KiGGS 2013: Die meisten Kinder sind gesund

Andrea S. Klahre | 10. Dezember 2013

Autoren und Interessenkonflikte

Rund 15 Millionen unter 20-Jährige leben in Deutschland, das entspricht 18,4% der Gesamtbevölkerung. Die meisten Kinder sind gesund, die meisten Kinder fühlen sich gesund. So lauten die ersten Ergebnisse der „Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland“ (KiGGS), die das Robert Koch-Institut Mitte November veröffentlicht hat – vorab in einer Broschüre für die Teilnehmer. Es ist geplant, die ausführlichen Ergebnisse im Bundesgesundheitsblatt Mitte 2014 vorzustellen [1].

Demnach schätzen 94% der befragten Eltern den allgemeinen Gesundheitszustand ihrer Kinder als gut oder sehr gut ein, 88% der befragten 11-bis 17-Jährigen stimmen dieser Einschätzung zu. Insgesamt geht es 54,7% der Mädchen sehr gut, 38,9% geht es gut. Bei den Jungen macht dieser Anteil 52,7% bzw. 41% aus.

„Unterm Strich ist die subjektive Gesundheit von Jugendlichen in Deutschland heute so gut wie selten zuvor … Heranwachsende schneiden im internationalen Vergleichen gut ab“, schreibt Ute Ellert, Forscherin am RKI [1]. Das subjektive Befinden gilt als sensibles Maß für Gesundheit. Deshalb würden von den Befragten selbst psychosoziale Aspekte in die Bewertung einbezogen.

Grundlage für die neuen Daten ist die umfangreiche Basiserhebung zur körperlichen, psychischen und sozialen Gesundheit, an der zwischen 2003 und 2006 insgesamt 17.641 Jungen und Mädchen im Alter bis 17 Jahre und deren Eltern teilgenommen hatten. Für die nun folgende „erste Welle“ wurden zwischen 2009 und 2012 insgesamt 16.450 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene aus allen sozioökonomischen Schichten befragt.

Im Gegensatz zur KiGGS-Basisstudie handelt es sich bei KiGGS Welle 1 um eine reine Telefonbefragung. Darunter waren 12.368 Mädchen und Jungen von 0 bis 17 Jahren und 11.995 Teilnehmer aus der Basisbefragung, die inzwischen zwischen 6 und 24 Jahre alt sind. Eltern gaben Auskunft zur Gesundheit ihrer Kinder, ab 11 Jahren beantworteten die Kinder zusätzlich einen Teil der Fragen selbst.

Die Themen im Einzelnen

„Unterm Strich ist die subjektive Gesundheit von Jugendlichen in Deutschland heute so gut wie selten zuvor.“
Ute Ellert

Sport und Spiel: 78% der Kinder und Jugendlichen zwischen 3 und 17 Jahren sind sportlich aktiv; 4 Fünftel davon mehr als 2 Stunden pro Woche, ein gutes Viertel mehr als 5 Stunden, darunter mehr Jungen als Mädchen. Unter den 3- bis 10-Jährigen bewegen sich 78% mehr als fünfmal pro Woche beim Spielen an der frischen Luft. Beliebteste Sportart ist bei Jungen mit Abstand Fußball, an Beliebtheit zugelegt haben Kampfsportarten wie Judo oder Karate. Mädchen bewegen sich eher zu Musik, z.B. beim Ballett, immerhin 14% der 11- bis 17-jährigen Mädchen spielen aber auch Fußball.

Unfallverletzungen: Die Häufigkeit ist gegenüber der Basisstudie insgesamt unverändert geblieben. 16% der Kinder und Jugendlichen erleiden im Verlauf eines Jahres eine behandlungsbedürftige Unfallverletzung, z.B. in Form von Prellungen, Knochenbrüchen oder Wunden. Schädigungen durch tätliche Gewalt wurden nicht mitgezählt.

Allergische Erkrankungen: Im Jahr vor der Erhebung waren 16,8% der Heranwachsenden von Heuschnupfen (median 9%), Neurodermitis (6%) oder Asthma bronchiale (4%) betroffen. Der Anteil der Kleinkinder mit Heuschnupfen und Asthma ist im Vergleich zur Basisstudie weiter gestiegen.

