Brustschmerz: Neue Biomarker-Schnelltests können Infarkt rasch ausschließen

Julia Rommelfanger | 5. Februar 2014

Autoren und Interessenkonflikte

Bei Brustschmerzen, die auf ein akutes Koronarsyndrom (ACS) hindeuten, lässt sich die Diagnose durch ein neues Testverfahren erheblich beschleunigen, so die Erkenntnis aus einer randomisierten Single-Center-Studie in Neuseeland, die in JAMA Internal Medicine erschienen ist [1]. Die schnelle Diagnostik, die akute kardiovaskuläre Ursachen ausschließen soll, basiert auf einem Troponin-Test, der bei der Aufnahme und 2 Stunden danach gemacht wird. 

Risikoschwaches Patientenkollektiv schmälert Ergebnis

Dr. Martin Than am Christchurch Hospital in Neuseeland war Leiter der Studie. 52 der 270 Patienten (19,3%), die nach dem schnellen Diagnoseprotokoll untersucht worden waren, konnten innerhalb von 6 Stunden entlassen werden, gegenüber 11% in der Kontrollgruppe, die nach dem Standard-Protokoll (2. Troponin-Test nach 6-12 Stunden, Beobachtung und/oder Aufnahme; evtl. Belastungs-EKG) untersucht worden waren. Weitere 35 Patienten in der experimentellen Gruppe hatten laut Schnelltest ein niedriges kardiales Risiko, wurden jedoch trotzdem aufgenommen „von ihrem behandelnden Arzt (der offensichtlich dem beschleunigten Diagnoseprotokoll nicht traute)“, bemerkt Editorialist Dr. Peter Rahko von der Universität Wisconsin, USA [2]. Keiner dieser Teilnehmer hatte ein kardiovaskuläres Ereignis innerhalb von 30 Tagen.

Das Auftreten schwerer kardialer Ereignisse (major adverse cardiac events, MACE) innerhalb von 30 Tagen nach der Entlassung war ein sekundärer Endpunkt der Studie. Lediglich einer der Patienten in der experimentellen Gruppe erlitt ein MACE während dieser Beobachtungszeit. In der Kontrollgruppe gab es im gleichen Zeitraum keine MACE.


Prof. Dr. Martin Möckel

„In dieser Studie wurden nur diejenigen Patienten ausgesucht, die keinerlei Komplikationen hatten. Von 3.594 evaluierten Personen wurden letztendlich nur 542 in die Studie eingeschlossen. Es handelte sich also um ein insgesamt sehr risikoarmes Patientenkollektiv, bei dem keine Events zu erwarten waren“, bemerkt Prof. Dr. Martin Möckel, Ärztlicher Leiter der Notfallmedizin an der Berliner Charité, gegenüber Medscape Deutschland. Somit überrasche ihn die frühe Entlassung dieser Patienten nicht. „Das Ergebnis besagt nur, dass das 2-Stunden-Protokoll funktioniert“, so Möckel. „Interessanter wäre das Studienergebnis bei einer höheren Eventrate.“

„Wenn die Ärzte den experimentellen Diagnoseweg statt dem Standard-Protokoll wählten, konnten doppelt so viele Patienten mit Brustschmerz früh entlassen werden“, erklären Than et al. Ihre Ergebnisse bestätigten die positiven Erkenntnisse mit dem beschleunigten Diagnoseprotokoll aus der ADAPT-Beobachtungsstudie  und seien „der erste Nachweis für den effektiven Einsatz des Protokoll im Klinikalltag“ [3].

Neuer Biomarker Copeptin verkürzt Diagnose weiter

„Die Arbeit ist zwar als randomisierte Studie interessant, jedoch mit kleinem Ergebnis“, sagt Möckel. Es handle sich nicht um eine Outcome-Studie im Gegensatz zu seiner eigenen internationalen randomisierten Studie, der BIC-8-Studie (Biomarkers in Cardiology-8), in der ebenfalls ein verkürztes Diagnose-Protokoll unter Einbindung des Biomarkers Copeptin bei Brustschmerzpatienten getestet wurde. Die Ergebnisse der Studie hatte Möckel beim Jahreskongress der European Society of Cardiology 2013 in Amsterdam präsentiert (Medscape berichtete) [4].

„Das Ergebnis besagt nur, dass das 2-Stunden-Protokoll funktioniert.“
Prof. Dr. Martin Möckel

Copeptin (CT-ProVasopresssion) ist ein Marker für Vasopressin, der bei der Freisetzung von Vasopressin abgespalten wird. Durch die Kombination eines Troponin-Tests mit einem Copeptin-Test konnten in der Studie von Möckel et al 66% der Patienten direkt aus der Notaufnahme entlassen werden. Das war nur bei 12% der Patienten der Fall, die die konventionelle Diagnostik durchliefen.

