Weltkrebstag: Neues zum Zusammenhang von Ernährung und Krebsrisiko sowie Theorien über einen „Rinderfaktor“

Maren Schenk | 3. Februar 2014

Autoren und Interessenkonflikte


Prof. Dr. Otmar D. Wiestler
© DKFZ

Heidelberg Kaum ist eine der wesentlichen exogenen Krebsursachen auf dem Rückzug – das Rauchen – erscheint eine neue am Horizont: „Der Komplex Fehlernährung, Übergewicht und Metabolisches Syndrom wird sich voraussichtlich in den nächsten Jahren zu einem wesentlichen Risikofaktor für Krebs entwickeln“, sagte Prof. Dr. Otmar D. Wiestler, Vorstandsvorsitzender des DKFZ, bei einem Presseworkshop in Heidelberg anlässlich des Weltkrebstags am 4. Februar.

Das Rauchen sei zwar immer noch der größte Verursacher von Krebs, zumindest in den Industrieländern, nehme aber erfreulicherweise langsam ab – dieser Trend sei ermutigend. Bisher noch unterschätzt, werde der Ernährungs-Komplex bei derzeit 1,6 Milliarden Übergewichtigen weltweit als Risikofaktor für Krebs enorm an Bedeutung gewinnen, so Wiestler. Konsequent wird dies jetzt auch am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg genauer erforscht.

Epidemiologische Studien weisen auf einen Zusammenhang zwischen bestimmten Ernährungsgewohnheiten und manchen Krebsarten hin. Je höher beispielsweise der tägliche Verzehr von rotem Fleisch und Fleischprodukten sei, desto größer sei das Risiko für Kolorektalkarzinome, erklärte Prof. Dr. Rudolf Kaaks, Leiter der Abteilung Epidemiologie von Krebserkrankungen im DKFZ in Heidelberg. Dagegen sinke das Risiko, je mehr Fisch man esse.

Kaaks ist einer der Studienleiter der prospektiven Kohortenstudie EPIC (European Prospective Investigation in Nutrition and Cancer). An dieser europäischen Multicenterstudie nahmen von 1992 bis 2000 mehr als 500.000 Personen teil: Sie füllten Fragebögen zu ihren Ernährungsgewohnheiten und ihrem Gesundheitsstatus aus, mehr als 400.000 von ihnen haben zusätzlich auch Blutproben abgegeben, erklärte Kaaks. EPIC zeigte z.B., dass bei Frauen mit höherem Verzehr von gesättigten Fettsäuren das Brustkrebsrisiko schwach erhöht sei.


Prof. Dr. Rudolf Kaaks
© DKFZ

„Alkohol ist ein extrem wichtiger Risikofaktor für Krebs“, betonte Kaaks, vor allem in Kombination mit Rauchen werde das Risiko für Tumoren des oberen Gastrointestinaltrakts stark erhöht. Alkohol steigere auch das Risiko für Kolorektalkarzinome und Brustkrebs.

Übergewicht als Krebsrisikofaktor

Viele epidemiologische Studien zeigen auch eine Assoziation zwischen Übergewicht und erhöhtem Krebsrisiko: So steige mit zunehmendem Body-Mass-Index (BMI) das Risiko für Kolorektalkarzinome und (bei postmenopausalen Frauen) für Brustkrebs. Am stärksten seien die Assoziationen von Übergewicht und Adenokarzinomen der Speiseröhre sowie Endometriumkarzinomen, so Kaaks: „Bis zur Hälfte dieser Krebsfälle können wahrscheinlich mit Übergewicht erklärt werden.“

Inzwischen gebe es außerdem „überzeugende Beweise“, dass Übergewicht das Risiko für Pankreas- und Nierenkarzinome steigere, sowie Hinweise auf eine „wahrscheinliche Risikoerhöhung“ für Gallenblasenkarzinome.

Der Epidemiologe räumte jedoch ein, dass Fragebögen nicht „ideal“ dafür geeignet seien, um Zusammenhänge zwischen Ernährung und Krebsrisiko festzustellen. Verbesserte Methoden seien in Zukunft nötig, z.B. Ernährungstagebücher, Biomarker-Messungen oder exaktere Messungen der Körperfettverteilung. Kaaks verspricht sich weitere Erkenntnisse aus einer neuen prospektiven Studie, die demnächst in Deutschland startet: die Nationale Kohorte (Medscape Deutschland berichtete).


Prof. Dr. Stephan Herzig
© DKFZ

Hormone und Entzündungszellen bei Übergewicht

Epidemiologische Studien können keine kausalen Zusammenhänge feststellen, sondern nur Assoziationen und Risikofaktoren identifizieren. Wie der Zusammenhang von Übergewicht, Metabolischem Syndrom und Krebs auf molekularer Ebene möglicherweise erklärt werden kann, erläuterte Prof. Dr. Stephan Herzig, Leiter der Abteilung Metabolismus und Krebs des DKFZ, der Universität und des Universitätsklinikums Heidelberg.

