
Berlin – Seit der Jahrtausendwende erhalten psychiatrische Patienten sowohl Antidepressiva als auch Antipsychotika seltener als Monotherapien. Stattdessen wurden – vor allem bis 2008 – immer öfter Zweier-, manchmal auch Dreierkombinationen verschrieben. Brachten diese Kombinationen – wie so oft gefürchtet – nun „automatisch“ eine Steigerung der Arzneimittelinteraktionen und der unerwünschten Arzneimittelwirkungen mit sich?
Keineswegs, erklärt Prof. Dr. Eckart Ruether, niedergelassener Psychiater und Psychotherapeut in München und Experte für Arzneimittelsicherheit, ehemals Direktor der Psychiatrischen Klinik der Universität Göttingen, im Gespräch mit Medscape Deutschland, präzisiert aber: „Obwohl die Daten andererseits zeigen, dass gewisse Kombinationen bei bestimmten unerwünschten Arzneimittelwirkungen häufiger angeschuldigt werden.“
In einem von ihm geleiteten Symposium auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) in Berlin wurden umfangreiche Daten des Projekts „Arzneimittelsicherheit in der Psychiatrie (AMSP) vorgestellt [1]. An diesem Projekt sind derzeit 40 psychiatrische Kliniken in Deutschland, 9 in Österreich und 12 in der Schweiz beteiligt [2]. „Das Projekt gibt es in dieser Form schon seit 1993“, so Ruether.
„Zweit-Psychopharmakon“ per se kein Grund zur Sorge?

„In den AMSP-Kliniken erhöhte sich die Zahl der pro Patient verordneten Medikamente in den Jahren 1994 bis 2008 von durchschnittlich 3 auf 4,5“, berichtete Prof. Dr. Waldemar Greil, Sanatorium Kilchberg sowie Stauffacherpraxis Zürich, Schweiz, und Universitätsklinikum München. „Die Zahl der Kombinationen mit ‚High-Alert‘-Meldungen zu bedenklichen Interaktionen verringerte sich aber im selben Zeitraum von durchschnittlich 1,5 auf 0,5 pro Patient.“ [3] Das spricht für eine sorgfältige Auswahl zueinander passender Wirkmechanismen und für eine bessere Überwachung der Patienten.
„Prinzipiell sollten vor und während einer Mehrfachtherapie in der Klinik häufiger die Nieren- und Leberwerte, das Blutbild und die Elektrolyte kontrolliert und zum Beispiel wöchentlich ein EKG geschrieben werden“, rät Ruether auf Nachfrage von Medscape Deutschland.
Einige Psychoparmaka und deren Kombinationen erfordern mehr Aufmerksamkeit als andere. Ruether zählte einige auf: „Kombinationen mit Anticholinergika können Delire fördern, die verschiedenen serotonergen Präparate können Serotoninsyndrome und Herzrhythmusstörungen triggern, auch in Monotherapie, und etliche Antipsychotika können extrapyramidale Nebenwirkungen hervorrufen.“
nationen mit ‚High-Alert'-Meldungen zu bedenklichen Inter-
aktionen verringerte sich … von durch-
schnittlich 1,5 auf
0,5 pro Patient.“
Gerade zur kardiovaskulären Sicherheit der Psychopharmaka gibt es aber noch offene Fragen. So ist laut einer noch unveröffentlichten Studie das Risiko von Herzrhythmusstörungen bzw. QTc-Verlängerungen – vor allem in Kombination mit vorbestehenden kardiovaskulären Risikofaktoren – unter einigen Medikamenten wie Citalopram und/oder Escitalopram, Sertindol, Haloperidol und Methadon erhöht [4]. In einer Gesamtauswertung der kontrollierten Studien zu Escitalopram dagegen wurde kein erhöhtes Risiko im Vergleich zu Placebo festgestellt [5], und auch die AMSP-Daten zu Citalopram und Escitalopram sind nicht auffällig [6].
