Kognitive Verhaltenstherapie bei Schizophrenie: Alternative zu Antipsychotika?

Inge Brinkmann | 17. Februar 2014

Autoren und Interessenkonflikte

Rund 50% der Schizophreniepatienten wollen oder können keine Antipsychotika einnehmen. „Müssen sie auch nicht“, sagt nun ein Team um Prof. Dr. Anthony P. Morrison von der School of Psychological Sciences der University of Manchester in Großbritannien.

Die medikamentöse Therapie mag zwar nach wie vor eine tragende Säule der Schizophreniebehandlung darstellen, doch für all jene, die sich gegen die Einnahme von Psychopharmaka entscheiden, könnte die kognitive Verhaltenstherapie eine geeignete Alternative darstellen. Darauf weisen zumindest die unlängst online im Fachblatt The Lancet publizierten Ergebnisse der einfach verblindeten, randomisierten und kontrollierten Pilotstudie der britischen Autorengruppe hin [1].


Prof. Dr. Stefan Klingberg

Um einen direkten Vergleich der Kognitiven Verhaltenstherapie mit der Pharmakotherapie ging es Morrissons Team dabei nicht. Stattdessen untersuchten sie zum ersten Mal, ob Schizophreniepatienten überhaupt von der kognitiven Verhaltenstherapie als alleinige Behandlungsstrategie profitieren können.

Kognitive Verhaltenstherapie – Ergänzung oder Alternative?

Prof. Dr. Stefan Klingberg, leitender Psychologe in der Tübinger Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, zeigt sich im Gespräch mit Medscape Deutschland erfreut über die Pilotstudie, belege sie doch einmal mehr die Wirksamkeit der kognitiven Verhaltenstherapie bei Schizophrenie. Als Vorstandsmitglied im Dachverband Deutschsprachiger PsychosenPsychotherapie e.V. (DDPP) setzt er sich seit langem dafür ein, dass die Psychotherapie in der Behandlung von Menschen mit Psychosen zu einem selbstverständlichen Angebot wird.

Als ein Statement gegen die Pharmakotherapie möchte er die Studie aber auch nicht verstanden wissen. Seiner Ansicht nach könnte es auf ein sogenanntes „Stepped care“-Modell hinauslaufen. Die Pharmakotherapie würde dabei den ersten Schritt markieren. „Wenn ein Patient allerdings – und das kommt häufig vor – die Einnahme von Antipsychotika ablehnt, könnten wir ihm eine psychotherapeutische Alternative anbieten“, sagt Klingberg.

Bislang existiert für Patienten, die die Einnahme der Antipsychotika ablehnen – sei es, weil sie die Nebenwirkungen wie gravierende Gewichtzunahmen und Stoffwechselstörungen fürchten oder weil sie sich selbst gar nicht für krank halten – keine effektive Alternative, beklagen auch Morrison und seine Kollegen in der Veröffentlichung.

Dass an Schizophrenie Erkrankte von einer Psychotherapie profitieren, ist zwar schon lange kein Geheimnis mehr. Auch die aktuelle Leitlinie Schizophrenie des britischen National Institute for Health and Clinical Excellence (NICE), die Leitlinie mit der international besten Akzeptanz, empfiehlt die Einführung von kognitiver Verhaltenstherapie und Familieninterventionen für alle Schizophreniepatienten in die Routineversorgung. Die Psychotherapie gilt dabei allerdings gemeinhin als Ergänzung zur pharmakologischen Behandlung – nicht als Ersatz.

Eine Pilotstudie – mit Stärken und Schwächen

Insgesamt 74 Patienten zwischen 16 und 65 Jahren, deren schizophrene Erkrankungen durch einen Psychiater bestätigt wurden, konnten die britischen Forscher innerhalb von 3 Jahren (2010-2013) für ihre Studie gewinnen. 37 von ihnen erhielten zusätzlich zur üblichen Behandlung eine kognitive Verhaltenstherapie, 37 nur die übliche Behandlung.

„Was unter der ‚üblichen Behandlung’ genau zu verstehen ist, wird in der Veröffentlichung leider nicht erläutert“, sagt Klingberg. Die Studie bleibt an dieser Stelle vage. Während einige Patienten offenbar regelmäßig psychosoziale Angebote wie Familieninterventionen in Anspruch nahmen, standen andere nur in unregelmäßigem Kontakt mit ihren Betreuern oder wurden sogar von Betreuungsangeboten ausgeschlossen – auch wegen ihrer anhaltenden Weigerung, Medikamente zu akzeptieren.

Wegen der geringen Teilnehmerzahl leide auch die statistische Aussagekraft der Pilotstudie, so Klingberg. Stationäre Patienten fehlten sogar ganz. Ein Plus sei jedoch die methodisch hochwertige Durchführung der Studie. „Anhand von Tonbandaufzeichnungen während der Therapiesitzungen wurde etwa sichergestellt, dass die Patienten tatsächlich alle die vorgesehene Behandlung erhielten.“ Die psychotherapeutischen Sitzungen fanden dabei wöchentlich statt und dauerten ca. 1 Stunde. Im Schnitt nahmen die Patienten an rund 13 Sitzungen teil.

