„Das präzise Staging von Patienten mit nicht-kleinzelligem Lungenkrebs ist von größter Bedeutung, da es sich deutlich sowohl auf die Behandlungsmöglichkeiten als auch auf die Prognose auswirkt.“
Dies ist ein Ergebnis einer Studie, in der Tausende von Tumorproben von Lungenkrebspatienten analysiert worden sind. Die Teams um die Studienleiter Prof. Dr. Reinhard Büttner, Prof. Dr. Jürgen Wolf und Prof. Dr. Roman Thomas vom Institut für Pathologie, Centrum für Integrierte Onkologie und von der Abteilung Translationale Genomik an der Universitätsklinik Köln, sprechen sich zudem für eine exaktere Klassifizierung von Bronchialtumoren aus.
Die Studienergebnisse des Kölner Clinical Lung Cancer Genome Project (CLCGP) und des Network Genomic Medicine (NGM) sind anlässlich der 15. Weltkonferenz Lungenkrebs (WCLC) Ende Oktober im australischen Sydney vorgestellt und zeitgleich in Science publiziert worden [1, 2]. Die Wissenschaftler versuchenin diesen Projekten, weitere genetisch definierte Subgruppen und insbesondere Treibermutationen zu identifizieren, die für die Entstehung und Behandlung des nicht-kleinzelligem Lungenkrebses (non-small cell lung cancer, NSCLC) relevant sind. Ziel ist es, langfristig den Kreis der Patienten zu erweitern, die spezifische (gezielte) Therapieansätze erhalten.
Längeres Überleben durch personalisierte Medizin
Beim Bronchialkarzinom, der häufigsten krebsbedingten Todesursache bei Männern, zeigt sich das Potenzial der personalisierten Medizin besonders deutlich: Patienten, die in der Genom-basierten Diagnostik eine EGF (Epidermal Growth Factor)-Rezeptor-Mutation oder ALK (Anaplastic Lymphoma Kinase)-Translokation aufweisen, überleben median signifikant länger, wenn sie als Erstlinientherapie einen Tyrosinkinase- bzw. ALK-Inhibitor erhalten anstatt der klassischen Chemotherapie. „Für EGFR konnte ein circa 24 Monate längeres Überleben nachgewiesen werden, für ALK waren es circa 15 Monate“, lautet eines der Studienergebnisse.
Allerdings sind EGFR und ALK bei weniger als einem Fünftel der Patienten nachweisbar, und allen droht nach Ende der Therapie ein baldiges Fortschreiten der Erkrankung. Auch sind hierzulande Tests auf Biomarker noch nicht bei alle Patienten Routine, sodass eine zielgerichtete Firstline-Therapie nicht generell umsetzbar ist.
Nicht zuletzt gibt es viele Patienten, denen momentan kein passender Ansatz angeboten werden kann. Erst seit kurzem besteht für die Translokation des Krebsgens ROS1, das sich nur bei 1% aller NSCLC-Patienten findet, die Möglichkeit einer personalisierten Behandlung – mit dem gleichen Medikament, das für die ALK-Translokation zugelassen ist. Die präzise Zuordnung von Patienten könnte daher die Therapiemöglichkeiten verbessern.
Neue Erkenntnisse zur histo-pathologischen Einordnung
Für die Projekte wurden zwischen Januar 2010 und April 2013 insgesamt 5.145 Lungenkrebspatienten aus Nordrhein-Westfalen gescreent; letztlich wurden 3.863 (75%) Tumorproben umfassend genotypisiert, analysiert und klassifiziert. Das Material stammt aus dem Netzwerk Genomische Medizin (NGM), dem bundesweit mehr als 40 universitäre und außeruniversitäre Lungenkliniken sowie niedergelassene Onkologen angehören. 63% der Proben stammen von Männern. Bei 65% der Proben handelte es sich um Adenokarzinome, die ca. 20% der Bronchuskarzinome ausmachen.
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sicherung unbedingt zu berücksichtigen.“
Es wurden Gen-Assays auf EGFR, KRAS, BRAF, PIK3CA, HER2-Amplifikationen und Translokationen für ALK, ROS1, RET vorgenommen. Patienten mit einem Plattenepithelkarzinom, dem mit 40 bis 45% häufigsten NSCLC, wurden auf Amplifikationen in FGFR1 und Mutationen in DDR2 gescreent.
Mit Hilfe aller gefundenen Genveränderungen konnten die Forscher eine Zuordnung zu den Subtypen kleinzelliger bzw. nicht-kleinzelliger Lungenkrebs, Adeno-, Plattenepithelkarzinom und weitere Unterarten vornehmen. Letztere sind selten und machen zusammen weniger als 10% der Bronchialkarzinome aus. Die Unterscheidung in SCLC und NSCLC begründet sich in Unterschieden hinsichtlich biologischem Verhalten, Prognose und Therapiemöglichkeiten.