Die Leber ist das „Nadelöhr“ und Tranquilizer sind schlechte Kombipartner
Dr. Eveline Jaquenoud Sirot ist Leiterin des mediQ – Qualitätszentrum für Medikamentensicherheit, Klinik Königsfelden, Schweiz, das am Projekt AMSP maßgeblich beteiligt ist. Sie erinnerte an das „Nadelöhr“ Leber und die mit der Verstoffwechselung der Medikamente verbundenen pharmakokinetischen Wechselwirkungen. So beeinflussen sich einige Psychopharmaka in ihren Blutspiegeln gegenseitig via Induktion oder Hemmung von Cytochrom P450.
Als Beispiele nannte Jaquenoud Sirot unter anderem Carbamazepin/Quetiapin (mögliche Unwirksamkeit von Quetiapin), Paroxetin/Metoprolol (Gefahr von Bradykardie und Hypotonie) und Fluvoxain/Clozapin (Risiko einer Clozapin-Intoxikation). Und sogar der Beginn einer Nikotinkarenz kann negative Effekte am CYP450 haben: Er kann bei gleichzeitiger Gabe von Clozapin oder Olanzapin deren Wirkspiegel in toxische Bereiche hochtreiben.
werte, das Blutbild und die Elektrolyte kontrolliert werden.“
Schwere und lebensbedrohliche unerwünschte Arzneimittelwirkungen finden sich in den AMSP-Daten tendenziell häufiger unter der Therapie mit Antipsychotika plus Tranquilizer (etwa Benzodiazepinen) als bei anderen Kombitherapien. Dies berichtete Priv.-Doz. Dr. Susanne Stübner, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie am Bezirkskrankenhaus Augsburg. Dagegen waren die Kombinationen Antipsychotikum/Hypnotikum oder Antipsychotikum/Anti-Parkinson-Medikament (gegen extrapyramidale Symptome) seltener mit lebensbedrohlichen Komplikationen verbunden.
Zu beachten ist, dass viele Patienten neben den Psychopharmaka auch internistische Medikamente erhalten, die ein potenzielles Interaktionsrisiko bergen. So steigert die gleichzeitige Gabe von selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) oder selektiven Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern (SNRI) mit blutdrucksenkenden ACE-Hemmern, Diuretika oder beidem drastisch die Wahrscheinlichkeit einer Hyponatriämie, betonte Stübner.
Die gute Nachricht: Komplikationen sind bei Älteren nicht häufiger
mit Anticholinergika können Delire fördern, ... seroto-
nerge Präparate Serotoninsyndrome und Herzrhythmus-
störungen triggern, auch in Mono-
therapie.“
Greil und Stübner machten zudem auf einige Besonderheiten in der Altersstruktur der Patienten mit Psychopharmaka-Interaktionen aufmerksam. So wurden lebensbedrohliche Komplikationen unter Dreifachkombinationen von Antipsychotika häufiger in der Altersgruppe unter 40 Jahren beobachtet. „Das könnte auch daran liegen, dass junge Menschen, die drei und mehr Antipsychotika benötigen, generell schwer erkrankt sind“, gab Stübner zu bedenken. Auch Ruether nannte gegenüber Medscape Deutschland die Schwere der Erkrankung als eine wahrscheinliche Ursache dieser auffälligen Zahlen.
maka mit den Jahren.“
Umgekehrt konnte Greil in einer eigenen Studie an AMSP-Daten der Schweizer Kliniken feststellen, dass unerwünschte Arzneimittelwirkungen wie Leberenzymerhöhungen, Galaktorrhoe, extrapyramidale Symptome und Gewichtszunahme unter Psychopharmaka mit steigendem Alter seltener vorkommen. Lediglich Ödeme traten tendenziell häufiger und Delirien signifikant häufiger bei älteren als bei jüngeren Patienten auf [7].
Ein besonderes Plus haben die älteren Patienten speziell bei der sonst nicht seltenen Gewichtszunahme, hier scheint das Alter ein Vorteil zu sein: „Besonders auffällig ist der deutliche Abfall des Risikos einer Gewichtszunahme durch Psychopharmaka mit den Jahren“, so Greil: „Bei über 75-jährigen Patienten sinkt dieses Risiko praktisch auf null.“