Feinstaub ist ein bekannter gesundheitlicher Risikofaktor. Eine neue Erkenntnis ist jedoch, dass Feinstaub schon unterhalb der derzeitigen europäischen Grenzwerte die Lebenserwartung verkürzen kann. Dies haben Wissenschaftler um Dr. Rob Beelen vom Institute for Risk Assessment Sciences an der Universität Utrecht, Niederlande, im Rahmen der multizentrischen European Study of Cohorts for Air Pollution Effects (ESCAPE) bestätigt [1].

PD Dr Rudolf Jörres, der am Institut für Arbeit-, Sozial- und Umweltmedizin der Ludwig-Maximilians-Universität München die Experimentelle Umweltmedizin vertritt, stuft die Studie als wichtig ein, wenngleich ihr Ergebnis ihn wenig überrasche. Bemerkenswert sei, dass die Autoren zunächst alle Studien mit der gleichen Methode hinsichtlich der Feinstaubbelastung einzeln analysiert und erst dann miteinander verglichen hätten – und dass eine sorgfältige Analyse möglicher weiterer Einflussgrößen erfolgt sei.
Direkte Beziehung zu Lungenkrebs und Schlaganfall
Beelen und sein Team haben die Daten von 22 europäischen Kohortenstudien ausgewertet. Dabei standen von 19 Studien auch Feinstaubdaten zur Verfügung. Die Gesamtstudienpopulation umfasste 367.251 Teilnehmer mit insgesamt 5.118.039 Personenjahren (durchschnittliches Follow-up 13,9 Jahre). 29.076 Todesfälle gab es im Nachbeobachtungszeitraum. Die Kohorten wurden hauptsächlich um 1990 rekrutiert. Unter Korrektur für Faktoren wie Alkohol- und Tabakkonsum, soziale Stellung, Übergewicht und Bluthochdruck ergab sich ein eindeutiger Zusammenhang zwischen der Feinstaubbelastung und der Wahrscheinlichkeit, während des Follow-up zu sterben.
Strikt standardisiert beurteilten die Forscher die Wohnsitz-bezogene Schadstoffexposition entsprechend der jährlichen Durchschnitts-Konzentrationen durch Feinstaub. Sie analysierten die Auswirkungen von Partikeln bis maximal 10 µm Größe (PM10). Diese wurden noch einmal unterteilt in Partikel mit weniger als 2,5 µm (PM2,5) sowie zwischen 10 µm und 2,5 µm (PM coarse). Außerdem bezogen die Wissenschaftler die mittleren Konzentrationen von Stickoxiden (NO2 und NOx) ein, die Verkehrsintensität auf der am nächsten gelegenen Straße (Zahl der Autos pro Tag) und das Verkehrsgesamtaufkommen auf allen Hauptstraßen innerhalb von 100 m.
in die Lunge ein, sie umfassen Alveolen-gängige Partikel,
und können in Form ultrafeiner Partikel vermutlich sogar
die Grenze zum Blutkreislauf überschreiten.“
Das Ergebnis: Besonders Personen, die einer erhöhten Konzentration von Feinstaubpartikeln der Größe bis zu 2,5 µm ausgesetzt waren, hatten eine geringere Lebenserwartung (HR für PM2,5=1,07 pro 5 µg/m³; 95% KI: 1,02–1,13). Selbst wenn die Forscher nur Teilnehmer einschlossen, die Schadstoff-Konzentrationen unterhalb der europäischen Grenzwerte von 25 µg/m³ (HR=1,06; 95% KI: 1,00–1,12) oder unterhalb 20 µg/m³ (HR=1,07; 95% KI: 1,01–1,13) ausgesetzt waren, blieb die Risikoerhöhung für PM2,5 signifikant. Die spezifischen Todesursachen waren nicht Gegenstand der nun publizierten Analyse.
Dennoch teilen die Forscher in der Diskussion unter Verweis auf noch erscheinende Arbeiten mit, dass sich für die kleinen Partikel (PM2,5) eine Beziehung zu Lungenkrebs (HR=1,18 pro 5 µg/m³; 95% KI: 0,96–1,46) und Schlaganfall, aber nicht zur ischämischen bzw. koronaren Herzerkrankung und der respiratorisch bedingten Mortalität fand.
Kleine Partikel sind besonders gefährlich
Wie Jörres erklärt, sind am Feinstaub vor allem die kleinen Partikel – die PM2,5 – problematisch „Diese kleinen Partikel dringen tief in die Lunge ein, sie umfassen Alveolen-gängige Partikel, und können in Form ultrafeiner Partikel vermutlich sogar die Grenze zum Blutkreislauf überschreiten.“ Die großen Partikel hingegen bleiben in Nase und Rachen hängen.
