Kaum eine Pressemitteilung hat je für so viel Aufruhr in der Kardiologie gesorgt. Von einem Tag auf den nächsten stellt Medtronic’s Bekanntmachung die Wirksamkeit des großen Hoffnungsträgers in der Hypertonie-Behandlung in Frage (Medscape Deutschland berichtete). Die bislang größte Studie zur renalen Denervierung habe den Wirksamkeitsendpunkt verfehlt, so verkündet es der Medizintechnik-Hersteller. Das aber widerspricht nicht nur den vorangehenden Studienergebnissen, sondern auch den Erfahrungsberichten aus der Klinik. Ist die interventionelle Kardiologie etwa jahrelang einem systematischen Fehler unterlegen? Medscape Deutschland hat bei den deutschen Experten nachgefragt.

Bislang raten diese vor allem zu Zurückhaltung. Letztlich seien die Studiendaten selbst noch nicht bekannt. „Zurzeit liegen uns nur zwei wesentliche Informationen vor: Der primäre Sicherheitsendpunkt wurde erreicht, der primäre Effektivitätsendpunkt dagegen nicht“, sagt Dr. Felix Mahfoud vom Universitätsklinikum des Saarlandes in Homburg. Der Kardiologe ist Europa’s Pionier in Sachen renaler Denervierung. Die renalen Nervenfasern von mehreren Hundert Patienten wurden bereits in seiner Klinik abladiert. Weitere sollen erst einmal folgen, trotz des Ergebnisses der SYMPLICITY-HTN-3-Studie. „Im Moment gibt es keinen Grund, etwas an dem Verfahren selbst oder den Indikationen dafür zu ändern. Wir haben bereits sehr strenge Kriterien, die die Anwendung nur dann gewährleisten, wenn alle anderen Mittel zur Blutdrucksenkung bereits ausgeschöpft worden sind“, so Mahfoud.

Da die SYMPLICITY-HTN-3-Studie die Sicherheit des Verfahrens bestätigt habe, könne die renale Denervierung bei therapierefraktärer Hypertonie weiterhin durchgeführt werden. Ähnlich wird man im Hochdrucklabor der St. Barbara-Klinik in Hamm verfahren. „Wir bieten hochsymptomatischen, therapieresistenten Hypertoniepatienten, denen keine anderen Therapieoptionen zur Verfügung stehen, zunächst weiterhin die renale Denervierung an. Allerdings kläre ich den Patienten zuvor hinsichtlich der kontroversen Studienlage auf. Darüber hinaus werden sie in ein unabhängiges wissenschaftliches Register (Hochdruckregister®) eingeschlossen“, sagt PD Dr. Jan Börgel, ärztlicher Leiter des Hochdrucklabors.

Zahlreiche Studien unterbrochen
Vorerst gestoppt sind dagegen viele weitere Studien. Besonders davon ist Prof. Dr. Helge Möllmann enttäuscht. „Wir wissen nicht, wie knapp das Ergebnis war. Wir wissen nur, dass der primäre Endpunkt nicht erreicht worden ist“, sagt der stellvertretender Direktor der Abteilung Kardiologie an der Kerckhoff-Klinik in Bad Nauheim. Auf dieser Grundlage allein seien nun zahlreiche Studien unterbrochen worden. „Damit steht zu befürchten, dass wir in ein paar Jahren nur die Langzeitergebnisse von HTN-3 haben werden – die möglicherweise nur einen Teil des Gesamtbildes zeigen“, warnt Möllmann. Auch in Homburg hofft man auf weitere Untersuchungen. Und für diese könnte sich die SYMPLICITY-HTN-3-Studie sogar als äußerst nützlich erweisen, um ein optimales Studiendesign zu entwickeln. „Bevor weiter in dem Bereich geforscht wird, muss zunächst herausgefunden werden, wieso sich das Ergebnis der SYMPLICITY-HTN-3-Studie so sehr von dem vorangehender Untersuchungen unterscheidet“, sagt Mahfoud. Erst wenn mögliche Einflussfaktoren sicher identifiziert worden seien, könne das Studiendesign laufender Untersuchungen bestmöglich daran angepasst werden – sodass am Ende verlässliche Ergebnisse vorliegen würden.
Kontroverse Studienergebnisse

