Anti-Amyloid-Therapie als Sackgasse: Zwei neue Antikörper versagen gegen Alzheimer

Michael Simm | 28. Januar 2014

Autoren und Interessenkonflikte

Der Versuch, die Alzheimer-Krankheit mit Antikörpern gegen Beta-Amyloid zu bekämpfen, ist erneut gescheitert. Wie im New England Journal of Medicine berichtet, war bei 4 Phase-3-Studien mit zusammen mehr als 4.500 Patienten bei den primären Zielwerten kein Nutzen der Studienarzneien Solanezumab und Bapineuzumab festzustellen [1, 2].

„Die Amyloid-Forschung erscheint zunehmend als ein sich selbst förderndes Geschäft, das schon geraume Zeit andere Denkansätze ignoriert.“
Prof. Dr. Christian Behl

Beide Moleküle sind humanisierte monoklonale Antikörper, die jeweils unterschiedliche Formen des Beta-Amyloids (Aß) binden können. Aß bildet den Hauptbestandteil jener Ablagerungen im Gehirn, die bereits Alois Alzheimer als Charakteristikum der Krankheit beschrieben hat. Es entsteht durch Spaltung aus dem Vorläuferprotein APP und spielt nach Ansicht der Mehrzahl der Forscher eine Schlüsselrolle bei der Pathogenese dieser Demenzform.

In Mausmodellen hatten beide Antikörper nicht nur eine deutliche Reduktion der Aß-Ablagerungen bewirkt, sondern auch die Gedächtnisleistung der Tiere verbessert.

Dr. Eric Karran, Forschungsdirektor der Wohltätigkeitsorganisation Alzheimer´s Research UK, und Prof. Dr. John Hardy, Leiter der Abteilung Molecular Neuroscience am University College London, stellen deshalb schon in der Überschrift zu einem Kommentar im New England Journal die besorgte Frage „Anti-Amyloid Therapie gegen die Alzheimer´sche Krankheit – sind wir auf dem richtigen Weg?“ [3]

Gegenüber Medscape Deutschland beantwortet Prof. Dr. Christian Behl diese Frage mit einem klaren „Nein“. Man habe nunmehr Milliarden in die Erforschung und die Entwicklung von Anti-Aß-Therapien gesteckt, dabei hätte man schon vor Jahren erkennen können, dass diese Forschung am Ende sei, ärgert sich der Direktor des Instituts für Pathobiochemie der Mainzer Universitätsmedizin.

„Unsere Analysen der Daten aus diesen zwei Phase-3-Studien mit Solanezumab haben keine Wirksamkeit für diesen monoklonalen Antikörper gezeigt.“
Prof. Rachelle S. Doody

„Die Amyloid-Forschung erscheint zunehmend als ein sich selbst förderndes Geschäft, das schon geraume Zeit andere Denkansätze ignoriert“, so Behl. Abgesehen von dem sehr kleinen Anteil an Patienten, deren Krankheit auf spezifischen Mutationen des Präsenilin-Gens beruht, sei die Anti-Aß-Therapie ein grundsätzlich falscher Ansatz, der den Zusammenhang zwischen der Alzheimer-Demenz und der Zellalterung ignoriere.

Die Hersteller der beiden Antikörper, die Firmen Eli Lilly (Solanezumab) bzw. Janssen und Pfizer (Bapineuzumab) waren jedoch anderer Meinung und hatten deshalb die nun veröffentlichten Studien finanziert.

Nutzen im frühen Stadium?

In den beiden doppelblinden, randomisierten und placebokontrollierten Untersuchungen mit Solanezumab hatten Patienten ab 55 Jahren im frühen bis mittleren Stadium des Leidens teilgenommen, entsprechend Werten auf der Mini-Mental State Examination-Skala (MMSE) zwischen 16 und 30. Sie erhielten die Studienarznei in einer Dosis von 400 mg oder Placebo intravenös alle 4 Wochen über 18 Monate hinweg [1].

Als primäres Maß für die Wirksamkeit der Therapie hatte die Erstautorin Prof. Dr. Rachelle S. Doody, Direktorin des Alzheimer´s Disease and Memory Disorders Center am Baylor College of Medicine (Houston, USA), mit ihren Kollegen die 11- bzw. 14-teilige Skala ADAS-cog festgelegt. Daneben wurden auch Aktivitäten des täglichen Lebens erfasst, sowie eine Reihe weiterer Parameter, einschließlich zweier Indikatoren für die Lebensqualität.

In einer im Voraus festgelegten Analyse der ersten Solanezumab-Studie (EXPEDITION 1) fanden sich keine Unterschiede in der Wirksamkeit zwischen Trägern der Genvariante ApoE4, die stark negativ mit der Prognose korreliert, und den anderen Studienteilnehmern. Verglichen wurden jedoch auch Patienten im frühen Stadium der Alzheimer-Krankheit (MMSE 20 – 26) mit solchen im mittleren Stadium (MMSE 16 – 19), und hier habe man für die erste Gruppe einen Nutzen erkennen können.

Keine Signifikanz trotz geändertem Studiendesign

„Wir habe keine signifikanten Unterschiede zwischen den Bapineuzumab-Gruppen und Placebo gefunden.“
Prof. Stephen Salloway

Wegen dieses Hinweises wurde der Plan zur statistischen Analyse von EXPEDITION 2 und der zusammengefassten Daten geändert. Als primäre Studienpopulation wurden nur noch die Patienten im frühen Stadium betrachtet. Statt wie zuvor ADAS-cog11 nutzten die Forscher nun eine andere Skala: die ADAS-cog14. Man versprach sich davon eine bessere Messung der kognitiven Veränderungen bei Patienten mit beginnender Alzheimer-Krankheit.

