Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK) sieht keinen Änderungsbedarf bei der aktuellen Behandlungsstrategie mit Statinen [1]. Anlass für diese DGK-Stellungnahme sind die neuen Leitlinien der American Heart Association (AHA) und des American College of Cardiology (ACC), die auch in Deutschland für Diskussionen gesorgt haben (Medscape Deutschland berichtete).
Statt eines Zielwertes empfehlen die neuen Leitlinien eine prozentuale LDL-Reduktion sowie eine hochdosierte Statintherapie für eine Vielzahl von Patientengruppen. „Eine stärkere Betonung der Lipidtherapie als dies in den aktuellen europäischen Leitlinien schon der Fall ist, halten wir für nicht notwendig“, erklärt DGK-Präsident Prof. Dr. Christian W. Hamm.
Massive Risiko-Überschätzung durch neues Bewertungssystem möglich
Auch das neue Scoring-System, das die US-Leitlinien zur Bestimmung des Ausgangsrisikos empfehlen, ist umstritten. Die DGK betont, dass das Bewertungssystem noch nicht ausreichend durch Studien validiert sei. Das könne zu einer massiven Überschätzung des tatsächlichen Risikos führen. Möglicherweise kämen bis zur Hälfte der 33 Millionen US-Bürger im mittleren Alter durch die neue Definition als Zielgruppe für eine Statintherapie in Betracht, gibt die DGK in ihrer Stellungnahme zu bedenken.
„Eine stärkere Betonung der Lipidtherapie als dies in den aktuellen europäischen Leitlinien schon der Fall ist, halten wir für nicht notwendig. “
Zudem kritisiert die DGK, dass bei der Entscheidung über eine Statintherapie dem Gesamtrisiko ein höherer Stellenwert beigemessen werde als den erhöhten Cholesterinwerten. Bei einem Raucher mit Bluthochdruck, aber nur grenzwertig erhöhten Cholesterinwerten, sei die Lipidsenkung mit Statinen weniger sinnvoll als die direkte Beeinflussung der Risikofaktoren – also Rauchverzicht und Blutdrucksenkung, zitiert die DGK Kritiker in den USA [2].
In Europa bleibe die Basis für die Indikationsstellung auch weiterhin der ESC-Score, eine Berechnungsmethode des 10-Jahres-Risikos für tödliche kardiovaskuläre Ereignisse, die auch regionale Unterschiede in Europa berücksichtigt.
Weil in keiner der randomisierten Studien die lipidsenkende Therapie auf LDL-Zielwerte titriert wurde, sind in der neuen US-Leitlinie im Wesentlichen Dosierungsvorschläge für Statine in Abhängigkeit vom Ausgangsrisiko gemacht worden.
In Deutschland setzt man auf Ergebnisqualität
Doch in Deutschland argumentiert man dagegen: „Dennoch erscheint es uns nicht abwegig zu sein, die epidemiologisch gut belegte Assoziation zwischen LDL-Spiegeln und Krankheitshäufigkeit und die Erfahrungen aus den bisherigen Studien zwischen Intensität der LDL-Senkung und Verminderung der Ereignisrate in die therapeutischen Konzepte mit einzubeziehen, wie dies in den ESC-Leitlinien getan wird“, schreibt die DGK.
Und weiter: „Grundsätzlich betont die US-Leitlinie die Prozessqualität – also den ausschließlichen Einsatz von Statinen zur Lipidtherapie – während in Europa, wo die Statintherapie als Erst- und Haupttherapie nie in Frage stand, die Ergebnisqualität – das Erreichen von individuell definierten LDL-Zielwerten in Abhängigkeit vom Ausgangsrisiko – stärker im Vordergrund steht“.
Die Lipidtherapie sei in den europäischen Leitlinien etwas stärker in ein Gesamtkonzept der Risikominimierung eingebettet und sollte auch in Deutschland so beibehalten werden. „Eine komplette Abkehr von LDL-Zielwerten erscheint uns nicht immer patientengerecht“, so Hamm.