Leukämie und Lymphome: Euphorie über CAR-modifizierte T-Zellen als neue Therapieoption

Zosia Chustecka | 12. Dezember 2013

Autoren und Interessenkonflikte

New Orleans, USA – Die freudige Erregung bei der 55. Jahrestagung der American Society of Hematology (ASH) war fast mit Händen zu greifen [1]. Der Anlass: Die Ergebnisse zu einem neuen Behandlungsansatz, der sich auf gentechnisch veränderte T-Zellen stützt. Zwar handelt es sich zurzeit nur um Pilotstudien mit wenigen Patienten mit Leukämie oder Lymphomen. Jedoch sind diese behandelten Patienten an einer sehr aggressiven und therapieresistenten Form erkrankt und sprechen trotzdem deutlich auf die Therapie an – zum Teil mit vollständiger Remission und dem völligen Fehlen sichtbarer Tumorzeichen im Computertomogramm (CT).

„Es sieht ganz so aus, als wäre die Krankheit bereits nach einer einzigen Infusion mit diesen gentechnisch veränderten T-Zellen verschwunden“, kommentierte Dr. James Kochenderfer vom Experimental Transplantation and Immunology Branch des National Cancer Institute (NCI) in Bethesda im US-Bundesstaat Maryland. Er räumte jedoch auch ein, dass hinsichtlich der Wirksamkeit und Toxizität dieses Ansatzes erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Patienten bestehen.

In den USA arbeiten mehrere Forschungsgruppen an dem neuen Ansatz, einige haben sich mit pharmazeutischen Unternehmen zusammengetan. Eine Lizenz für die am NCI entwickelten T-Zellen wurde an Kite Pharmaceuticals vergeben, und Novartis ist Lizenznehmer für einen ähnlichen Ansatz, der an der Universität von Pennsylvania entwickelt wurde und für den bisher die meisten klinischen Daten vorliegen.

„Es sieht ganz so aus, als wäre die Krankheit bereits nach einer einzigen Infusion mit diesen gentechnisch veränderten T-Zellen verschwunden.“
Dr. James Kochenderfer

Manchen Beobachtern zufolge könnten dank dieser Beteiligung der pharmazeutischen Unternehmen sowie einer beschleunigten Zulassung aufgrund eines dringenden medizinischen Bedarfs diese Therapien bereits 2016 zur Verfügung stehen. Andere rechnen jedoch mit einer längeren Entwicklungsdauer und gehen davon aus, dass mit einem klinischen Einsatz nicht vor 2020 zu rechnen ist.

Wie präzisionsgelenkte Munition

Bei der neuartigen Methode werden T-Zellen des Patienten entnommen, diese gentechnisch mit einem chimären Antigenrezeptor (CAR) modifiziert und anschließend die veränderten T-Zellen rückinfundiert.

Das chimäre Protein besteht aus der variablen Region eines anti-CD19-Antikörpers sowie einem Anteil, der das Signal für die T-Zell-Aktivierung vermittelt. Wenn die veränderten T-Zellen wieder in den Körper des Patienten gelangen, "suchen" sie gezielt nach dem Antigen CD19, das sich auf den meisten leukämischen Zellen findet. Sie heften sich an diese Zellen an und zerstören sie. Sobald die T-Zellen an die Tumorzellen angedockt haben, wird zudem eine Expansion und Proliferation der T-Zellen ausgelöst, so dass diese alle verbleibenden leukämischen Zellen auffinden und zerstören.

Dieser Ansatz sei begeisternd, da er wie präzisionsgelenkte Munition funktioniere, so Dr. Mary Horowitz, wissenschaftliche Direktorin des Center for International Blood and Marrow Transplant Research und Leiterin der Abteilung für Hämatologie und Onkologie am Medical College von Wisconsin in Milwaukee. Während eine Knochenmarktransplantation sich mit einer Flächenbombardierung einer Stadt vergleichen lasse, obwohl sie lediglich die Zerstörung eines einzigen Gebäudes zum Ziel habe, seien die CAR-T-Zellen wie präzisionsgesteuerte Bomben, die genau dieses Gebäude fänden und zerstörten, sagte sie gegenüber Medscape Medical News. Die klinischen Ergebnisse seien durchschlagender als alle bisher in einem so weit fortgeschrittenen Krankheitsstadium erzielten.

Ergebnisse bei der Lymphombehandlung

Kochenderfer stellte die Studienergebnisse für 15 erwachsene Patienten mit fortgeschrittenem B-Zell-Lymphom vor, von denen 9 Patienten ein chemotherapieresistentes großzelliges Lymphom wie ein primäres mediastinales B-Zell-Lymphom oder ein diffuses B-Zell-Lymphom hatten [2]. Sie erhielten eine Konditionierung reduzierter Intensität mit Cyclophosphamid und Fludarabin und anschließend eine Infusion ihrer eigenen, mit einem CAR modifizierten T-Zellen.

