„Die SYMPLICITY-HTN-3-Studie hat ihren primären Wirksamkeitsendpunkt nicht erreicht.“ Mit dieser Nachricht in Form einer kurzen Pressemitteilung vom 9. Januar 2014 sorgt der Hersteller Medtronic derzeit für einige Aufregung unter Kardiologen [1]. Die US-amerikanische Studie zur renalen Denervierung war die bislang größte, die bei Patienten mit therapierefraktärer arterieller Hypertonie das Verfahren – durchgeführt mit dem Symplicity™-Katheter des Unternehmens – prospektiv, randomisiert und kontrolliert getestet hat.
„Es handelt sich um die gründlichste Studie zur renalen Denervierung, die bislang vorgenommen worden ist und die erste, die eine Scheinprozedur beinhaltete“, wird Prof. Dr. George Bakris, Universität von Chicago, ehemaliger Präsident der US-amerikanischen Hypertonie-Gesellschaft und einer der Haupt-Studienautoren von SYMPLICITY HTN-3, in der Pressemitteilung zitiert. Studienleiter Prof. Dr. Deepak L. Bhatt, Harvard Medical School, Boston, weist in der Mitteilung darauf hin, dass der primäre Sicherheitsendpunkt jedoch erreicht worden ist. Dieser umfasste schwere unerwünschte Ereignisse innerhalb des ersten Monats nach Randomisierung sowie Nierenarterienstenosen innerhalb von 6 Monaten.

Was bedeutet diese Mitteilung nun? Zum einen: Die Prozedur der renalen Denervierung bei medikamentös nicht kontrollierbarer arterieller Hypertonie ist zwar sicher. Aber zum anderen: Sie erwies sich als nicht so effektiv wie erwartet.
In Deutschland zeigt man sich „vor allem überrascht“
„Vor allem überrascht“, zeigt sich Prof. Dr. Michael Böhm, Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg, ehemaliger Präsident der deutschen und der europäischen kardiologischen Gesellschaft (DGK und ESC) auf Nachfrage von Medscape Deutschland. „Das hätte ich nicht erwartet“, räumt der Kardiologe ein, der einer der wichtigsten Protagonisten des neuen Verfahrens in Deutschland und ebenfalls als Autor an der Studie beteiligt ist: „Wir sind selbst erst gestern Morgen um 6 Uhr informiert worden“, berichtet er.
Bei der von Medtronic herausgegebenen Mitteilung handele es sich lediglich um die Information, zu der das Unternehmen aufgrund des US-amerikanischen Aktienrechts verpflichtet gewesen sei. Detaillierte Ergebnisse lägen auch ihm bislang nicht vor: „Es ist überraschend, lässt sich aber bislang noch nicht interpretieren.“
Böhm verweist vor allem auch darauf, dass es sich in der US-Studie nicht unbedingt um eine Patientenpopulation handelte, die mit der deutschen vergleichbar ist. So ist etwa der Anteil der Schwarzen dort unter den Hypertonikern hoch – und bekanntlich sprechen diese auf antihypertensive Therapien oft anders an als die weiße Bevölkerung. „Diese Erfahrung haben wir auch in der ALLHAT-Studie schon gemacht.“ Aus welchen Bevölkerungsschichten – vor allem hinsichtlich Versicherungsstatus und Vorbehandlung – die Teilnehmer rekrutiert wurden, sei noch zu prüfen. Es gebe Hinweise, dass einige eventuell vor der Randomisierung mit ihrem Blutdruck noch nicht stabil eingestellt gewesen waren.
Widersprüchliches Ergebnis zu früheren SYMPLICITY-Studien
SYMPLICITY HTN-3 umfasste 535 Patienten in 87 US-amerikanischen medizinischen Zentren [2]. Die Teilnehmer sollten eine „therapieresistente Hypertonie“ mit systolischen Blutdruckwerten über 160 mmHg haben – trotz Medikation mit mindestens 3 Antihypertensiva, darunter ein Diuretikum. Die beidseitige Nierennervenablation mit Hilfe des Symplicity™-Kathetersystems wurde verblindet gegen eine Schein-Prozedur verglichen. Die Randomisierung erfolgte 2 zu 1 (Ablation zu Schein-OP). Primärer Endpunkt war die Veränderung des ambulant gemessenen Blutdrucks nach 6 Monaten.
Überraschend ist das Ergebnis von SYMPLICITY HTN-3 auch vor dem Hintergrund, dass die gleiche Methodik in der kleineren, aber ebenfalls prospektiven randomisierten SYMPLICITY-2-Studie sehr erfolgreich gewesen war [3]. In der SYMPLICITY-HTN-2-Studie war eine Erfolgsrate von 84% berichtet worden. Als Response gewertet wurde damals eine Abnahme des Blutdrucks um mindestens 10 mmHg. Diese Ergebnisse hatten unter anderem zur relativ weiten Verbreitung des neuen technischen Verfahrens zur Blutdrucksenkung beigetragen – vor allem in Deutschland. Nach Schätzung von Experten gehen die entsprechenden Prozeduren hierzulande in die Tausende.
Allerdings hatte SYMPLICITY 2 nur 100 Patienten umfasst und nicht gegen einen Schein-Eingriff getestet. Könnte es sein, dass die Wirksamkeit des Verfahrens aufgrund eines ausgeprägten Placebo-Effektes damals überschätzt worden ist?
