Die Zahlen sind eindeutig – und erschreckend: Das „Sonnenbaden“ im Solarium ist jährlich für geschätzte rund 450.000 Hautkrebs-Neuerkrankungen verantwortlich, wenn man die USA, Nord- und Westeuropa sowie Australien zusammen betrachtet. Zu diesem Schluss kommt eine Gruppe von Wissenschaftlern um Mackenzie R. Wehner von der dermatologischen Fakultät der Universität von Kalifornien in San Francisco [1].

Die Autoren werteten in einer Meta-Analyse bereits publizierte Daten zur Nutzung von Sonnenstudios und anderen UV-Bestrahlungseinrichtungen zur kosmetischen Bräunung in den genannten Gebieten aus und kombinierten sie mit ebenfalls bereits zuvor veröffentlichten Angaben zum relativen Risiko, aufgrund künstlicher UV-Strahlung an einem Basalzellkarzinom, einem Plattenepithelzellkarzinom oder einem malignen Melanom zu erkranken.
„Diese Studie ist wichtig und das Ergebnis durchaus plausibel, auch wenn es kühn erscheint, von unterschiedlichen Forschern weltweit erhobene Daten miteinander in Beziehung zu setzen“, erklärt gegenüber Medscape Deutschland Prof. Dr. Eckhard Breitbart von der Arbeitsgemeinschaft Dermatologische Prävention (ADP) e. V..

„Die Studie wurde mit den richtigen statistischen Methoden nach hohen wissenschaftlichen Standards durchgeführt und in einer sehr renommierten Zeitschrift veröffentlicht“, ergänzt Prof. Dr. Sven Schneider, Epidemiologe am Mannheimer Institut für Public Health der Universität Heidelberg. „Auch Richard Wender, Chief Cancer Control Officer der American Cancer Society, hat die Studie als ‚außerordentlich glaubwürdig‘ bezeichnet.“
Vor allem weißer Hautkrebs durch Solarien
Der überwiegende Teil der in der Studie auf die Solariennutzung zurückgeführten Hautkrebserkrankungen, nämlich rund 440.000, entfällt auf den sogenannten weißen Hautkrebs, also auf Basallzell- und Plattenepithelkarzinome. Breitbart warnt jedoch ausdrücklich davor, diese vermeintlich harmloseren Spielarten des Hautkrebses auf die leichte Schulter zu nehmen: „Melanome metastasieren und töten oft schnell. Das ist zweifellos tragisch. Aber ist eine Entstellung durch ein im Bereich der Nase oder Ohren wucherndes Basallzellkarzinom, das dann großflächig herausgeschnitten werden muss, für die Betroffenen wirklich weniger dramatisch? Wir haben im Jahr rund 120.000 Neuerkrankungen in Deutschland. Allein aufgrund dieser hohen Zahl und der langfristigen, entstellenden Folgen ist das Basalzellkarzinom eine sehr teure Krebserkrankung für die Gesellschaft. Beim selteneren Plattenepithelkarzinom kommt noch hinzu, dass auch dieses metastasieren und zum Tode führen kann.“

Dr. Rüdiger Greinert von der European Society of Skin Cancer Prevention e.V. (EUROSKIN) weist darauf hin, dass bei diesen hohen Erkrankungszahlen selbst ein geringer Prozentsatz tödlich verlaufender Erkrankungen bedeute, dass mehrere Tausend Menschen vorzeitig sterben – und etliche davon, weil sie sich der schädigenden UV-Strahlung im Solarium ausgesetzt hätten.
Auch in Deutschland nutzen Minderjährige Solarien – trotz Verbot
Die Autoren um Wehner ermittelten getrennt nach 3 Altersgruppen, wie viele Menschen jeweils im vergangen Jahr vor der Erhebung oder überhaupt jemals ein Solarium genutzt hatten. Unter Erwachsenen ab 19 Jahren hatten 35,7% (95%-KI: 27,5–44,0%) jemals und 14,0% im vergangenen Jahr die künstliche Sonne genutzt. Unter Jugendlichen bis einschließlich 18 Jahren waren es 19,3% (95%-KI:11,5–16,5%) bzw. 18,3 % (95%-KI:12,6–24,0%).