Herzig stellte einige Mechanismen vor, wie Übergewicht das Risiko für bestimmte Krebserkrankungen beeinflussen könnte. Eine wichtige Rolle spielen wahrscheinlich Hormone. So führe die Insulinresistenz beim Metabolischen Syndrom dazu, dass der Körper immer mehr Insulin produziere. „Insulin kann im Mausmodell Zellwachstum fördern“, so Herzig.

Medikamente, die die Insulinresistenz bekämpfen, könnten infolgedessen auch eine Antitumorstrategie darstellen. So ergab z.B. eine Fall-Kontroll-Studie mit Typ-2-Diabetikern, dass unter einer Behandlung mit Metformin nicht nur den Stoffwechsel besser wurde, sondern auch das Risiko für hepatozelluläre Karzinome sank [2].

„Der Komplex Fehlernährung, Übergewicht und Metabolisches Syndrom wird sich voraussichtlich zu einem wesentlichen Risikofaktor für Krebs entwickeln.“
Prof. Dr. Otmar D. Wiestler

Auch Hormone aus dem Fettgewebe, sogenannte Adipokine, beeinflussen nicht allein den Fett- und Zuckerstoffwechsel, sondern auch das Zellwachstum, erklärte Herzig. So verringert Leptin das Hungergefühl, fördert aber das Zell- und Tumorwachstum, wie Tierexperimente ergaben.

Mit zunehmendem Übergewicht wandern immer mehr Entzündungszellen ins Fettgewebe, so Herzig, dadurch würden vermehrt entzündungsfördernde Moleküle freigesetzt und gelangten auch in andere Gewebe „Über Jahre ist Übergewicht ein chronisch-entzündlicher Prozess“, so Herzig. Im Tiermodell führten Entzündungsreaktionen über Gewebeverletzungen schließlich zur Entwicklung von hepatozellulären Karzinomen.

„Stoffwechselfehlfunktionen können Tumore größer und aggressiver machen“, fasste Herzig zusammen. Können diese aber auch ursächlich sein für Tumore? Einzelne Hinweise gebe es dafür, weitere Studien müssten folgen.

„Insulin kann im Mausmodell Zellwachstum fördern.“
Prof. Dr. Stephan Herzig

Viren und Krebs

Weitere Studien gibt es auch zum Thema Viren und Krebs. „Ungefähr 21 Prozent der weltweit auftretenden Krebsfälle werden mit Infektionen in Zusammenhang gebracht“, erläuterte Prof. Dr. Harald zur Hausen, ehemaliger Vorstandsvorsitzender des DKFZ und „Fossil“ des Zentrums, wie er sich selbst bezeichnete. Bei Zweidritteln dieser Krebsfälle spielen Viren eine Rolle, bei den restlichen Bakterien und Parasiten. So verursache beispielsweise der Bilharziose-Erreger Schistosoma vor allem in Ägypten auch Blasenkrebs.

Für 2 onkogene Virentypen gebe es inzwischen Impfungen, erklärte der Mediziner und Virologe: gegen humane Hochrisiko-Papillomaviren (high risk HPV), für deren Erforschung zur Hausen 2008 den Nobelpreis für Medizin erhielt, und gegen Hepatitis-B-Viren. Allerdings gebe es bislang nur den Beweis, dass die Impfung gegen HPV Krebsvorstufen verhindert. Eine Wirksamkeit des Impfstoffes gegen das Zervixkarzinom selbst wird sich erst in etwa 10 bis 15 Jahren statistisch aussagefähige belegen lassen, da der erste Impfstoff 2006 eingeführt wurde und die Latenzzeit bis zur Entwicklung des Karzinoms durchschnittlich 15 bis 25 Jahre dauert.


Prof. Dr. Harald zur Hausen
© DKFZ

„Das ist wichtig: Zwischen Infektion und Auftreten des Krebses liegen immer lange Latenzzeiten, manchmal bis zu 60 Jahre“, erklärte zur Hausen. Außerdem: „Es gibt keine Infektion, die zu Krebs führt, bei der nicht zusätzlich Veränderungen im Erbgut der Zelle notwendig sind.“ Bestimmte Erbanlagen müssen genetisch oder epigenetisch verändert sein, damit es später zur malignen Entartung kommt.

Arbeitshypothese: „Rinderfaktor“, der Darmkrebs fördert

Es gibt Krebsarten, bei denen Ernährungsfaktoren eine relativ klare Rolle spielen – wie bei Kolorektalkarzinomen – trotzdem könnten auch sie mit Infektionen in Verbindung stehen, vermutet zur Hausen. Er verfolgt seit einigen Jahren die „Arbeitshypothese“, dass ein „spezifischer Rinderfaktor“, möglicherweise ein Virus, die Entstehung von Darmkrebs unterstützt.

