Berlin – Typ-2-Diabetiker mit Niereninsuffizienz stehen vor besonderen Herausforderungen bei der Suche nach der idealen Ernährung. „Während über lange Zeit die Eiweißbeschränkung das Maß aller Dinge war – man denke an die Kartoffel-Ei-Diät – wird dies in jüngster Zeit differenzierter beurteilt“, erklärte Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Eberhard Ritz vom Nierenzentrum des Universitätsklinikums Heidelberg bei der Herbsttagung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) [1]: „Wir wissen heute, dass ein gut ernährter Patient eine bessere Prognose hat als einer, der wegen der Proteinrestriktion Muskulatur abgebaut hat.“

Dies bestätigt im Gespräch mit Medscape Deutschland auch Prof. Dr. Jan-Christoph Galle, Direktor der Klinik für Nephrologie und Dialyseverfahren am Klinikum Lüdenscheid und Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie. „Wir dürfen nicht nur auf die Niere schauen und sie vor den Folgen verstärkter Proteinurie schützen, sondern wir müssen den Menschen als Ganzes betrachten“, betonte er.
Auch der Niere selbst schadet nicht nur ein Überfluss, sondern ebenso ein Mangel an Nahrungseiweiß. Ritz zitierte dazu eine aktuelle Studie. Darin hatten die Patienten in der Tertile mit der geringsten Zufuhr an tierischem bzw. pflanzlichem Protein jeweils ein erhöhtes Risiko für eine terminale Niereninsuffizienz [2].
Kochsalzbeschränkung: Kein Nutzen bei normaler Nierenfunktion
Bei der Ernährung sollte auf den Salzgehalt geachtet werden: „Eine hohe Kochsalzzufuhr erhöht den Blutdruck und steigert auch blutdruckunabhängig die Albuminurie und den oxidativen Stress, schädigt die Nieren- und andere Arteriolen und führt zu interstitieller Nierenfibrose und glomerulärer Fibrose“, zählte Ritz bei der DDG-Herbsttagung einen ganzen Katalog schädlicher Wirkungen von Kochsalz auf.
Bei der Frage nach einer Kochsalzeinsparung in der Ernährung unterschied er aber explizit zwischen Diabetikern mit oder ohne bereits bestehende Nierenfunktionseinschränkung: „Diabetiker mit normaler Nierenfunktion hatten in der finnlandweiten Beobachtungsstudie FinnDiane bei strenger Salzvermeidung sogar eine höhere Mortalität“, berichtete er. „Für diese Patienten ist die Salzrestriktion demnach eher kontraproduktiv.“ [3]
… aber wichtig für Diabetiker mit renaler Insuffizienz
In der RENAAL- und in der INDT-Studie dagegen, in die jeweils mehrere Tausend Typ-2-Diabetiker mit präterminaler Niereninsuffizienz aufgenommen worden waren, schnitten Patienten mit niedriger Salzzufuhr (Natrium-zu-Kreatinin-Verhältnis < 121 mmol/g) besser ab. Sechs Monate nach Beginn der Ernährungsumstellung zur Salzeinsparung hatten sie die stärkste Senkung des systolischen Blutdrucks (um 5 mmHg) und des 24-Stunden-Albumins (um 44 mg/g Kreatinin) vorzuweisen.
funktion ist die Salzrestriktion eher kontraproduktiv.“
„Außerdem wirkte sich die Kochsalzbeschränkung bei diesen Patienten kardioprotektiv aus“, so Ritz, „jedenfalls, wenn sie unter RAS-blockierender Therapie standen: Die Senkung des Salzkonsums verstärkte bei ihnen offenbar die Wirkung der Medikamente, denn sie erlitten deutlich seltener kardiovaskuläre Ereignisse.“ [4]
„Kochsalzrestriktion ist sinnvoll und notwendig bei Patienten mit Proteinurie, schon vor dem Stadium der Dialyse. Dies gilt für Diabetiker genauso wie für Patienten ohne komorbiden Diabetes“, präzisierte Galle auf Nachfrage von Medscape Deutschland. Auch er warnte davor, dass der nutzbringende Effekt RAS-blockierender Medikamente wie der ACE-Hemmer durch hohen Salzkonsum ausgehebelt werden kann.
Lipidkontrolle: „Alte Dogmen sind gefallen“ – nicht nur für Menschen mit Diabetes
Nur bedingt mit der Ernährung assoziiert ist die Lipidkontrolle. Trotzdem war die immer deutlichere Abkehr von strikten Lipidzielen Ritz eine Erwähnung wert: „Eine strenge Lipidsenkung wird nicht mehr unbedingt für alle Diabetiker und Nierenpatienten gefordert“, sagte er. Er verwies auf den fehlenden Nutzen der Statintherapie bei Typ-2-Diabetikern unter Hämodialyse in der 4D-Studie. Gleiches gelte für die AURORA-Studie, die allerdings Dialysepatienten mit und ohne Diabetes umfasste – auch hier verfehlte die Statintherapie das Ziel, das hohe kardiovaskuläre Risiko dieser Patienten zu senken.
vor dem Stadium
der Dialyse.“
Anders sieht es dagegen bei Diabetikern mit präterminaler Nierenfunktionsstörung aus, so Ritz: Hier hat die Lipidsenkung nach wie vor ihren Nutzen und Platz.
Ganz deutlich wurde der Paradigmenwandel hinsichtlich Lipidkontrolle auf dem AHA-Kongress in Dallas, Texas, USA, der zeitlich direkt nach der DDG-Herbsttagung stattfand: „Nach der neuen AHA/ACC-Leitlinie sollen ‚kardiovaskuläre Risikopatienten‘ primär nach ihrem individuellen Risiko und nicht alleine abhängig vom LDL-Ausgangswert behandelt werden. Damit geht einher, dass konkrete Zielwerte bei der lipidsenkenden Therapie verlassen wurden“, erläuterte Galle gegenüber Medscape Deutschland.
senkung wird nicht mehr unbedingt für alle Diabetiker und Nierenpatienten gefordert.“
Kardiovaskuläre Risikopatienten sind Diabetiker mit Niereninsuffizienz allemal. Dies könnte nach den neuen Empfehlungen dazu führen, dass sie hochdosiert lipidsenkend behandelt werden. „Wer ein sehr ausgeprägtes Herz-Kreislauf-Risiko hat, soll höhere Statindosen erhalten“, erläuterte Galle die neuen Empfehlungen. „Das Ziel ist eine individuell effektive und verträgliche Lipidsenkung.“
Diese Kehrtwende weg von den starren Zahlen und LDL-Zielvorgaben ist laut Galle keineswegs unumstritten. Sie wird aber untermauert durch die internationalen Empfehlungen der Nephrologen zum Lipidmanagement in der Leitlinie von „Kidney disease – improving global outcomes“ (KDIGO). Hier wird ebenfalls für Risikopatienten eine Lipidsenkung empfohlen, ohne dass klare Ziele beziffert werden. Und es werden auch hier – für Nierenpatienten – bei hohem kardiovaskulärem Risiko Statindosen bis zu 80 mg vorgeschlagen. „Selbstverständlich müssen zuvor alle Risiken gegeneinander abgewogen werden“, betonte Galle.