Am höchsten war der Anteil der Solarium-Nutzer in der gesondert erfassten Gruppe der US-amerikanischen Collegestudenten mit 55,0% (95%-KI: 33,0–77,1%) überhaupt und 43,1% (95%-KI: 21,7–64,5%) im vergangenen Jahr. Der hohe Anteil der jugendlichen und jungen Solarienbesucher erregte besondere Besorgnis bei den Autoren, da bekannt ist, dass besonders frühe Schädigungen der Haut durch UV-Licht spätere Krebserkrankungen begünstigen.

Da in Deutschland die Solariennutzung für Minderjährige inzwischen verboten ist, sollte zumindest für diese Gruppe keine Gefahr durch künstliche Sonnenbäder mehr bestehen. Auf Nachfrage von Medscape Deutschland erklärte Dr. Katharina Diehl vom Mannheimer Institut für Public Health der Universität Heidelberg dazu: „In der Tat gilt seit August 2009 in Deutschland ein Gesetz, das Minderjährigen die Nutzung von Solarien untersagt. Allerdings konnten wir in unserer bundesweiten Solarien-Studie, der von der Deutschen Krebshilfe e.V. geförderten SUN-Study 2012, die deutlich nach Einführung des Gesetzes durchgeführt wurde, feststellen, dass Minderjährige trotzdem weiterhin Solarien nutzen.
Insgesamt hatten rund 9% der befragten 14- bis 17-Jährigen jemals ein Solarium genutzt, während sich rund 5% nach eigenen Angaben sogar innerhalb der letzten 12 Monate mindestens einmal künstlicher UV-Strahlung ausgesetzt hatte.“ Schneider ergänzt: „Die Nutzung durch Minderjährige ist relativ gesehen in Deutschland also geringer als in einigen anderen Staaten, absolut gesehen aber dennoch beunruhigend hoch.“
Braune Haut ist kein Zeichen für Gesundheit – eher Vorbote von Krankheit
In ihrer Veröffentlichung fordern die Studienautoren, dem durch Solariennutzung entstehenden Gesundheitsrisiko mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Die künstlichen Sonnenbäder vergleichen sie mit dem Rauchen und hoffen, dass sich Lektionen, die im Rahmen der Bekämpfung des Rauchens gelernt wurden, hier anwenden lassen. Sie plädieren z.B. für Werbeverbote, Besteuerung, Nutzungsverbote für Minderjährige und umfassende politische Maßnahmen, die zu einem Bewusstseinswandel in der Gesellschaft beitragen.
ADP-Sprecher Breitbart sieht für Deutschland in dieser Hinsicht ein ausgeprägtes Generationengefälle: „Besonders von Älteren – auch von Ärzten, selbst von manchen Hautärzten – hören Sie noch, dass braune Haut doch ein Zeichen von Gesundheit sei. Dazu muss man zweierlei bedenken: Erst seit 1963 wissen wir überhaupt, dass UV-Strahlung Mutationen auslösen kann, die wiederum später zu Hautkrebs führen können. Vorher gab es nur Vermutungen, dass Sonneneinstrahlung und Hautkrebs zusammenhängen können.
Außerdem hat die ältere Generation noch die Zeit nach dem Krieg erlebt, als man Kinder so viel wie möglich in die Sonne geschickt hat, um einem Vitamin-D-Mangel entgegenzuwirken, der sich in den Hungerjahren noch nachteiliger ausgewirkt hätte als heute. Es steht aber zu hoffen, dass sich bei jüngeren Menschen stärker die heutige Erkenntnis durchsetzt, dass braune Haut eben nicht gesund ist.“
Greinert von EUROSKIN ergänzt: „Es ist tatsächlich so, dass der Wellenlängenbereich der Strahlung, der zur Produktion von Vitamin D genutzt wird, fast identisch mit dem ist, der die Schädigungen der DNA verursacht, die das Risiko für Hautkrebs erhöhen. Das gilt für den Aufenthalt in der Sonne genauso wie für das Solarium. Wir raten daher von der Nutzung künstlicher UV-Strahlung zur Bekämpfung eines nachgewiesenen Vitamin-D-Mangels ab und plädieren im Bedarfsfall für eine Substitution mit Tabletten. Auch gibt es noch keine ausreichende Datengrundlage, die eine protektive Wirkung von Vitamin D gegenüber anderen Krebsarten wirklich belegt. Bisher haben wir nur Beobachtungsstudien und Vermutungen, die eine gezielte UV-Bestrahlung keinesfalls rechtfertigen.“
Restriktionen für Solarien bisher nicht erfolgreich
Angesichts der hohen und weiter steigenden Erkrankungszahlen auch in Deutschland, über die zuletzt die Barmer GEK in ihrem Arztreport 2014 berichtete, schließen sich die von Medscape Deutschland befragten Experten der Forderung der Studie an [2]. Diehl: „In den letzten fünf Jahren wurde zunehmend auch in den Massenmedien über die Risiken der Solariennutzung berichtet. Neben dem Nutzungsverbot für Minderjährige gibt es seit 2012 Vorschriften zur Beratung in Sonnenstudios, zur Qualifikation von Fachpersonal und zu Anforderungen an die Geräte.