Der primäre Endpunkt war der im 3-monatigen Abstand gemessene PANSS-Score (Positive and Negative Syndrome Scale), einem 30–40-minütigen, formalisierten psychiatrischen Interview, in dem 30 Symptome anhand einer  Skala von 1 (nicht vorhanden) bis 7 (extrem ausgeprägt) bewertet werden.

Antipsychotika nicht besser als kognitive Verhaltenstherapie?

Bei allen Patienten wurde der PANSS-Score zu Studienbeginn und wiederholt in etwa 3-monatigen Abständen überprüft. Zum letzten Mal wurde der Score frühestens nach 9, spätestens nach 18 Monaten ermittelt.

„Wenn ein Patient allerdings – und das kommt häufig vor – die Einnahme von Antipsychotika ablehnt, könnten
wir ihm eine psychotherapeutische Alternative anbieten.“
Prof. Dr. Stefan Klingberg

Bedeutendstes Ergebnis: Die psychotherapeutisch behandelten Patienten wiesen durchweg einen niedrigeren PANSS-Score auf als die Patienten ohne Psychotherapie. Im Mittel waren ihre Werte 6,52 Punkte niedriger. Nach 18 Monaten hatte sich zudem der Score bei 7 von 17 Patienten der Verhaltenstherapiegruppe um mehr als 50% reduziert. Eine vergleichbare Besserung trat in der Gruppe ohne Verhaltenstherapie nur bei 3 von 17 Patienten auf.

Die sogenannte Effektstärke der kognitiven Verhaltenstherapie lag damit zwar letztlich nur bei 0,4 und damit in einem mittleren Bereich. Allerdings, schreiben Morrison und Kollegen, sei dies durchaus mit den Ergebnissen aus einer großen Meta-Analyse über 15 Antipsychotika vergleichbar. Darin wurde eine mediane Effektstärke der Antipsychotika im Vergleich zu Placebo von 0,44 ermittelt [2].

Kein Evidenz-, sondern ein Umsetzungsproblem

Für Klingberg gibt es hinsichtlich der Psychotherapie von Psychosen sowieso kein Evidenz-, sondern vor allem ein Umsetzungsproblem, das sich sowohl auf die ambulante als auch auf die stationäre Versorgung erstrecke.

Die Gründe dafür seien vielfältig, sagt er. Das reiche von der mangelhaften Implementierung der Psychosen-Psychotherapie in die Weiterbildung der Psychiater und Psychotherapeuten, über zu lange Wartelisten und fehlendes Interesse bei den ambulanten Psychotherapeuten bis zur eingeschränkten Fähigkeit vieler Patienten, sich selbst aktiv einen Therapieplatz zu suchen. „Die Hürden sind für viele der Psychosepatienten einfach zu hoch“, sagt Klingberg.

Ob die Patienten letztlich eine kognitive Verhaltenstherapie oder eine andere tiefenpsychologische Intervention erhielten, sei dabei zweitrangig, meint Klingberg. Die aktuelle Studie führe nun aber hoffentlich dazu, dass der Psychotherapie bei Schizophreniepatienten vermehrt Aufmerksamkeit zuteil wird und sich die Versorgungslage für die Patienten bessere. Auf jeden Fall müsse nun weiter geforscht werden, der Pilotstudie weitere Wirksamkeitsstudien mit größerer statistischer Aussagekraft folgen.

Das fordert auch Dr. Oliver Howes vom Clinical Science Centers and Institute of Psychiatry in London in einem begleitenden Kommentar [3]. Sollten sich die Resultate dann bestätigen, hätten die Patienten – für die es bislang häufig hieß „Antipsychotika oder gar nichts“ – endlich eine echte Alternative.

Dass sich im Laufe der aktuellen Pilotstudie einige Patienten (jeweils 10 in beiden Gruppen) trotz Psychotherapie für die Einnahme von Psychopharmaka entschieden, ist für Howes dabei kein Argument gegen die kognitive Verhaltenstherapie, sondern zeige eher, dass viele Patienten die Antipsychotika periodisch verwenden würden, beispielsweise wenn sich die Krankheit verschlechtert. Für die Einhaltung des Therapieplanes sei aber auch dann eines wichtig: die Möglichkeit, zu wählen.

Referenzen

Referenzen

  1. Morrison PA, et al: Lancet (online) 6. Februar 2014
    http://dx.doi.org/10.1016/S0140-6736(13)62246-1
  2. Leucht A, et al: Lancet. 2013;382(9896):940
    http://dx.doi.org/10.1016/S0140-6736(13)60733-3
  3. Howes O: Lancet (online) 6. Februar 2014
    http://dx.doi.org/10.1016/S0140-6736(13)62569-6

Autoren und Interessenkonflikte

Inge Brinkmann
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Morrison PA, Howes O: Erklärungen zu Interessenkonflikten finden sich in den Originalpublikationen.

Klingberg S: Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

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