„Etwa die Hälfte unserer CLL-
Patienten sprach auf diese Therapie an, und bei den meisten von ihnen vernichteten die genetisch veränderten T-Zellen Tumoren von mehreren Pfund.“
Dr. David Porter

Von den 15 behandelten Patienten konnten 13 hinsichtlich eines Therapieansprechens evaluiert werden. 12 sprachen auf die Therapie an: Laut Kochenderfer wiesen 7 Patienten eine vollständige und 5 Patienten eine partielle Remission auf.

Auf eine Patientin mit vollständiger Remission ging Kochenderfer näher ein: Er zeigte deren CT-Aufnahmen mit sichtbaren Tumoren in Leber und Abdomen vor der Behandlung, die nach der Therapie allesamt nicht mehr erkennbar waren. Diese Patientin hatte sich zuvor bereits 10 Behandlungen unterzogen, darunter viele verschiedene Kombinationen aus Rituximab und Chemotherapien. Einen Monat nach Ende der Chemotherapie war die Krankheit jeweils fortgeschritten, was laut Kochenderfer „eindeutig therapieresistent“ bedeute.

„Unsere Daten liefern erstmals einen echten Einblick in das Potenzial dieses Ansatzes bei Patienten mit aggressiven Lymphomen, die bisher praktisch unbehandelbar waren“, erklärte Kochenderfer bei einer ASH-Pressekonferenz.

„Besonders ermutigen uns die partiellen und vollständigen Therapieantworten, die wir bei einer Reihe von Patienten mit diffusem großzelligem B-Zell-Lymphom beobachten konnten, bei denen bereits alle anderen Behandlungsmöglichkeiten ausgereizt waren ... und von denen man allgemein nicht annahm, dass sie gute Kandidaten für eine Transplantation blutbildender Stammzellen wären", fuhr er fort. Allerdings dämpfte er die Begeisterung auch: „Dieser Ansatz ist immer noch eine experimentelle Therapie im Frühstadium.“

Schwere, aber reversible unerwünschte Ereignisse

Außerdem kann dieser Behandlungsansatz schwere unerwünschte Ereignisse verursachen, die eine Behandlung des Patienten auf der Intensivstation erfordern können, wenngleich diese Reaktionen vorübergehender Natur sind. Sobald T-Zellen im Körper expandieren, kommt es bei fast allen Patienten zu einer verzögerten Zytokinfreisetzung und Aktivierung von Makrophagen, die zu einer akuten Toxizität mit hohem Fieber, Hypotonie, Atemnot, Delirium, Aphasie und neurologischer Toxizität führen können. Allerdings erholen sich die meisten Patienten rasch, üblicherweise innerhalb von 2 Tagen. Und nach etwa 3 Wochen haben sich laut Kochenderfer alle Symptome gelegt.

Wie der Moderator der Pressekonferenz, Dr. Laurence Cooper vom MD Anderson Cancer Center der Universität von Texas in Houston, anmerkte, seien solche Reaktionen nicht überraschend. Die Expansion und Proliferation der T-Zellen stelle einen massiven Angriff auf das Immunsystem dar. Einige der Reaktionen könnten dramatisch sein, sie seien jedoch vorübergehend und reversibel, wie er hinzufügte. Auch seien sie behandelbar und es handele sich um schwerstkranke Patienten, die bereits alle anderen Behandlungsmöglichkeiten vergeblich ausprobiert hätten, betonte er.

„Es gibt Hinweise darauf, dass die T-Zellen auch Monate nach der Behandlung noch Leukämiezellen im Körper abtöten.“
Dr. David Porter

Auch Dr. Dr. Stephen Gupp vom Children's Hospital von Philadelphia und der Universität von Pennsylvania in Philadelphia, der Studien mit veränderten T-Zellen zur Behandlung der akuten lymphatischen Leukämie (ALL) durchführt, bestätigte, dass einige der unerwünschten Ereignisse aufgrund einer verzögerten Zytokinfreisetzung schwerwiegend sein könnten. Sie ließen sich jedoch mit dem monoklonalen Antikörper Tocilizumab behandeln, der als Interleukin-6-Antagonist wirkt. Interleukin-6 ist eines der Zytokine, die freigesetzt werden, wenn die T-Zellen expandieren und proliferieren. Dieses Medikament brachte „die entscheidende Wendung“, was die Beherrschung der Toxizität der veränderten T-Zellen angeht, so Gupp. Er merkte auch an, das bisher keine Fälle von Graft-versus-Host-Krankheit aufgetreten sind.

Im Anschluss an die Konferenz stellte Dr. Michael Kalos von der Universität von Pennsylvania eine Zusammenfassung der bisherigen klinischen Ergebnisse seiner Gruppe bei erwachsenen Patienten mit fortgeschrittener rezidivierender oder therapieresistenter chronischer lymphatischer Leukämie (CLL) sowie bei Kindern und Erwachsenen mit therapieresistenter ALL vor [3].

Ergebnisse bei der Behandlung der CLL

In 2 Studien wurden insgesamt 32 erwachsene Patienten mit CLL behandelt. 15 Patienten sprache partiell auf die Therapie an, 7 vollständig . Laut Kalos hält das vollständige Ansprechen in allen diesen Fällen weiterhin an.