Tatsächlich dürfte der Einfluss gewisser Faktoren bislang dramatisch unterschätzt worden sein. Anders lässt sich kaum erklären, warum der Kardiologie derzeit so kontroverse Studienergebnisse zur renalen Denervierung vorliegen. Für die SYMPLICITY-HTN-3-Studie hatten die Forscher aus 87 US-amerikanischen Behandlungszentren nämlich eigentlich einen verhältnismäßig großzügigen Wirksamkeitsendpunkt angesetzt: 15 mmHg Unterschied zwischen Behandlungs- und Kontrollgruppe. „In vorangehenden Studien wurden Effekte von bis zu 30mmHg Blutdrucksenkung erreicht“, berichtet Prof. Dr. Erwin Blessing vom Universitätsklinikum in Heidelberg, schränkt jedoch zugleich ein: „In klinischen Registern hat sich diese drastische Senkung jedoch nicht bestätigt: Bei unseren Patienten haben wir im Schnitt eine Blutdrucksenkung von 20 mmHg in 6 Monaten feststellen können.“ Das sei allerdings zu erwarten gewesen. „Effekte, die man in Studien beobachtet, sind häufig stärker als jene, die wir im klinischen Alltag sehen“, so der Kardiologe.
Bisher ist allerdings nicht klar, wie groß der gemessene Effekt bei der SYMPLICITY-HTN-3-Studie ist – oder ob es überhaupt einen gab. Denn das könnte auch über die Zukunft der renalen Denervierung entscheiden. „Liegt der Effekt der Behandlung zwischen 10 und 15 mmHg, waren unsere bisherigen Vorstellungen vielleicht zu ambitioniert. Auch von einer Blutdrucksenkung in diesem Bereich könnten Patienten langfristig profitieren. Und womöglich könnte durch die Verbesserung der Methode eine noch stärkere Blutdrucksenkung erwirkt werden“, sagt Blessing. Sei der Unterschied dagegen nicht höher als 5mmHg, hätte die Studie eine dramatischere Bedeutung, wie er erklärt: „Dann müssten wir dringend nach einem systematischen Fehler suchen.“
Momentan wird dagegen erst einmal nach Faktoren gesucht, mit denen sich die erheblichen Unterschiede zwischen den ersten Studien und der jetzigen Untersuchung erklären lassen. Diskutiert wird dabei unter anderem die Zusammensetzung des Patientenkollektivs. „Fraglich ist, ob wir die Patienten aus den USA mit unseren europäischen vergleichen können. Fraglich ist ebenso, ob alle Teilnehmer der Studie zuvor bereits optimal behandelt worden sind“, sagt Möllmann. Außerdem sei bei der SYMPLICITY-HTN-3-Untersuchung ein Erstgenerationsgerät verwendet worden, dessen Einsatz möglicherweise nicht so reproduzierbare Ergebnisse erzielt, wie es bei moderneren Geräten der Fall ist. Doch bei alledem mahnt Möllmann zur Vorsicht: „Das sind reine Spekulationen. Gewissheit werden wir erst haben, wenn die Studiendaten publiziert worden sind.“
Methodische Vorteile von SYMPLICITY HTN-3
Dabei darf allerdings nicht vergessen werden, dass die SYMPLICITY-HTN-3-Studie ebenso erhebliche Vorteile im Vergleich zu vorangehenden Verfahren bietet. „Hier wurde zum ersten Mal mit einer Doppelverblindung gearbeitet, bei der weder Patienten noch Ärzte wussten, ob eine renale Denervierung stattgefunden hat oder nicht“, sagt Blessing. Zudem ist hierbei der Langzeitblutdruck erhoben worden - und dieser Wert sei wesentlich verlässlicher als das Ergebnis einer einmaligen Messung.
Wenn also die SYMPLICITY-HTN-3-Studie ebenso viele methodische Vorteile gegenüber vorangehenden Untersuchungen bietet – wieso fällt es dann dennoch vielen Kardiologen so schwer, zumindest vorübergehend an der renalen Denervierung zu zweifeln? Der Grund dafür liegt in den klinischen Erfahrungswerten, wie Möllmann erklärt: „Aus der klinischen Erfahrung wissen wir, dass die renale Denervation Erfolge erzielt – wenn auch nicht in dem Ausmaß, das durch die ersten Studien versprochen worden ist. Allerdings konnten wir bei vielen Patienten dadurch eine dramatische Reduktion des Bluthochdrucks erzielen.“
Ähnliches berichtet Blessing: „Viele Tausend Patienten weltweit sind mittels renaler Denervierung behandelt worden. Der Eindruck war überall derselbe: Ein Großteil der Patienten profitiert von der Behandlung.“ Zudem hätten sich bei vielen Patienten ebenso weitere Parameter wie der Glukose- und Katecholaminspiegel sowie die sympathische Aktivität positiv verändert.
Methode nun in Frage gestellt?
All das führte dazu, dass die renale Denervierung innerhalb kürzester Zeit zum neuen Hoffnungsträger im Kampf gegen die therapierefraktäre Hypertonie wurde. Viele Kardiologen sprechen von einem regelrechten Hype um die Methode. Auch dies ist einer der Gründe, warum das Ergebnis der SYMPLICITY-HTN-3-Studie so viel Gewicht hat, wie Blessing erklärt: „Uns war klar, dass das Ergebnis der Untersuchung wesentliche Auswirkungen haben kann: Entweder würde es vorhandene Zweifel ausräumen oder die Methode in Frage stellen. Nun ist letzteres der Fall.“ Börgel warnt bereits vor den Folgen: „Der teilweise inadäquate Hype könnte nun durch eine übertriebene Skepsis abgelöst werden. Beides wird dem Verfahren nicht gerecht.“ Und Blessing befürchtet, dass sich die Situation weiter verschärfen kann: „Patienten könnten zunehmend verunsichert reagieren und Krankenkassen die Erstattung der Kosten für die Behandlung verweigern.“
Damit das nicht unnötig passiert, bedarf es jetzt vor allem eins: mehr Daten. Und zwar nicht nur detaillierte Ergebnisse zur aktuellen Studie, sondern auch neue zu Studien mit künftigen Patienten. „Wichtig ist, dass jeder behandelte Patient in Studien oder Register aufgenommen wird, um so noch mehr Datensicherheit zu gewinnen“, sagt Mahfoud. Unklar bleibt indes, ob diese für Beruhigung oder noch mehr Aufruhr sorgen werden.