Ernährung und Essverhalten: Wer isst wie viel Obst und Gemüse, konsumiert wie viele Softdrinks pro Tag und erhält ein Frühstück daheim? Die Gruppe, die eine altersspezifische Handvoll Obst und Gemüse (5 Portionen) oder mehr täglich verzehrt, ist mit 12,4% (Mädchen) bzw. 9,5% (Jungen) am kleinsten. 47,4% bzw. 49% essen mindestens eine, aber weniger als 3 Portionen; 26,4% bzw. 24,3% essen mindestens 3, aber weniger als 5 Portionen und 13,8% bzw. 17,2% essen weniger als eine Portion.

Die Faustformel für den Konsum von Süßgetränken lautet: je älter, desto mehr. 1,9% der Jungen und 1,1% der Mädchen zwischen 14 und 17 Jahren trinken jeden Tag 2 Gläser oder 200 ml Cola, Limonade oder Eistee. Dagegen sinkt mit steigendem Alter der Anteil derer, die jeden Tag zu Hause frühstücken: Bei den 3- bis 6-Jährigen sind es 90,2%, bei den 14- bis 17-Jährigen 51,4%.

Alkohol- und Tabakkonsum: Die Zahl der Jugendlichen, die Alkohol konsumieren, steigt mit zunehmendem Alter rasch an. Das Rauschtrinken spielt vor allem ab dem 14. Lebensjahr eine Rolle. Bei den 17-Jährigen nehmen 23,5% der Mädchen und 43,3% der Jungen mindestens einmal im Monat mehr als 6 Drinks bei einer Gelegenheit.

Als positiv bezeichnen die Studienautoren dagegen den deutlichen Rückgang der Raucherquoten. Der Anteil der 11- bis 17-jährigen Raucher liegt in KiGGS Welle 1 um rund 10% niedriger als 6 Jahre zuvor.

Nutzung von Bildschirmmedien: Es erstaunt nicht, dass unabhängig vom Geschlecht die sozialen Medien in fast allen Lebensbereichen eine enorme Bedeutung haben: Jeder 7. Jugendliche sitzt mehr als 3 Stunden täglich am Computer. Ebenso viele verbringen über 3 Stunden täglich mit Fernsehen und Videoschauen. Etwas weniger Zeit entfällt auf Spielekonsolen: Knapp ein Fünftel der 11- bis 17-jährigen Jungen und Mädchen spielt mehr als eine Stunde am Tag, etwa die Hälfte gebraucht die Geräte gar nicht.

Insgesamt sind 67% der Jugendlichen täglich mehr als 2 Stunden, 36% mehr als 4 Stunden und 17% sogar über 6 Stunden mit diesen Bildschirmmedien aktiv – Jungen häufiger als Mädchen.

Erstmals Daten zur HPV-Impfquote

Darüber hinaus wurden erstmals Daten zur HPV-Impfquote erhoben. Der bundesweite Anteil der geimpften 14- bis 17-jährigen Mädchen kann nun beziffert werden. „53 Prozent sind mindestens einmal und 40 Prozent dreimal – also vollständig – gegen HPV immunisiert“, so Dr. Christina Poethko-Müller, Epidemiologin am RKI [1]. Um die Krankheitsfälle in der Bevölkerung deutlich zu reduzieren, sei jedoch eine Durchimpfungsquote von mindestens 80% notwendig.

Zum ersten Mal wurde auch nach der Schwimmfähigkeit gefragt. Gelernt haben die heute 11- bis 17-Jährigen das Schwimmen mit rund sechseinhalb Jahren, sozial benachteiligte Kinder deutlich später. Immer noch kann ein Teil der heutigen Jugendlichen aber gar nicht schwimmen.

Insgesamt zeigen sich die Studienautoren überzeugt, dass die aktuellen und künftigen Erkenntnisse helfen werden, die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen weiter zu verbessern. Gleichzeitig sei klar, dass verschiedene Faktoren das Befinden deutlich beeinträchtigen und wichtige Einflussgrößen für Wohl und Wehe im späteren Leben darstellen. Chronische Erkrankungen wirken sich ebenso negativ aus wie ein instabiles soziales Umfeld ohne vertrauensvolle Beziehungen in und außerhalb der Familie.

Immer mehr psychische Erkrankungen und Verhaltensauffälligkeiten

Tatsächlich zeigen die wissenschaftlichen Erkenntnisse vor allem der letzten 30 Jahre, dass es nicht gelingt, chronische Erkrankungen bei Kindern zurückzudrängen. Im Gegenteil: Die Krankheitsbilder nehmen zu, der Anteil betroffener Kinder nimmt zu.

