Seit Dezember 2012 ist das Steroid Abirateron (Handelsname Zytiga®, Janssen-Cilag) zur Therapie des metastasierten kastrations-resistenten Prostatakarzinoms (CRPCA) zugelassen. „Anhaltspunkte für einen beträchtlichen Zusatznutzen“ hatte das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) im April dieses Jahres dem Therapeutikum attestiert (Medscape Deutschland berichtete).
Abirateron hemmt die Bildung des Enzyms CYP17A1 und damit nicht nur die Testosteron-Produktion in Hoden und Nebennieren, sondern auch in den Krebszellen selbst. Die überzeugenden Ergebnisse der Zulassungsstudie zur Effektivität und Verlängerung des Gesamtüberlebens wurden jetzt durch die Ergebnisse des Härtefallprogramms untermauert, dessen Update auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie präsentiert worden war [1].

Medscape Deutschland sprach mit PD Dr. Carsten Ohlmann, leitender Oberarzt der Universitäts-Klinik für Urologie und Kinderurologie in Homburg/Saar darüber, welchen Stellenwert das Steroid inzwischen in der CRPCA-Therapie einnimmt.
Medscape Deutschland: Wie viele Patienten in Deutschland sind von einem kastrations-resistenten Prostatakarzinom (CRPCA) betroffen?
Dr. Ohlmann: Man kann das nur ableiten aus der Zahl der Männer, die jährlich an Prostatakrebs sterben. Für das Jahr 2008 waren das 12.134 Patienten. Man kann davon ausgehen, dass 95% dieser Patienten ein kastrationsresistentes Prostatakarzinom aufwiesen.
Medscape Deutschland: Werden alle diese Patienten zunächst mit Docetaxel behandelt?
Dr. Ohlmann: Bislang war eine Chemotherapie mit Docetaxel das Standardmittel beim CRPCA. Doch das wandelt sich gerade, denn seit Anfang dieses Jahres kann Abirateron vor einer Chemotherapie eingesetzt werden. Es ist damit möglich, erst mit Abirateron zu behandeln und danach mit Doxetacel. Mit Abirateron werden viele Patienten behandelt, es ist eine Alternative zur Chemotherapie, und die Überwachung ist nicht so aufwändig wie bei einer Chemotherapie.
Medscape Deutschland: Im Härtefallprogramm wurde Abirateron gegen Placebo getestet. Wie viele Patienten nahmen daran teil, und wie sehen die Ergebnisse aus?
Dr. Ohlmann: Patienten mit einem CRPCA im Progress während oder nach Docetaxel-basierter Chemotherapie konnten in das Härtefallprogramm aufgenommen werden. Der Progress war als radiographischer Progress mit/ohne begleitender PSA-Progression und einem Serum-Testosteron weniger als 50 ng/dl definiert. Im Zeitraum Februar bis Mai 2011 wurden 398 Patienten registriert und diese wurde mit 1000 mg Abirateron plus Prednison zweimal 5 mg täglich behandelt.
Ausgewertet wurden die Akten von 186 Patienten aus zehn Zentren. Das mediane Alter lag bei 70,6 Jahren, die Zahl der Chemotherapien im Median bei einer. Der mediane PSA-Wert lag zu Beginn bei 222,3 ng/ml, 163 (87,6%) Patienten wiesen Knochenmetastasen auf.
63 der 186 Patienten zeigten ein unbestätigtes PSA-Ansprechen. Bei einem medianen Follow-up von 7,4 Monaten waren 81 von 186 Patienten gestorben (43,5%), das mediane Gesamtüberleben lag bei 14,7 Monaten. Die häufigsten Nebenwirkungen waren Fatigue (20%), Hitzewallungen (15,8%), Ödeme (10,6%), Leberenzymerhöhungen (8,0%) und Asthenie (7,9%).
