifel an der Relevanz von Langzeitstudien

Seine Daten sollen Frauen bei der Entscheidung helfen, ob sie an einem Mammografie-Screening teilnehmen wollen oder nicht, sagt Welch. Doch im Grunde handelt es sich nur um Zahlenspielereien eines Epidemiologen. Denn – und das betont er selbst – an der Relevanz dieser Langzeitstudien sind große Zweifel angebracht. Die Brustkrebssterblichkeit ist in den vergangenen Jahren erheblich zurückgegangen – und das liegt wohl zum geringsten Teil am Screening (s.a. Medscape Deutschland).

Ein Vergleich zwischen sehr ähnlichen Nachbarländern (wie Norwegen und Schweden, Holland und Belgien, Irland und Nordirland), bei denen jeweils eines die Reihenuntersuchungen eingeführt hatte und das andere nicht, zeigt jeweils die gleichen Rückgänge der Mortalitätsraten: Zwischen 1989 und 2006 sank die Zahl der Brustkrebstoten um 16 bis 29% – egal ob gescreent wurde oder nicht [5].

„Wichtig ist für mich, dass wir bei dieser extremen Nähe von Nutzen und Nicht-Nutzen die Frauen adäquat und sorgfältig aufklären.“
Prof. Dr. Jürgen Windeler

„Ohne jede Frage haben die heute wesentlich besseren Behandlungsmöglichkeiten zum Rückgang der Krebssterblichkeit geführt“, betont auch Schulz-Wendtland, Radiologe am Universitätsklinikum Erlangen und nach eigenen Worten „überzeugter Screener“, gegenüber Medscape Deutschland: „Inzwischen sind selbst fortgeschrittenere Brustkarzinome sehr gut zu behandeln. Ich bin sicher, dass die Kombination von Mammografie-Screening und der verbesserten postoperativen Therapie Synergieeffekte sind, die ineinander übergehen. Dass das Absetzen der Hormontherapie auch eine Rolle gespielt hat, kann man nicht beweisen, liegt aber nahe.“

In der neuen digitalen Röntgentechnik, die seit 2008 in Deutschland flächendeckend für das Screening verwendet wird, sieht der Radiologe einen enormen Vorteil gegenüber allen älteren Studien: „Wir entdecken nun auch Tumore, die wesentlich kleiner sind“. Im neuen Evaluationsbericht des deutschen Screening-Programms, der auf dem Kongress der Deutschen Krebsgesellschaft im Februar vorgestellt wird, beträgt der Anteil der duktalen Karzinome in situ (DCIS) bereits 20%.

Machen bessere Therapien das Screening überflüssig?

Ist es wirklich ein Erfolg, wenn jede Mikroverkalkung entdeckt wird? Viele dieser Krebsvorstufen würden die betroffenen Frauen ihr Leben lang weder bemerken, noch würden sie daran sterben. Das Screening jedoch bringt sie ans Licht und setzt sie in den Köpfen fest: als Unsicherheit, als Angst, schlimmstenfalls als Nocebo-Effekt, der aus einem harmlosen Knötchen einen bösartigen Tumor wachsen lässt.


Prof. Dr. Jürgen Windeler

Die Autoren der kanadischen Studie richten einen Appell an die Gesundheitspolitik, das Grundprinzip des Mammografie-Screenings neu zu bewerten und möglicherweise abzuschaffen, weil es für Frauen unter 60 Jahren keinen Nutzen bringt, dafür aber die exzellente klinische Behandlung weiter auszubauen. Auch US-Mediziner Welch konstatiert: „Je besser die Therapie für eine klinische Krankheit wird, desto weniger nützt das Screening. Es gibt z.B. kein Lungenscreening mehr, seit wir Lungenentzündungen gut behandeln können“.

So weit will Prof. Dr. Jürgen Windeler, Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), nicht gehen. Gegenüber Medscape Deutschland sagt er:„Es gibt gute Argumente dafür, dass das Screening ein bisschen etwas bringt. Und es gibt gute Argumente dafür, dass es nicht viel bringt. Wichtig ist für mich, dass wir bei dieser extremen Nähe von Nutzen und Nicht-Nutzen die Frauen adäquat und sorgfältig aufklären.“ In Deutschland sei die Situation ohnehin anders als z.B. in den USA und in Kanada: Hierzulande gibt es kein Screening bei jüngeren Frauen, und die Intervalle sind nicht ein- sondern zweijährig. Deshalb spielten die Überdiagnosen eine etwas geringere Rolle.

„Wir tun gut daran“, resümiert Windeler, „solche Reihenuntersuchungen regelmäßig zu überdenken und eventuell neu zu justieren. Die Datenlage und die Evidenz ändern sich. Zwar langsam, aber sie ändern sich. Wenn wir einen deutlichen Schaden feststellen, wäre das ein Grund, mit dem Mammografie-Screening aufzuhören. Aber wir wissen aus der Wirtschaftspsychologie, dass es nicht leicht ist, die Investitionen in ein Unternehmen zu stoppen, für das man bereits sehr viel Geld ausgegeben hat“.

Referenzen

Referenzen

  1. Gesundheitsmonitor der Bertelsmann-Stiftung und der Barmer-GEK, veröffentlicht am 13.02.2014
    http://www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xchg/SID-0A000F0A-578A23CC/bst/hs.xsl/prj_7097.htm
  2. Miller AB, et al: BMJ. 2014; 348:g366
    http://dx.doi.org/10.1136/bmj.g366
  3. Tabár L, et al: Radiology 2011; 260(3):658-663
    http://dx.doi.org/10.1148/radiol.11110469
  4. Welch H G, et al: JAMA Intern Med (online) 30. Dezember 2013
    http://dx.doi.org/10.1001/jamainternmed.2013.13635
  5. Autier P, et al: BMJ 2011; 343:d4411
    http://dx.doi.org/10.1136/bmj.d4411

Autoren und Interessenkonflikte

Dr. Erentraud Hömberg
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Schulz-Wendtland R: Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Windeler J: Es liegen keine Erklärungen zu Interessenkonflikten vor.

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