Weitere Einzelheiten zu den CLL-Ergebnissen stellte Dr. David Porter, Professor für Exzellenz in der Leukämieversorgung und Direktor der Blut- und Knochenmarktransplantation am Abramson Cancer Center der Universitätät von Pennsylvania vor [4, 5]. „Die Ergebnisse sind wirklich sehr aufregend für uns. Etwa die Hälfte unserer CLL-Patienten sprach auf diese Therapie an, und bei den meisten von ihnen vernichteten die genetisch veränderten T-Zellen Tumoren von mehreren Pfund“, berichtete Porter.

„Inzwischen haben wir über 3 Jahre anhaltende Remissionen beobachtet. Es gibt Hinweise darauf, dass die T-Zellen auch Monate nach der Behandlung noch Leukämiezellen im Körper abtöten. Selbst bei Patienten mit nur partiellem Ansprechen konnten wir oft feststellen, dass alle Krebszellen aus dem Blut und Knochenmark verschwunden waren, und auch ihre Lymphknoten schrumpften im Verlaufe der Zeit weiter. In manchen Fällen erlebten wir, dass ein partielles Ansprechen im Verlauf mehrerer Monate in eine vollständige Remission überging“, so Porter weiter.

Ergebnisse bei der Behandlung der ALL

„Die Studien-
ergebnisse zeigen, dass wir möglicher-
weise die Aktivität dieser veränderten Zellen messen und
verfolgen und so
die Behandlung überwachen können.“
Dr. Michael Kalos

Ebenfalls an der Universität von Pennsylvania wurden 22 Kinder mit ALL behandelt, von denen es bei 19 zu einer vollständigen Therapieantwort kam, die bei 14 weiterhin besteht. (Bei 5 kam es zu einem Rezidiv.) Außerdem wurden 5 Erwachsene mit ALL behandelt. Alle sprachen vollständig auf die Therapie an, was bei 4 von ihnen weiterhin der Fall ist. (Der verbliebene Patient erhielt später eine allogene Transplantation.)

Gupp stellte weitere Einzelheiten zu den klinischen Ergebnissen der ALL-Patienten vor [6]. Er hob hervor, dass die noch bestehenden vollständigen Therapieantworten nunmehr bis zu 18 Monaten anhielten. „Unsere Ergebnisse zeigen das Potenzial dieser Behandlung für Patienten, die wirklich keine andere Therapieoption mehr haben“, so Grupp. „In der relativ kurzen Zeit, über die wir diese Patienten beobachtet haben, haben wir Grund zu der Annahme, dass diese Behandlung eine echte Therapie für ihre rezidivierende, therapieresistente Erkrankung werden könnte“, fuhr er fort. Jedoch sprächen nicht alle Patienten auf die Therapie an, räumte er ein.

Wie Kalos erläuterte, sei es zur deutlichsten klinischen Antwort bei Patienten gekommen, deren modifizierte T-Zellen am stärksten expandierten und proliferierten und zu Spitzenzeiten mehr als 5% der gesamten T-Zellen ausgemacht hätten. Bei den Patienten ohne klinisches Ansprechen sei nur eine „minimale Expansion in vivo“ zu beobachten gewesen, so Kalos.

„Die Studienergebnisse zeigen, dass wir möglicherweise die Aktivität dieser veränderten Zellen messen und verfolgen und so die Behandlung überwachen können. Das ist besonders spannend, weil diese Behandlung häufig die letzte Hoffnung für diese Patienten ist.“ Laut Kalos stehen die veränderten T-Zellen „in den Startlöchern, um Knochenmarktransplantationen durch eine Therapie zu ersetzen, die weniger kostet und an mehr Orten verfügbar ist.“

Dieser Text wurde übersetzt von Dr. Ulrike Walter-Lipow.

Referenzen

Referenzen

  1. 55. Jahreskongress der American Society of Hematology (ASH) 7. bis 10. Dezember 2012, New Orleans, USA
    http://www.hematology.org/meetings/annual-meeting/
  2. ASH-Meeting, Abstract 168 (8.12.2013)
    https://ash.confex.com/ash/2013/webprogram/Paper62867.html
  3. ASH-Meeting, Abstract 163 (8.12.2013)
    https://ash.confex.com/ash/2013/webprogram/Paper58607.html
  4. ASH-Meeting, Abstract 4162 (9.12.2013)
    https://ash.confex.com/ash/2013/webprogram/Paper57239.html
  5. ASH-Meeting, Abstract 873 (10.12.2013)
    https://ash.confex.com/ash/2013/webprogram/Paper57693.html
  6. ASH-Meeting, Abstract 67 (8.12.2013)
    https://ash.confex.com/ash/2013/webprogram/Paper60913.html

Autoren und Interessenkonflikte

Zosia Chustecka
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Knochenderfer J, Horowitz M, Cooper L, Gupp S, Kalos M, Porter D: Es liegen keine Angaben zu Interessenkonflikten vor. Die Studien wurden teilweise in Kooperation mit Kite Pharmaceuticals und Novartis durchgeführt.

Dieser Artikel wurde von Dr. Ulrike Walter-Lipow aus www.medscape.com übersetzt: Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

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