Medscape Deutschland: Im Vergleich zur Zulassungsstudie wiesen die Probanden des Härtefallprogramms deutlich höhere mediane PSA-Werte auf. Das Gesamtüberleben war – ebenfalls im Vergleich zur Zulassungsstudie – länger als erwartet. Heißt das nun, dass Abirateron speziell bei hohen PSA-Werten besser als erwartet anspricht?
Dr. Ohlmann: Das verlängerte Gesamtüberleben hat uns sehr gefreut und auch überrascht. Allerdings ist der PSA-Wert kein harter Marker für den Verlauf des CRPCA. Man kann aber dennoch davon ausgehen, dass die Probanden mit höheren PSA-Werten eine generell schlechtere Prognose aufweisen.
Aus den Ergebnissen sollte man aber jetzt nicht den Schluss ziehen, dass Abirateron bei höheren PSA-Werten besonders gut wirkt. Zumal die Ergebnisse der Zulassungsstudie zu Abirateron ja zeigen, dass gerade Patienten mit niedrigen PSA-Werten länger überleben. Weshalb die Patienten mit höheren PSA-Werten im Härtefallprogramm länger überlebt haben, das wissen wir noch nicht.
Medscape Deutschland: Lässt sich Abirateron auch mit Enzalutamid kombinieren – und wäre das eine weitere Therapieoption?
Dr. Ohlmann: Enzalutamid ist nach der Chemotherapie zugelassen. Es gibt bislang keine Studien, die die Kombination von Enzalutamid und Abirateron untersucht haben. Theoretisch könnte man die Mittel kombinieren.
Im Lauf des nächsten Jahres wird eine Erweiterung der Zulassung dahin gehend erwartet, dass Enzalutamid bei CRPCA auch vor der Chemotherapie eingesetzt werden kann. Da wäre eine Kombination naheliegend. Ob allerdings die Kombination oder die Gabe nacheinander die beste Variante für die Patienten ist, das ist noch Spekulation.
Medscape Deutschland: Welchen Stellenwert nimmt Abirateron in der CRPCA-Therapie ein?
Dr. Ohlmann: Es nimmt einen großen Stellenwert ein und löst im Moment die Chemotherapie ab. Die Gründe sind vielfältig: Es ist eine orale Therapie mit überschaubaren Nebenwirkungen. Nach der Initialphase entfällt eine ähnlich intensive Überwachung wie bei der Chemotherapie, so dass Abirateron auch von niedergelassenen Ärzten bevorzugt eingesetzt wird.
Und fragt man Patienten, ob sie lieber eine Chemotherapie machen oder Abirateron in Tablettenform einnehmen möchten, dann entscheiden die sich in aller Regel für die Tabletten.
Medscape Deutschland: Ist Abirateron für alle CRPCA-Patienten geeignet?
Dr. Ohlmann: Es ist die Frage, ob es medizinisch sinnvoll ist, nun alle Patienten mit Abirateron zu behandeln. Man darf nicht vergessen, dass ein Drittel darauf nicht anspricht. Für diese Patienten käme eine Chemotherapie infrage. Man muss sich für eine Therapie entscheiden.
Es ist allerdings kein Problem, auf Docetaxel umzustellen, wenn Abirateron nicht greift. Leider sind wir noch nicht so weit, dass wir bei jedem Patienten vorab sagen können: Bei Ihnen wirkt Abirateron besser und bei Ihnen eine Chemotherapie. Wir hoffen, dass wir irgendwann dahin kommen.
Medscape Deutschland: Ist Abirateron bei Lebererkrankungen kontraindiziert?
Dr. Ohlmann: Das lässt sich so generell nicht sagen, denn bei Patienten mit einer Lebererkrankung kann die Chemotherapie genauso kontraindiziert sein. Da sehe ich keinen Unterschied zwischen den beiden Medikamenten, es kommt auf den Einzelfall an.
Medscape Deutschland: Herr Dr. Ohlmann, wir bedanken uns herzlich für das Gespräch.