Die arthroskopische Teilentfernung von geschädigtem Meniskusgewebe ist eigentlich ein Standardverfahren zur Behandlung von Meniskusschäden, aber: Sollte sie das tatsächlich sein? Denn den Nutzen dieses häufigen Eingriffs stellt jetzt eine randomisierte, kontrollierte Doppelblindstudie in Frage, der zufolge die Meniskektomie keine besseren Ergebnisse erzielt als eine Schein-Operation. Das Team um Dr. Raine Sihvonen, Department of Orthopedics and Traumatology des Hatanpää City Hospitals im finnischen Tampere hat die Resultate kürzlich im New England Journal of Medicine veröffentlicht [1].
Kann die Studie nun als Argument gegen die Meniskusoperation herangezogen werden? Die Autoren ziehen genau diesen Schluss: „Diese Ergebnisse sprechen gegen die aktuelle Praxis der arthroskopischen Meniskusteilentfernung bei Patienten mit degenerativem Meniskusriss.“
Für Prof. Dr. Christian H. Siebert, Leiter der Klinik für Orthopädie und Sporttraumatologie an der Paracelsus-Klinik in Hannover-Langenhagen, lässt sich aus der Studie allerdings keine grundsätzliche Kritik an der gängigen Praxis der Meniskuschirurgie ableiten.
Denn zum einen hätte es sich bei der für die Studie durchgeführten Schein-OP nicht um eine echte Placebo-Maßnahme gehandelt, erklärt er im Gespräch mit Medscape Deutschland. Und zum anderen spiegele die Patientenauswahl nicht die Situation in der Praxis wider.
Beeinflussten die strengen Einschlusskriterien das Ergebnis?
Tatsächlich hatten die Wissenschaftler ungewöhnlich strenge Einschlusskriterien für die beteiligten Patienten festgelegt: So mussten sich zwar bei allen Teilnehmern klinische Hinweise auf einen Riss des medialen Meniskus finden lassen und die Knieschmerzen mussten seit mindestens 3 Monaten bestehen.
„Ausgeschlossen blieben allerdings von vornherein Patienten mit einem traumatischen Meniskusriss oder – und das ist mir besonders unverständlich – Patienten mit Bewegungseinschränkungen im Kniegelenk“, kritisiert Siebert. Denn diese Patienten machten das Gros in der täglichen Praxis aus.
Zumindest erklärt sich für ihn so auch die geringe Gesamt-Patientenzahl der Finnish Degenerative Meniscal Lesion Study (FIDELITY). Immerhin habe es bei 5 beteiligten orthopädischen Kliniken 5 Jahre – von Dezember 2007 bis Januar 2013 – gedauert, bis man auf eine Patientenzahl von 146 kam, so Siebert. „Das ergibt keine sechs Patienten pro Klinik pro Jahr“. Verwunderlich für den Orthopäden und Unfallchirurgen, der in seiner Klinik über 100 Meniskusoperationen im Jahr macht.
einschränkungen im Kniegelenk – das ist mir besonders unverständlich.“
Letztlich wurden alle Patienten operiert
Und die finnischen Forscher waren sogar noch strikter bei ihrer Patientenauswahl: Abgesichert wurde die Diagnose Meniskusriss zusätzlich durch eine Kernspintomografie, die endgültige Entscheidung für die Teilnahme an der Studie traf jedoch erst der Operateur bei der Arthroskopie.
„Schlussendlich wurden also alle Patienten operiert“, meint der Leiter der Sektion Sporttraumatologie der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und orthopädische Chirurgie (DGOOC). Eine echte Placebooperation hätte laut Siebert dagegen nur aus einer einfachen Hautinzision bestehen können.
Streng genommen dürften die finnischen Wissenschaftler deshalb auch nicht von einer „Schein“- oder „Sham“- Operation sprechen, meint er. Denn zumindest seien alle Kniegelenke gespült worden. „Dabei werden auch Abrieb- und Entzündungsmediatoren aus dem Gelenk gespült“, erklärt er. Nur der Meniskus sei bei der einen Patientengruppe unangetastet geblieben.
Keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen
Möglicherweise erklärten sich so auch die fehlenden signifikanten Unterschiede zwischen beiden Gruppen, meint der Mediziner.
Das finnische Wissenschaftlerteam hatte 3 primäre Endpunkte festgelegt: Den Lysholm-Score und das Western Ontario Meniscal Evaluation Tool (WOMET), beides Schemata mit einer Punktebewertung zwischen 0 (schwerste Symptome) und 100 (keine Symptome), sowie der Schmerzgrad im Knie nach einem Übungsprogramm (0=kein Schmerz; 10=extremer Schmerz).
Ein Jahr nach dem Eingriff verglichen die Autoren alle 3 Scores mit den Ausgangsdaten vor dem Eingriff. Der Lysholm-Score bei Patienten mit „echter“ Operation hatte sich zu dem Zeitpunkt im Mittel um 21,7 und mit „Schein“-Operation um 23,3 Punkte verbessert. Und auch der WOMET-Score war durchschnittlich um 24,6 („echt“) beziehungsweise 27,1 Punkte („Schein“) gestiegen. Dazu passte, dass sich auch die separat betrachteten Schmerz-Level im Knie um 3,1 („echt“) und 3,3 („Schein“) Punkte verbesserten.
Man kann die Studie auch ganz anders interpretieren
Signifikante Unterschiede zwischen beiden Patientengruppen gab es nicht. „Vielfach wird nun der Schluss gezogen, dass sich die Arthroskopie nicht lohnen würde“, sagt Siebert.
Man müsse dabei aber differenzieren. So seien bei Arthrose-Patienten durchaus Zweifel an der Sinnhaftigkeit vieler Arthroskopien angebracht. Er verweist in dem Zusammenhang auch auf eine US-Studie aus dem Jahr 2002. Damals hatten die Forscher nachgewiesen, dass arthroskopische Eingriffe (Lavage oder Débridement) bei Patienten mit degenerativer Kniegelenkarthrose die Beschwerden nicht besser linderten als eine Placebo-Inzision [2].
Die aktuelle finnische Studie könne man aber auch ganz anders interpretieren. Immerhin hätten jeweils über 60% der Patienten in beiden Gruppen von einer Linderung der Beschwerden berichtet.
„Die Schlussfolgerung der finnischen Wissenschaftler hätte deshalb auch lauten können, dass die arthroskopische Spülung bei einem degenerativen Meniskusriss helfen kann“, so der Klinikleiter. In Zeiten, in denen viel über das Für und Wider medizinischer Maßnahmen und vor allem auch über deren Kosten für das Gesundheitssystem diskutiert wird, hätte ein solches Ergebnis aber wohl deutlich weniger Aufmerksamkeit erregt.
Die neue Untersuchung stellt für Siebert jedenfalls keinen ausreichenden Grund dar, die Praxis der Meniskuschirurgie zu ändern. Und ob das Ergebnis bei einem Follow-up nach 2 bis 3 Jahren nicht doch noch deutlich positiver für die Meniskusteilentfernung ausfallen könnte, möchte er auch nicht ganz ausschließen.