„Kinder sind eigentlich die
Gruppe, deren Gesundheitszustand sich verschlechtert hat.“
Dr. Heike Hoff-Emden

In den Statistiken der Deutschen Rentenversicherung steigen die psychosomatischen, vor allem aber die psychiatrischen Diagnosen stetig. Im „Krankheitsspektrum 2012 der Kinder und Jugendlichen in Reha-Einrichtungen“ sind die 3 Hauptindikationen: Atemwegserkrankungen einschließlich Asthma (29%), psychische Erkrankungen und Verhaltensauffälligkeiten (24%) sowie Adipositas und Stoffwechselerkrankungen (18%) [2]. Der Anteil der übergewichtigen Kinder hat in den letzten 3 Jahrzehnten um 50% zugenommen.

„Ich habe ja nur mit den Verlierern zu tun, doch unabhängig davon sind Kinder eigentlich die Gruppe, deren Gesundheitszustand sich verschlechtert hat“, bestätigt Dr. Heike Hoff-Emden, Chefärztin im Neurologischen Rehabilitationszentrum für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in Sülzhayn/Thüringen, die Entwicklung im Gespräch mit Medscape Deutschland.

Die Autoren der KiGGS-Studie hätten handwerklich und wissenschaftlich alles richtig gemacht, außerdem sei es überhaupt das erste Monitoring in Deutschland zu Kindern, so Hoff-Emden. Dennoch dürfe man fragen: Wie wird „gut gehen“ definiert? Wie kommen Eltern zu der Aussage? „Man muss sich den Bias ansehen.“

Jedes 7. Kind ist arm

Schlecht bzw. sehr schlecht geht es laut KiGGS 0,7% bzw. 0,2% der Mädchen, sowie 0,5% bzw. 0,1% der Jungen. Es handelt sich um die Kinder von Erwachsenen, für die Kinder unwichtig sind – nur Beiwerk oder sogar lästig. Es sind Kinder, die nicht geliebt, die vernachlässigt und ausgegrenzt werden, die verwahrlosen und arm sind.

Die UNICEF-Vergleichsstudie „Reiche Länder – arme Kinder“ von 2012 weist aus, dass jedes 7. Kind in Deutschland auf Hartz IV angewiesen ist; das sind 1,62 Mio. Mädchen und Jungen unter 15 Jahren [3].

Wie sich Armut auf die kindliche Gesundheit auswirkt, dokumentiert der in diesem Jahr erschienene 4. Armuts- und Reichtumsbericht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales [4]. Betroffene Kinder haben zahlreiche Defizite, sie leiden häufiger an Lernbehinderungen, Sprachbehinderungen und Verhaltensauffälligkeiten, ebenso unter geistig-körperlich-sinnesspezifische Behinderungen.

Umgekehrt wird hier, wie auch beim RKI, betont: Nur wenn Kinder sich geliebt fühlen, wenn ihre Bedürfnisse gestillt werden und sie seelisch gesund heranwachsen, können sie sich zu stabilen Erwachsenen entwickeln, die dann eine gesunde Gesellschaft bilden.

Referenzen

Referenzen

  1. KiGGS Welle 1: Die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland – 2013. Robert Koch-Institut, 14. November 2013
    http://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Studien/Kiggs/Kiggs_w1/Kiggs_w1_node.html
  2. Fachtagung der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendrehabilitation e. V., 13. Juni 2013, Berlin
    Weinbrenner S: Engagement der Deutschen Rentenversicherung in der Kinder- u. Jugendrehabilitation
    http://www.arbeitsgemeinschaft-kinderrehabilitation.de/
  3. Unicef-Vergleichsstudie 2012: Reiche Länder – arme Kinder. Köln, 29. Mai 2012
    http://www.unicef.de/presse/2012/vergleichsstudie-kinderarmut/19308
  4. Bundesministerium für Arbeit und Soziales: Lebenslagen in Deutschland – Armuts- und Reichtumsberichterstattung der Bundesregierung. Berlin, März 2013
    http://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Publikationen-DinA4/a334-4-armuts-reichtumsbericht-2013.pdf?__blob=publicationFile

Autoren und Interessenkonflikte

Andrea S. Klahre
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Ellert U, Poethko-Müller C, Hoff-Emden H: Es liegen keine Erklärungen zu Interessenkonflikten vor.

Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.