Als Maß für die Sicherheit dieser neuen Test-Kombination diente als primärer Endpunkt die Rate kardialer Ereignisse nach 30 Tagen, die in der Copeptin-Gruppe 5,46% und in der Standard-Gruppe 5,50% betrug. Überwiegend sei bei diesen Patienten eine perkutane transluminale koronare Angioplastie (PTCA) notwendig gewesen und gestorben sei keiner der entlassenen Patienten, erklärt Möckel.

„Der Doppel-Biomarker-Test gibt sehr schnell Sicherheit darüber, dass keine Lebensgefahr besteht“, sagt Möckel. „Sobald die Ergebnisse publiziert sind, werden wir dieses Protokoll in der Charité implementieren.“

„Wenn die Ärzte den experimentellen Diagnoseweg statt dem Standard-Protokoll wählten, konnten doppelt so viele Patienten mit Brustschmerz früh entlassen werden.“
Dr. Martin Than und Kollegen

Auch Rahko erwähnt in seinem Editorial den Copeptin-Test als Option zur weiteren Beschleunigung einer Diagnose, der in Kombination mit einem Troponin-Test „eine sofortige Triage der Patienten ermöglicht, was die Anzahl der Patienten, die länger beobachtet oder aufgenommen werden müssen, weiter reduziert“, schreibt er.

Than und Kollegen weisen auf die „wichtigen Folgen des Studienergebnisses für die Ressourcen im Gesundheitssektor“ hin. Eine beschleunigte Diagnose, sagen sie, könne überfüllte Notaufnahmen vermeiden und Geld sparen. Auch Möckels neues Protokoll soll Kapazitätsengpässen in den Kliniken entgegenwirken. „Immer mehr Patienten drängen in die Notaufnahmen – das macht große Probleme“, sagt er. Nur bei 10% der Patienten mit unklarem Brustschmerz bestätigt sich der Verdacht auf ACS.

Brustschmerzambulanzen: Finanzierung fehlt

Als Anlaufstellen für Risikopatienten sollen hierzulande nach dem Vorbild in den USA hoch spezialisierte Brustschmerzzentren – sogenannte Chest Pain Units (CPU) – dienen. Von der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) wurden bisher deutschlandweit 188 dieser Spezialeinheiten zertifiziert.

„Der Doppel-Biomarker-Test gibt sehr schnell Sicherheit darüber, dass keine Lebensgefahr besteht. Sobald die Ergebnisse publiziert sind, werden wir dieses Protokoll in der Charité implementieren.“
Prof. Dr. Martin Möckel

Für eine Entlastung der klinischen CPUs und eine Filterung von Risikopatienten sollten die ebenfalls von der DGK zertifizierten Brustschmerzambulanzen (BSA) sorgen. Diese Zentren werden zu 95% von niedergelassenen Kardiologen betrieben und sind unter der Woche von 8 bis 18 Uhr geöffnet.

„Patienten mit akuten Beschwerden werden ohne Wartezeit von einem Spezialisten für Kardiologie und Innere Medizin in weniger als zwei Stunden untersucht. Die 90%, bei denen wir die Gefahr für ein ACS ausschließen können, werden weiter ambulant betreut, Risikopatienten in eine CPU eingeliefert“, erklärt Dr. Stefan Perings vom Cardio Centrum Düsseldorf, einer kardiologischen Großpraxis, die 2010 in Kooperation mit dem Universitätsklinikum Düsseldorf die erste BSA in Deutschland eröffnete.

„So werden die Notaufnahmen nachweislich entlastet, weil Patienten ohne Risiko vorher herausgefiltert werden. Das Konzept ist schlüssig. Allerdings versorgen wir diese Zusatzpatienten quasi umsonst, da bislang keine zusätzlichen Vergütungen von den Krankenkassen gezahlt werden“, sagt Perings, der das DGK-Zertifizierungsgremium für BSA leitet. Aus diesem Grund gebe es bundesweit aktuell auch nur 24 BSA. „Wenn die Finanzierung stünde, wären 1.000 niedergelassene Kardiologen sofort an Bord“, prophezeit er.

Referenzen

Referenzen

  1. Than M, et al: JAMA Intern Med. 2014;174(1):51-58
    http://dx.doi.org/10.1001/jamainternmed.2013.11362
  2. Rahko PS: JAMA Intern Med. 2014;174(1):59-60
    http://dx.doi.org/10.1001/jamainternmed.2013.9978
  3. Than M, et al: J Am Coll Cardiol 2012;59(23):2091-8
    http://dx.doi.org/10.1016/j.jacc.2012.02.035
  4. European Society of Cardiology: ESC Congress (ESC), 15. Jahreskongress 2013, 31. August bis 4. September 2013, Amsterdam
    Moeckel M: Hot Line Session IV
    http://spo.escardio.org/CongressReportViewer.aspx?eevtid=60&presID=90693#.Uud9pdKIWUl

Autoren und Interessenkonflikte

Julia Rommelfanger
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Than M: hat Fördergelder erhalten von Alere, Abbott, Beckman und Roche für Vorträge und zur Unterstützung anderer Forschungsprojekte.

Rahko PS: Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Möckel M, Perings S: Es liegen keine Erklärungen zu Interessenkonflikten vor.

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