Für Böhm ist dies jedoch keine schlüssige Erklärung: „Ein Placebo-Effekt der drei Jahre lang anhält?“, gibt er zu bedenken und erinnert an die vor kurzem präsentierten bzw. publizierten 3-Jahres-Daten von SYMPLICITY-1 bzw. 2, nach denen tatsächlich auch nach dieser Zeit noch ein ausgeprägter Effekt der Prozedur auf den Blutdruck (Reduktion zum Ausgangswert um 32 bzw. 33/14mmHg) nachzuweisen ist [4].
Der Kardiologe verweist ganz im Gegenteil darauf, dass nach bisherigen Erkenntnissen 6 Monate nach einer Nierennervenablation der maximale blutdrucksenkende Effekt noch gar nicht erreicht ist. „Auch in SYMPLICITY HTN-3 sollten wir uns die Blutdrucksenkung auf jeden Fall nochmals zu einem späteren Zeitpunkt ansehen!“
Patientenrekrutierung für einige andere Studien wird ausgesetzt
Medtronic teilt derweil mit, dass ein Panel unabhängiger Experten Empfehlungen abgeben soll, wie mit dem weiteren Studienprogramm des Unternehmens zu verfahren sei. In 3 Ländern (USA, Japan und Indien), in denen das Kathetersystem bislang noch nicht zugelassen ist, aber derzeit Zulassungsstudien laufen, soll die Patientenrekrutierung für diese Studien zunächst ausgesetzt werden. Eine dieser Studien ist SYMPLICITY HTN-4 in den USA.
Doch solle die Symplicity™-Technologie in den Märkten, wo bereits eine Zulassung vorliegt (etwa in Deutschland) Ärzte und Patienten weiter zur Verfügung stehen. Auch soll das globale SYMPLICITY-Post-Marketing-Surveillance-Register fortgeführt werden, ebenso wie Studien, die nicht mit der Blutdrucksenkung assoziierte Wirkungen der renalen Denervierung prüfen.
Böhm erhofft sich wertvolle Erkenntnisse daraus – dies auch vor dem Hintergrund der zahlreichen inzwischen entdeckten oder vermuteten „pleiotropen“, nicht mit dem Blutdruck assoziierten Nebeneffekte des Verfahrens, etwa mögliche günstige Wirkungen auf die Herzhypertrophie oder auch die Insulinsensitivität und den Glukosestoffwechsel, bei Niereninsuffizienz oder Schlafapnoe.
In Deutschland ändert sich vorerst nichts
Wie wird es in Deutschland weiter gehen? Schließlich sind wir hier die „Weltmeister“ der renalen Denervierung – nirgendwo wird diese Technik häufiger bereits im Praxisalltag angewandt. „Wir werden weiter machen wie gehabt“, sagt Böhm. „Alle Patienten, die wir in Homburg behandeln, nehmen entweder an Studien teil oder werden im Rahmen von Registern überwacht.“ Insofern sei ein gutes Monitoring der Behandlungsergebnisse gewährleistet. Dies gelte nicht nur für den Symplicity™-Katheter sondern auch für ähnliche Systeme anderer Hersteller. „Auch diese machen nach unseren Erkenntnissen mit ihren Programmen weiter.“
Und mangelnde Erfolge der Therapie seien ihm und seinem Team dabei bislang nicht aufgefallen, betont der Kardiologe. Das Geheimnis sieht er vor allem in der richtigen Auswahl der Patienten für die Methode. Das Verfahren müsse Patienten vorbehalten werden, die trotz einer medikamentösen Mehrfachkombination inklusive Diuretikum einen Blutdruck von 160/90 mmHg oder darüber aufwiesen. Zudem müssten sekundäre Ursachen definitiv ausgeschlossen sein. Eine ausreichende Nierenfunktion (eGFR > 45 ml/min) ist ebenfalls Voraussetzung.
Zertifizierung der Zentren soll zu großzügige Indikationsstellung verhindern
„Gerade bei denjenigen, die eingangs eher niedrigere Blutdruckwerte haben, sind die Responderraten auch eher niedriger,“ sagt Böhm. Tatsächlich hat an einigen Zentren in Deutschland – wie Medscape bereits von der Herbsttagung der DGK berichtet hat – die anfängliche Euphorie für die Nierennervenablation inzwischen nachgelassen. Und auch einige der Anwender hierzulande zeigten sich enttäuscht über zu niedrige Erfolgsraten in der Praxis. So wurde auf der Herbsttagung zum Teil über Nonresponderraten von bis zu einem Drittel berichtet.
die wir in Homburg behandeln, nehmen entweder an Studien teil oder werden
im Rahmen von Registern überwacht.“
Damit die Indikation zur renalen Denervierung nicht zu großzügig gestellt wird, haben Hochdruckliga, die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK) und die Deutsche Gesellschaft für Nephrologie 2014 ein Zertifizierungsprogramm gestartet. Um ein Zertifikat zu erhalten, müssen die Zentren garantieren, dass sie sich an die von den 3 Fachgesellschaften gemeinsam formulierten Grundsätze halten. In Zukunft soll dann die Erstattung der Therapie durch die Kostenträger von einer solchen Zertifizierung abhängig gemacht werden.