Immuntherapie gegen Krebs: der „Durchbruch des Jahres 2013�? – zumindest für Science

Michael Simm | 3. Januar 2014

Autoren und Interessenkonflikte

Unter den wissenschaftlichen Durchbrüchen des Jahres 2013 steht die Immuntherapie gegen Krebs an erster Stelle. Dies zumindest ist die Meinung der Redakteure des Magazins Science, der mit einer Reichweite von etwa einer Million Lesern führenden Publikation auf dem Gebiet der Wissenschaften. Der Gedanke, dass die Auszeichnung als unangemessen sensationelle Darstellung empfunden werden könnte, wird in der Zeitschrift zwar kurz erwogen, dann aber verworfen. Es folgen anekdotische Beschreibungen dreier spektakulärer Einzelfälle, bei denen es nach der Therapie zur Remission kam [1].

Ihre Entscheidung begründen die Science-Redakteure damit, dass Wissenschaftler zwar seit Jahrzehnten eine Immuntherapie gegen Krebs für möglich gehalten haben, dass dieser Plan aber „unglaublich schwierig“ in die Tat umzusetzen war. Jetzt habe man nach Meinung vieler Onkologen die Wende geschafft, weil 2 verschiedene Techniken einem Teil der Patienten helfen können.

Die eine Vorgehensweise nutzt Antikörper, um eine Art Bremse bei T-Zellen zu lösen, sodass diese Tumorzellen erfolgreich angreifen können. Die andere Strategie besteht darin, T-Zellen von Patienten zu gewinnen, die dann im Labor derart modifiziert werden, dass sie ihre Zielzellen besser angreifen können. Schließlich werden diese Zellen den Patienten re-infundiert.

Die Fortschritte, die Science hervorhebt, beruhen zu einem großen Teil auf der Entdeckung zweier Rezeptormoleküle auf der Oberfläche von T-Zellen vor mehr als 20 Jahren: das zytotoxische T-Lymphozytenantigen 4 (CTLA-4) und „programmed death 1“ (PD-1). Beide Moleküle verhindern offenbar in vielen Fällen eine wirksame Attacke des Immunsystems, indem sie die T-Zellaktivierung nach Antigenstimulation unterdrücken.

Antikörper gegen Zielmoleküle auf T-Zellen

Der kleinen Biotechnologiefirma Medarex in Princeton, New Jersey gelang es, Antikörper gegen die beiden Zielmoleküle zu entwickeln, die zumindest bei vielen Melanompatienten eindrucksvolle Remissionen bewirkt haben. Medarex wurde inzwischen von Bristol-Myers Squibb aufgekauft und die Anti-CTLA-4-Therapie unter dem Namen Ipilimumab für die Therapie des metastasierten Melanoms zugelassen. Wie die Firma im Herbst berichtete, hatten 1.800 Patienten die 120.000 US-Dollar teure Therapie bekommen, von denen 22% nach 3 Jahren noch am Leben waren.

„Viele der Studien sind vorläufiger Art. Daher ist es wichtig, den Nutzen der Immuntherapie nicht überzubewerten.“
Jennifer Couzin-Frankel

Für die Anti-PD-1-Behandlung Nivolumab waren zuletzt auf der Jahrestagung der American Society of Clinical Oncology in Chicago im vergangenen Juni häufige und lang anhaltende Remissionen berichtet worden, unter anderem bei 29 von 141 Patienten aus einer Phase-1-Studie mit 5 verschiedenen Typen lokal fortgeschrittener oder metastasierter Tumoren [2].

Im Jahr zuvor hatten Forscher der Yale University mit Kollegen die Resultate einer Studie mit nahezu 300 Patienten publiziert und kumulative Ansprechraten von 18% beim Nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom gefunden, von 28% beim Melanom sowie von 27% bei Nierentumoren. In 20 von 31 Fällen hatte die Remission mindestens ein Jahr lang angehalten [3].

Chimäre Antigen-Rezeptor-Therapie

Schließlich verweist Science zur Begründung seiner Auswahl auch auf die sogenannte Chimäre Antigen-Rezeptor-Therapie (CAR), bei der T-Zellen von Krebspatienten im Labor genetisch modifiziert werden, damit sie nach Re-Infusion Tumorzellen zerstören. Hier habe eine Gruppe um Prof. Dr. Carl June von der Perelman School of Medicine der University of Pennsylvania aktuell auf einer Konferenz in New Orleans berichtet, dass man bei 45 von 75 Erwachsenen und Kindern mit einer Leukämie eine komplette Remission erreicht hätte, „obwohl einige später einen Rückfall erlitten“ (Medscape Deutschland berichtete).

Wunder darf man indes auch von der Immuntherapie gegen Krebs nicht erwarten. So fügt Science der Lobpreisung die Einschränkung hinzu, dass man noch einen weiten Weg vor sich habe. Diese Behandlungen hätten nur bei einem Teil der Patienten gewirkt, an denen sie erprobt wurden, und auch nur bei bestimmten Krebsarten, heißt es. „Viele der Studien sind vorläufiger Art. Daher ist es wichtig, den Nutzen der Immuntherapie nicht überzubewerten“, so Jennifer Couzin-Frankel in dem Science-Artikel.

Dies sehen die Wissenschaftsredakteure anderer tonangebender Magazine offenbar genau so: Eine ähnliche Preisverleihung bei Nature erwähnt unter den Menschen des Jahres 2013 keinen einzigen Krebsforscher, und auch bei Discover hat die Immuntherapie gegen Krebs es nicht unter die „Top 100“-Geschichten des Jahres 2013 geschafft [4,5].

Referenzen

Referenzen

  1. Couzin-Frankel J: Science 2013; 342:1432-1433
    http://www.sciencemag.org/content/342/6165/1432.full
  2. American Society for Clinical Oncology (ASCO), 49th Annual Meeting, 31. Mai bis 4. Juni 2013, Chicago
    Herbst R, et al: Abstract 3000
    http://am.asco.org/past-meetings
  3. Topalian SL, et al: NEJM 2012;366(26):2443-2454
    http://dx.doi.org/10.1056/NEJMoa1200690
  4. Cresy D, et al: Nature 2012;504:357–365
    http://dx.doi.org/10.1038/504357a
  5. Hadhazy A, et al: Discover 2014;1:3-80
    http://discovermagazine.com/2014/jan-feb

Autoren und Interessenkonflikte

Michael Simm
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Couzin-Frankel J: Es liegen keine Erklärungen zu Interessenkonflikten vor.

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