Berlin – Dass eine Frau während der Geburt stirbt, ist in Deutschland extrem unwahrscheinlich geworden: Auf 100.000 Geburten kommen nur acht Todesfälle. Aber wenn es passiert, ist es eine Katastrophe, nicht nur für die Familie: „Auch beim betroffenen Team in der Geburtshilfe zeigen sich oft jahrelange Belastungsstörungen“, sagt Prof. Dr. Wolfgang Henrich, Direktor der Kliniken für Geburtsmedizin an der Charité [1]. Hinzu kommt fast immer eine lange juristische Auseinandersetzung.
Im Vorfeld des Deutschen Kongresses für Perinatale Medizin warnt Henrich davor, das Risiko zu unterschätzen: „Viele Beinahe-Katastrophen werden nur durch die Leistung des Teams im Kreißsaal verhindert.” Doch Komplikationen wie etwa die Sepsis würden heute zu wenig gelehrt. „Ein frühes Erkennen ist aber essentiell, um einen lebensbedrohlichen Zustand zu behandeln.”
Häufigster Grund für einen Notfall während der Geburt ist eine Thrombose oder Embolie. Eine von 1.000 Schwangeren ist davon betroffen. Besonders gefährdet sind Frauen mit Übergewicht und Bluthochdruck, Mehrlingen, Placenta praevia und nach Kinderwunschbehandlung. „Wird eine Thrombose rechtzeitig entdeckt, so kann eine Embolie meist verhindert werden”, sagt Henrich. Wichtigstes Symptom ist ein geschwollenes, schmerzhaftes Bein.
Bluthochdruck muss früh behandelt werden
Die zweithäufigste Komplikation stellen schwere Blutungen dar, weil sich die Gebärmutter nicht zusammenzieht oder die Plazenta sich nicht rechtzeitig und vollständig ablöst. Hier arbeiten die Geburtshelfer unter anderem mit flüssigkeitsgefüllten Druckballons in der Gebärmutter, kontraktionsfördernden Medikamenten und dem Ersatz von Blut und Plasma.
„Diese komplexe Behandlung gelingt nur interdisziplinär in trainierter Zusammenarbeit mit Anästhesisten und Gerinnungsspezialisten”, sagt Henrich. Risikofaktoren für eine Blutung sind unter anderem Zwillingsgeburten, ein sehr großes Kind, sehr viel Fruchtwasser und Voroperationen an der Gebärmutter.
Auch ein zu hoher Blutdruck sollte immer ein Alarmsignal sein. Hier werden derzeit die Leitlinien überarbeitet mit dem Ziel, diesen früher und effektiver in der Schwangerschaft zu behandeln. Sonst besteht unter der Geburt ein erhöhtes Risiko für Schlaganfälle, Herzinfarkt oder ein Reißen der Hauptschlagader. „Jede Frau sollte sich mindestens einmal in einer Klinik vorstellen”, sagt Henrich: „Pränatale Diagnostik heißt nicht nur, das Kind zu untersuchen, sondern auch die Mutter.” Dadurch könnten viele Komplikationen rechtzeitig erkannt und beherrscht werden.
Hohe Sterblichkeit bei Sepsis im Wochenbett
Unterschätzt wird die Gefahr einer Sepsis im Wochenbett, mahnt Henrich: „Eine Infektion mit Typ-A-Streptokokken führt heute noch trotz bester intensivmedizinischer Behandlung in jedem zweiten Fall zum Tod.” Die frühe Gabe von Antibiotika ist dabei entscheidend. Doch die Sepsis ist nicht immer leicht zu erkennen. Symptome sind erhöhte Temperatur, Gliederschmerzen und Abgeschlagenheit, ein niedriger Blutdruck und hohe Infektionsparameter im Serum (C-reaktives Protein).
„Jede Temperaturerhöhung im Wochenbett muss deshalb mit größter Wachsamkeit abgeklärt werden”, sagt Henrich. Einen Hinweis gibt die Antwort auf die Frage, ob in der Familie eine Streptokokkeninfektion vorlag, etwa eine Mandelentzündung oder Scharlach. Eine präventive Antiobiotikatherapie sei nach einer Spontangeburt nicht notwendig. „Nach einem Kaiserschitt ist sie aber ein absolutes Muss.”
Ingesamt nehmen die Komplikationen zu, berichtet Henrich. Die Schwangeren werden älter, Vorerkrankungen sind besser beherrschbar, so dass heute Frauen ein Kind bekommen, die früher gar nicht das entsprechende Alter erreicht hätten oder schlicht nicht schwanger geworden wären. „Wir begegnen dem gestiegenen Risiko mit immer neuen Techniken”, sagt Henrich, „nur deshalb ist die Rate an Todesfällen weiter so niedrig.”
Dafür brauche es aber genügend Personal, regelmäßige Schulungen und eine ausreichende technische Ausstattung. „ Das wird durch finanzielle Defizite gefährdet”, warnt der Gynäkologe. Auch die Vielzahl kleiner Häuser, die Geburten anbieten, sei problematisch. „ Wenn wir die Zahl der Sterbefälle weiter verringern wollen, dürfte das nur durch eine Zentralisierung der Geburtshilfe erreichbar sein.”
Henrich verweist dabei auf Schweden: Dort finden Geburten nur in Kliniken statt, die auch eine Kinderintensivstation haben.