Hierbei gelangte man zu weiteren Ergebnissen: Zum einen können großzellige Bronchialkarzinome durch sorgfältige Genotypisierung fast immer den anderen histologischen Subgruppen zugeordnet werden. „Diese Erkenntnis könnte die Diagnose ,großzelliger Lungenkrebs’ auf Dauer überflüssig machen und damit die Klassifizierungssystematik der Erkrankung verändern“, wird Büttner in der Pressemitteilung zitiert [3].
Die großzelligen Formen gelten bislang als Varianten des NSCLC, machen 10 bis 15% aller Lungenkrebsdiagnosen aus und sind wahrscheinlich entdifferenzierte Adeno- oder Plattenepithelkarzinome, die unter dem Lichtmikroskop nicht mehr als solche zu erkennen sind.
Zum anderen konnten für 40% der NSCLC-Patienten potenziell behandelbare molekulare Veränderungen identifiziert werden. In der Folge konnten 40 Patienten frühzeitig klinischen Studien zugewiesen werden.
Das Fazit der Forscher lautet, dass Patienten, die auf Basis eine Mutationsanalyse eine personalisierte Therapie erhalten, davon erheblich profitieren können: Für viele von ihnen besteht schon heute Hoffnung auf neue Optionen. „Daraus leitet sich für uns ab, die molekulare Diagnostik künftig bei der Diagnosesicherung unbedingt zu berücksichtigen. Da wir bei anderen Tumorerkrankungen ähnliche Erfahrungen gemacht haben, werden wir die genetischen Untersuchungen schon bald auf alle Krebspatienten ausweiten“, so die Autoren.
Weiterer Schub für Genomanalysen
PD Dr. Wolfgang Schütte, Chefarzt der Inneren Medizin II am Städtischen Krankenhaus Martha-Maria in Halle-Dölau, und Mitglied der ASCO, kommentiert gegenüber Medscape Deutschland die „Kölner Lungenkrebsanalyse“ als eines der „absoluten Highlights des WCLC“. Nicht nur, weil sich neue Erkenntnisse zur histo-pathologischen Einordnung der Lungenkarzinome finden ließen: „Die weitaus wichtigere Information besteht in der Analyse von Treibermutationen in Abhängigkeit vom histologischen Typ, die bei mehr als 55 Prozent der Fälle gefunden wurden.“
Treibermutationen oder „genetische Driver Läsionen“ initiieren das Tumorwachstum und treiben die Malignität voran. Manche sind pharmakologisch angreifbar, andere schwer bis gar nicht. „Für manche dieser Mutationen gibt es schon therapeutische Interventionsmöglichkeiten oder sie sind in der Erforschung – oder die Mutationen sind Anlass, auf dem jeweiligen Gebiet nach weiteren Therapiemöglichkeiten zu suchen“, so Schütte.
Dass Patienten, bei denen eine genaue Genomanalyse vorgenommen wurde, insgesamt ein besseres Überleben haben als Patienten, bei denen diese nicht durchgeführt wird, spreche dafür, dass sie die absolute Voraussetzung für die Einleitung einer optimalen Therapie ist.
zu gering und
damit als nicht zufriedenstellend einzuschätzen.“
„Man darf davon ausgehen und darauf hoffen, dass neben den zugelassenen Medikamenten für die inzwischen etablierten Marker, wie die EGF-Rezeptor-Mutation und die EML 4 ALK-Translokation, in den nächsten Jahren deutlich mehr Möglichkeiten für eine gezielte und damit zunehmend individualisierte Therapie des Lungenkrebses möglich sind“, sagt Schütte. Auf den Kongressen würden viele Phase-1- und -2-Studien dargestellt, in denen Inhibitoren für entsprechende Treibermutationen vorgestellt werden.
Aufgrund dieser Situation dürften die vorliegenden Studienergebnisse ganz sicher einen weiteren Schub in Deutschland dahingehend auslösen, immer mehr Patienten auf entsprechende genomische Veränderungen zu untersuchen. Denn, so Schütte: „Zurzeit ist insgesamt die Analysesituation in Deutschland als zu gering und damit als nicht zufriedenstellend einzuschätzen.“
Bisher wird die Diagnose üblicherweise auf Grundlage einer mikroskopischen Untersuchung einer Gewebeprobe aus der Lunge erstellt. In den letzten Jahren wurde zwar ein Netz von zertifizierten pathologischen Instituten aufgebaut, in denen ein Genomtest auf hohem Niveau erbracht werden kann. Damit diese Leistung aber auch gezielt eingesetzt werden kann, sind Kenntnisse über die Verteilung des Mutationsstatus von hohem Interesse – der Kreis schließt sich.