Wissenschaftler fordern: Schluss mit pharmafinanzierten Studien in Fachjournalen

Ute Eppinger | 10. Februar 2014

Autoren und Interessenkonflikte

Fachjournale sollten von Pharmafirmen finanzierte Studien künftig nicht mehr veröffentlichen. Das fordern nicht etwa radikale Pharmakritiker sondern Richard Smith, früherer Herausgeber des angesehenen British Medical Journal (BMJ) und Peter Gotzsche, Direktor des Nordic Cochrane Centers, in einem Artikel in eben diesem British Medical Journal [1].Schließlich, so Smith, publiziere das BMJ auch nicht länger von der Tabakindustrie gesponserte Studien.

Anderer Meinung ist Trish Groves, Leiterin der Forschungsabteilung am BMJ, wie sie im Kontra-Teil der aktuellen BMJ-Publikation schreibt. Sie stört sich an der Gleichsetzung von Tabak- und Pharmaindustrie, da beide doch sehr unterschiedliche Ziele verfolgten.


Prof. Dr. Wolf-Dieter Ludwig

Prof. Dr. Wolf-Dieter Ludwig, Chefarzt der Klinik für Hämatologie, Onkologie und Tumorimmunologie am HELIOS Klinikum Berlin-Buch und Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, hält die Kritik von Smith und Gotzsche zwar für gerechtfertigt, stellt aber im Gespräch mit Medscape Deutschland klar: „Die Vorschläge, von der Pharmaindustrie finanzierte Studien nicht mehr zu publizieren, sind unrealistisch – vor allem, da sie teilweise auf Daten basieren, die schon einige Jahre alt sind, und aktuelle Entwicklungen (z.B. EU-Verordnung über klinische Prüfungen) nicht berücksichtigen.“

Pharmafinanzierte Studien oft mit positiven Ergebnissen

Die pharmafinanzierte Forschung sei „ähnlich korrupt wie die der Tabakindustrie“, und die Ergebnisse würden publiziert, „um den kommerziellen Interessen der Firmen zu genügen“, schreiben Smith und Gotzsche: „Wir wissen schon lange, dass pharmafinanzierte Studien mit einer viel höheren Wahrscheinlichkeit für den Hersteller positive Ergebnisse erzielen als öffentlich finanzierte Studien. Der Grund ist klar: Die Differenz zwischen einer ehrlichen und einer nicht ehrlichen Datenauswertung beträgt Milliarden von Euro.“

„Die betrügerischen Studien zu manchen COX-2-Inhibitoren und selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmern sind dafür ein gutes Beispiel“, so Smith und Gotzsche und spielen dabei auf Vioxx® und Prozac® an. „Es gibt viele clevere Methoden, mit denen Unternehmen ihre Forschungen manipulieren, und zwei kürzlich publizierte Bücher nennen dafür Dutzende von Beispielen“, so die Autoren weiter. Eines der genannten Bücher ist Ben Goldacres „Die Pharma-Lüge“ [2].

Zwei Drittel der Studien sind pharmafinanziert

„Zwei Drittel der in großen Fachjournalen wie Lancet oder New England Journal of Medicine publizierten medizinischen Studien sind pharmafinanziert“, betonen Smith und Gotzsche. Hinzu komme, dass Pharmafirmen Ghostwriter engagierten, um irreführende Auswertungen in einer ganzen Anzahl zweitrangiger Publikationen unterzubringen – und Reviews davon dann in großen Journalen.

„Die Vorschläge, von der Pharmaindustrie finanzierte Studien nicht mehr zu publizieren, sind unrealistisch.“
Prof. Dr. Wolf-Dieter Ludwig

„Diese tragen oft – wie die originale Forschungsarbeit – die Namen von Meinungsbildnern, die den Artikeln Glaubwürdigkeit verleihen sollen. Diese verbreitete Praxis ist wissenschaftlicher Betrug“, meinen Smith und Gotzsche. Pharmafirmen gäben Millionen US-Dollars aus, um Reprints von gesponserten Studien zu kaufen. Damit nutzten sie den renommierten Namen des Journals, um ihre Medikamente zu promoten. Die Fachzeitenschriften wiederum verdienten gut daran.

Vier Strategien, um die Arzneimittelforschung zu verbessern

Zweifellos gebe es zu Recht Bedenken hinsichtlich der pharmafinanzierten Forschung, so Groves. Tatsächlich nutze nur eins von 10 neu genehmigten Medikamenten dem Patienten auch wirklich. Sie verweist auf Silvio Garattini und Iain Chalmers, die 4 Strategien vorschlagen, um die Ergebnisse der Arzneimittelforschung zu verbessern [3]:

  • Die Patienten sollen beim Forschungsprogramm einbezogen werden.
  • Transparenz soll zur gesetzlichen Voraussetzung bei Arzneimitteltests werden.
  • Ebenso müssen unabhängige nationale Institute und Arzneimittelbehörden bei der Evaluation eingebunden werden.
  • Für alle neuen Medikamente muss ein Zusatznutzen belegt werden können.
„Die Differenz zwischen einer ehrlichen und einer nicht ehrlichen Datenauswertung beträgt Milliarden
von Euro.“
Richard Smith und Peter Gotzsche

Es falle schwer, den gegenwärtigen Daten zu trauen, mache man sich die verbreitete Nicht-Registration und Nicht-Publikation und die selektiven Berichte über klinische, herstellerfinanzierte Studien bewusst. Groves gibt aber zu bedenken: „Es ist so, dass wir aktuell nicht genug akademisch oder öffentlich finanzierte Studien haben, so dass wir auf pharmagesponserte Studien angewiesen sind.“

Ein Verzicht auf pharmafinanzierte Studien sei auch deshalb unrealistisch, meint Ludwig, weil heute etwa 95% der für die Zulassung relevanten Studien von der Industrie gesponsert würden. „Wir haben leider viel zu wenige unabhängig finanzierte Studien zum Nutzen und zur Sicherheit von Arzneimitteln“. Bei der schwierigen Haushaltssituation dürfe mit einem Mehr an öffentlichen Geldern aber kaum zu rechnen sein, betont Ludwig gegenüber Medscape Deutschland.

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Referenzen

  1. Smith R, et al: BMJ (online) 14. Januar 2014
    http://dx.doi.org/10.1136/bmj.g171
  2. Goldacre B: Die Pharma-Lüge. Kiepenheuer & Witsch 2013
  3. Garattini S, et al: BMJ. 2009;338:b1025
    http://dx.doi.org/10.1136/bmj.b1025
  4. Goldacre BM: BMJ (online) 20. Januar 2014
    http://www.bmj.com/content/348/bmj.g171/rr/682948
  5. Godlee F: BMJ. 2012;345:e7304
    http://dx.doi.org/10.1136/bmj.e7304

Autoren und Interessenkonflikte

Ute Eppinger
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Smith R, Gotzsche P, Groves T, Ernst E, Throm S, Ludwig WD, Godlee F: Es liegen keine Erklärungen zu Interessenkonflikten vor.

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