Trotz dieser Änderungen am Studiendesign gelang es in keiner der beiden Studien, eine signifikante Überlegenheit der Antikörper-Behandlung gegenüber Placebo nachzuweisen.

„Unsere Analysen der Daten aus diesen zwei Phase-3-Studien mit Solanezumab haben keine Wirksamkeit für diesen monoklonalen Antikörper gezeigt“, bekennen Doody und Kollegen in der Diskussion zu ihrem Artikel. Dennoch seien weitere Studien mit Solanezumab nötig – bei Patienten im frühen Stadium oder bei asymptomatischen Personen mit Evidenz für die Akkumulation von Aß im Gehirn.

Weder Zunahme noch Abnahme von Aß im Gehirn

Die Autoren der beiden ähnlich aufwändigen Studien mit dem Antikörper Bapineuzumab machen keine derartigen Vorschläge [2]. „Wir haben keine signifikanten Unterschiede zwischen den Bapineuzumab-Gruppen und Placebo gefunden – weder bezüglich der primären Endpunkte ADAS-cog11 und DAD (Disabilitiy Assesment for Dementia), noch für andere klinische Endpunkte, weder bei Trägern des ApoE4-Gens, noch bei Nicht-Trägern“, schreiben die Forscher um Prof. Stephen Salloway, Direktor der Neurologie und des Memory and Aging Program am Butler Hospital der Brown University (Providence, USA).

„Es ist sehr enttäuschend, insbesondere für die wunderbaren und hingebungsvollen Patienten.“
Prof. Stephen Salloway

Träger und Nicht-Träger des ApoE4-Gens waren in diesen Studien getrennt untersucht worden. Die Patienten waren zwischen 50 und 88 Jahren alt und hatten anfänglich einen MMSE-Wert zwischen 16 und 26. Sie erhielten Bapineuzumab oder Placebo intravenös alle 13 Wochen bis zum Endpunkt der Studie in Woche 78.

Im Gegensatz zu Solanezumab erkennt Bapineuzumab sowohl lösliches Aß als auch die aggregierte Form des Beta-Amyloids. Auch hier hatte es vielversprechende präklinische Studien gegeben, bei denen der Antikörper Mikrogliazellen zur Phagozytose der Amyloid-Plaques angeregt hatte.

In den aktuellen Studien verhinderte Bapineuzumab zwar bei den ApoE4-Trägern eine Zunahme des mit Positronenemissionstomografie (PET) nachweisbaren Aß im Gehirn, es gab aber keine messbare Reduktion gegenüber dem Ausgangswert. In der höchsten Dosis fand die Bildgebung zudem Hinweise auf Amyloid-bedingte Ödeme, was die Forscher dazu veranlasste, die Dosis des Wirkstoffs in dieser Patientengruppe zu halbieren.

Plädoyer für Tests an asymptomatischen Personen

„Es ist sehr enttäuschend, insbesondere für die wunderbaren und hingebungsvollen Patienten und ihre Familien“, erklärte Salloway in einer Pressemitteilung. „So viel Mühe haben wir auf diese Studie verwandt“, beklagte der Neurologe, der dennoch eine nützliche Erkenntnis gewonnen hat: „Alzheimer ist eine schwierige und komplexe Krankheit.“

Vielleicht müsse man Arzneimittelkombinationen erproben, die sich ja auch bei einigen Krebsformen als Lösung erwiesen hätten. Außerdem, so glaubt auch Salloway, könnte eine weitere Lektion sein, dass man diese Therapien in einem früheren Stadium testet, wenn die amyloiden Plaques sich bereits ansammeln, aber bevor der geistige Verfall einsetzt.

Referenzen

Referenzen

  1. Doodey RS, et al: NEJM 2014; 370:311-321
    http://dx.doi.org/10.1056/NEJMoa1312889
  2. Salloway S, et al: NEJM 2014; 370:322-333
    http://dx.doi.org/10.1056/NEJMoa1304839
  3. Karran E, et al: NEJM 2014; 370:377-378
    http://dx.doi.org/10.1056/NEJMe1313943

Autoren und Interessenkonflikte

Michael Simm
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Doody R: Bezahlung durch dier University of California San Diego, die wiederum als Treuhänderin einen Vertrag mit der Herstellerfirma Eli Lilly abgeschlossen hat. Zahlreiche weitere Autoren haben Honorare und / oder Forschungsgelder von Eli Lilly und anderen Firmen erhalten. Die Erklärungen zu Interessenkonflikten finden sich in den Originalpublikationen.

Salloway S: Forschungsgelder von Pfizer, Genentech und Biogen, außerdem Forschungsgelder und Honorare von Janssen, Baxter, Roche, GE, Avid/Lilly und Merck. Zahlreiche weitere Autoren haben Honorare und / oder Forschungsgelder von Janssen, Pfizer und anderen Firmen erhalten. Die Erklärungen zu Interessenkonflikten finden sich in den Originalpublikationen.

Karran E, Behl C: Es liegen keine Interessenkonflikte.

Hardy J: Vortragshonorare von Eli Lilly und Eisai

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