Mehr als 100 epidemiologische Studien deuten laut zur Hausen auf einen Zusammenhang hin: Das Darmkrebsrisiko sei um 20 bis 30% höher, wenn man über längere Zeiträume –
die man nicht genau definieren könne – mehr rotes Fleisch und „processed meat“ zu sich nehme (auch die Menge lasse sich nicht definieren). Unter „processed meat“ versteht man luftgetrocknetes oder geräuchertes Fleisch und Wurstwaren, die vor dem Verzehr keinen hohen Temperaturen ausgesetzt waren.

In scharf angebratenem oder gegrilltem Fleisch hatte man bereits 1987 heterozyklische aromatische Amine und Nitrosamin-Derivate als kanzerogene Chemikalien ausgemacht. Jedoch ist das Darmkrebsrisiko nur bei vermehrtem Verzehr von „rotem Fleisch“ (von Rind oder Schwein), nicht von „weißem Fleisch“ (Geflügel oder Fisch) höher – wo aber auch Karzinogene beim scharfen Braten entstehen. „Das passt eigentlich nicht“, sagte zur Hausen, „denn ein hoher Fischkonsum ist eher ein Schutzfaktor, bei Geflügelverzehr konnte kein erhöhtes Krebsrisiko festgestellt werden.“

„Es gibt keine Infektion, die zu Krebs führt, bei der nicht zusätzlich Veränderungen im Erbgut der Zelle notwendig sind.“
Prof. Dr. Harald zur Hausen

Weitere Hinweise kamen aus dem Vergleich von Kolorektalkarzinomraten in verschiedenen Ländern und den Ernährungsgewohnheiten dort: So ist die Dickdarmkrebsrate beispielsweise in Indien extrem niedrig (wo sehr wenig Rindfleisch gegessen wird), in Japan und Korea nahmen sie rund 20 Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges bzw. nach dem Koreakrieg zu – als zunehmend Rindfleisch eingeführt wurde und in Japan Shabu shabu immer populärer wurde (ein Brühfondue mit nur kurz gegarten Rindfleischscheiben), in Korea ein völlig rohes Tartar-Gericht [3].

Da manche Viren 60 bis 70 Grad Celsius überstehen, könnte der postulierte „Rinderfaktor“ ein hitzeresistentes Rindervirus sein, vermutet zur Hausen: zum Beispiel TT-Viren, eine heterogene Gruppe kleiner DNA-Viren, die vermutlich auch höhere Temperaturen überstehen und nicht ins Erbgut der Zelle eingebaut werden. Sie seien in Krebsbiopsien nachweisbar, allerdings auch in Normalgewebe, berichtete zur Hausen: „Wir wissen zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht, ob diese Viren eine Rolle spielen bei der Krebsentstehung.“ Derzeit werde im DKFZ z.B. das Blut von gesunden Kühen auf Viren hin untersucht.

Krebs-Prävention durch richtige Ernährung

Relativ einig waren sich die Experten des DKFZ, welche Empfehlungen schon jetzt gegeben werden können, um mit Ernährung und Lebensstilmaßnahmen das eigene Krebsrisiko zu senken – auch wenn weitere Studien noch eindeutige Zusammenhänge klären müssen.

„Das passt eigentlich nicht, denn ein hoher Fischkonsum ist eher ein Schutzfaktor.“
Prof. Dr. Harald zur Hausen

Dazu zählt ganz klar, nicht zu rauchen. Das Rauchen ist immer noch der wichtigste vermeidbare Krebsrisikofaktor. Dann sollte aber auch zur Krebsprophylaxe Übergewicht vermieden, bzw. reduziert werden. Einen Versuch sei es wert, wenn es auch schwierig sei, so Herzig. Nach Aussage von Kaaks ist das Abnehmen aber „ein zu seltenes Phänomen, als dass epidemiologische Belege für einen Effekt auf das Krebsrisiko ausreichen“.

Schließlich ist Bewegung, das Meiden von großen Mengen Alkohols und von rotem Fleisch zusammen mit vermehrtem Verzehr von Fisch eine Krebsprävention. Und Harald zur Hausen ergänzt: „Sie sollten den Konsum von rohem Fleisch reduzieren.“ Es gebe zwar noch keine Beweise für den „Rinderfaktor“, aber die Verdachtsmomente hält er für hinreichend.

Referenzen

Referenzen

  1. Presseworkshop zum Weltkrebstag: Deutsches Krebsforschungszentrum, 16.1.2014, Heidelberg
  2. Chen HP, et al: Gut 2013;62:606-615
    http://dx.doi.org/10.1136/gutjnl-2011-301708
  3. zur Hausen H: Internat J Cancer. 2012; 130(11):2475-2483
    http://dx.doi.org/10.1002/ijc.27413

Autoren und Interessenkonflikte

Maren Schenk
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Wiestler OD, Kaaks R, Herzig S, zur Hausen H: Es liegen keine Erklärungen zu Interessenkonflikten vor.

Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.