Allerdings gibt es Länder, die noch weiterreichende Gesetze haben. Zum Beispiel hat Brasilien Solarien komplett verboten. In einigen anderen Ländern, unter anderem Frankreich, gilt ein Verbot von sogenannten ‘Münzsolarien‚, also Solarien, die frei zugänglich in Schwimmbädern oder Fitnessstudios stehen. In Deutschland ist qua Gesetz bei diesen Solarien noch nicht einmal Beratungspersonal notwendig, sofern nicht mehr als zwei Solarien aufgestellt sind. Das heißt, an diesen Solarien findet keine Kontrolle statt und Minderjährige könnten solche Solarien ungehindert nutzen.“
Zur Frage, ob sich die Aufklärungsbemühungen der vergangenen Jahre bereits in einem Rückgang der Solariennutzung niederschlage sagt Schneider: „In der Presse war zu lesen, dass die Zahl der Sonnenstudios sich zwar seit der Jahrtausendwende halbiert habe, aber Deutschland noch immer die höchste Solariendichte in Europa aufweise und die Umsätze zuletzt wieder stiegen. In Ermangelung eines Monitorings und einer neutralen wissenschaftlichen Längsschnittbeobachtung wissen wir hierzulande also bis dato nicht, ob die Solariennutzung in der Bevölkerung ansteigt oder ob sie rückläufig ist.“
Aufgrund der Erfahrungen, über die Experten aus anderen Ländern auf internationalen Tagungen berichten, ist Greinert pessimistisch: „In Brasilien sind Solarien verboten – aber es gibt sie wohl immer noch, und das in einem Land, in dem die Sonne so viel scheint, dass man nicht einmal versteht, warum es überhaupt Sonnenbänke gibt. Ähnlich ist es in Australien: Dort ist das Bewusstsein für die Gefahren der natürlichen Sonne inzwischen zwar deutlich gestiegen, aber ein australischer Strahlenschutzexperte hat uns kürzlich erzählt, dass manche Menschen dort nach dem Strandbesuch noch ins Solarium gehen, weil die Solarienbetreiber überzeugend die Botschaft vermitteln, dass Solariensonne die gesunde Alternative zum Sonnenbad an der frischen Luft sei. Auf unseren Tagungen wird der Ruf nach einem allgemeinen Solarienverbot immer lauter, da es offensichtlich nicht möglich ist, die Bevölkerung von den sehr realen Gefahren zu überzeugen.“
Tagungen wird
der Ruf nach
einem allgemeinen Solarienverbot
immer lauter, da es offensichtlich nicht möglich ist, die Bevölkerung von den sehr realen Gefahren zu überzeugen.“
Mit ihrer im Januar 2014 neu aufgelegten Broschüre „Krebsrisikofaktor Solarium“ trägt auch die Deutsche Krebshilfe zu den Aufklärungsanstrengungen bei [3]. In der Broschüre wird vom Solarienbesuch generell abgeraten. Für Unbelehrbare werden Mindestanforderungen aufgezählt, die ein Solarium erfüllen soll – darunter auch ein Bestrahlungswert von maximal 0,3 W/m², der nicht überschritten werden darf. Dazu merkt Greinert jedoch an: „Das entspricht einem UV-Index von 12 – und das bedeutet Sonneneinstrahlung wie bei wolkenlosem Himmel zur Mittagszeit am Äquator. Zum Vergleich: Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt bereits ab einem UV-Index von 8, sich in geschlossenen Räumen aufzuhalten, um unnötige Strahlenbelastung zu vermeiden und das Hautkrebsrisiko nicht zu steigern.“