Zwar hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) für die kleinen Partikel relativ strenge Grenzwerte vorgegeben (10 µg pro m³ Luft), die EU aber lässt Feinstaub-Grenzwerte von 25 µg pro m³ Luft gelten. In Ballungsräumen wird der Wert häufig überschritten. Partikelgrößen von unter 10 µm stammen hauptsächlich aus Aufwirbelungen, Industrieabgasen, Hausbrand und Verkehr, Partikel unter 2,5 µm aus Industrieabgasen, Hausbrand und Verkehr und ultrafeine Partikel, also solche unter 0,1 µm, ebenfalls aus Industrieabgasen, Hausbrand und Verkehr.
Studie stützt die Einschätzung der WHO
Beelens Arbeit bestätigt die kritische Haltung der WHO. Eine Analyse der International Agency for Research on Cancer (IARC) hatte gezeigt, dass Feinstaub und Luftschadstoffe ein signifikant erhöhtes Lungenkrebsrisiko verursachen [2]. Aufgrund dessen erkranken laut WHO jährlich 223.000 Menschen weltweit an Lungenkrebs, vor allem in China und Ostasien.
Doch die Europäische Umweltagentur konnte nachweisen, dass auch in der EU 9 von 10 Stadtbewohnern Luftschadstoffen in Konzentrationen ausgesetzt sind, die die WHO als gesundheitsschädlich einstuft. Die krebsfördernde Wirkung der Partikel führt die WHO auf polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe, Diesel- und andere Fahrzeugabgase, Ruß, Titandioxid, Talk und Nitroaromate (abgekürzt PAK) zurück.
Wie Jörres bestätigt, zeigen experimentelle Daten, dass kleinste Partikel das Lungengewebe durchdringen, ins Blut gelangen und Entzündungsprozesse im Körper auslösen können. „Für die Entstehung einer COPD allerdings spielt Feinstaub der Umwelt hierzulande eine untergeordnete Rolle, Rauchen ist die Hauptursache“, stellt Jörres klar. Insgesamt ist die Feinstaubbelastung – bezogen auf die Menge – zwar zurückgegangen. Ein Problem ist allerdings, dass die Partikel immer feiner werden und ihre Anzahl stark zunehmen kann, auch wenn ihre Gesamtmasse zurückgeht.
Feinstaub wirkt über systemische Entzündung und oxidativen Stress
des Mortalitätsrisikos erwarten.“
Erste Hinwiese auf systemische Auswirkungen von Feinstaub hatte eine im Jahr 1997 im Lancet erschienene Studie zur Blutviskosität erbracht [3]. Seitdem haben sich zahlreiche Studien und Übersichtsanalysen mit der Auswirkung von Feinstaub auf das kardiovaskuläre System beschäftigt. Offensichtlich begünstigt Feinstaub vor allem systemische Entzündungen und oxidativen Stress. Im Jahr 2010 wies eine Studie nach, dass pro 10 µg Feinstaub langfristig die Gesamtmortalität um 10% zunimmt [4]. Nach Untersuchungen aus den Jahren 2005 und 2012 kann die Partikelbelastung eine Atherosklerose begünstigen [5,6]. Sogar eine Assoziation mit dem Risiko für tiefe Beinvenenthrombosen wurde berichtet [7].
Dass Feinstaub die kardiovaskuläre Morbidität erhöht, belegten jetzt auch von Dr. Hagen Kälsch vom Herzzentrum Essen auf der Europrevent in Rom präsentierte Daten [8]. „All diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass Feinstaub systemisch und vornehmlich kardiovaskulär wirkt“, erklärt Jörres und fügt hinzu: „Die Kausalität ist plausibel und Zweifel sind schwer begründbar“.
„Zehn Mikrogramm wären auch innerhalb der EU wünschenswert“
Angesichts der häufigen Grenzwert-Überschreitungen in deutschen Städten argumentieren viele Politiker, die EU-Richtlinie 1999/30/EG sei nicht einzuhalten, die Grenzwerte müssten daher erhöht werden. Das Beispiel Schweiz zeigt aber, dass noch schärfere Grenzwerte dort überwiegend eingehalten werden.
Beelen schreibt: „Basierend auf unseren Ergebnissen lassen weitere Senkungen des Feinstaubausstoßes eine Verringerung des Mortalitätsrisikos erwarten.“ Zwar sei Feinstaubbelastung in Europa nicht das primäre Gesundheitsproblem, und in anderen Ländern und Gegenden der Welt wären niedrigere Grenzwerte viel wichtiger: „In manchen Städten Indiens beispielsweise finden Sie Mittelwerte von 300 µg, eine Zehnerpotenz gegenüber der hiesigen Belastung“, berichtet Jörres.
Gleichwohl teilt er die Einschätzung Beelens:„Man sollte auch in Europa Feinstaubbelastung weiter verringern, zehn Mikrogramm wären sicher wünschenswert, die Frage aber ist allerdings: Würde der damit einhergehende zusätzliche Aufwand gesellschaftlich akzeptiert oder akzeptiert man lieber das Gesundheitsrisiko?“