Hamburg – Sind Traumata Prädiktoren für den Übergang von akutem in chronischen Schmerz? Wenn ja, könnte das spezifische psychotherapeutische Verfahren Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR), dass erfolgreich bei Traumapatienten eingesetzt wird, womöglich auch Patienten mit chronischem Rückenschmerz helfen.
Diesen Vermutungen sind Dr. Jonas Tesarz und seine Kollegen aus der Sektion Integrierte Psychosomatik (Schwerpunkt Bewegungssystem) an der Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Psychosomatik der Universitätsklinik Heidelberg nachgegangen. Anlässlich des Deutschen Schmerzkongresses stellte Tesarz auf einem Symposium über Zusammenhänge zwischen psychischen Traumatisierungen und muskuloskelettalen Schmerzsyndromen erste Daten eigener Untersuchungen vor [1].
effekten hat. Das bedeutet aber nicht, dass EMDR bei allen Patienten wirkt.“
Die Antwort auf die erste Frage – ob Traumata Prädiktoren für den Übergang von akutem in chronischen Schmerz sind – lautet eindeutig ja. Eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) ist ein signifikanter Risikofaktor für chronischen Rückenschmerz. „Die Stressvulnerabilität triggert den Schmerz“, so Tesarz.
Die Antwort auf die zweite Frage – ob die Traumatherapie dann hilfreich ist – war für die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Wolfgang Eich, dem Leiter der Heidelberger Sektion Integrierte Psychosomatik, weniger eindeutig: „Unsere Ergebnisse zeigen, dass EMDR einen direkten Effekt auf Rückenschmerz mit guten Langzeiteffekten hat. Das bedeutet aber nicht, das EMDR bei allen Patienten wirkt. Einige wurden schmerzfrei, andere überhaupt nicht“, so das Kernergebnis.
Belastende Lebensereignisse sind noch kein Trauma
Die Prävalenz für chronische Rückenschmerzen liegt in Deutschland bei knapp 20%. Repräsentative, fragebogen-basierte Studien haben gezeigt, dass rund ein Viertel der Befragten über belastende Lebensereignisse berichten. Dazu gehört die Ehescheidung ebenso wie die Arbeitslosigkeit oder der Tod eines nahen Angehörigen.
Zwar wird jedes dieser Ereignisse subjektiv als mehr oder minder traumatisch beschrieben, allerdings erfüllt keines die klinischen Kriterien für eine PTBS. Hierbei handelt es sich gemäß DSM-V um Ereignisse, die mit Tod, Lebensgefahr oder massiver Körperverletzung einhergehen, z. B. im Zusammenhang mit sexuellem und/oder physischem Missbrauch, schweren Verkehrsunfällen, Kriegserlebnissen. Auch soziale Vernachlässigung hat einen bedeutenden Einfluss auf die Schmerzverarbeitung.
„Die PTBS-Problematik mit typischen Symptomen wie Übererregung, Vermeidungsverhalten und negativen Kognitionen sowie depressiven und somatoformen Begleitsymptomen ist mit einer Häufigkeit von knapp 20 Prozent gerade bei älteren Patienten relativ hoch“, betont Tesarz [2].
Eine eigene Stichprobe mit chronischen Rückenschmerzpatienten (n=123) aus der Heidelberger Schmerzambulanz hat ergeben: Rund 76% gaben ein traumatisches Ereignis im Sinne eines belastenden Lebensereignisses an, bei 36% handelte es sich um eine echte PTBS mit Folgestörungen.
Für Tesarz und Kollegen war nun von Interesse, dass dieser Schmerz mit Effektstärken von 2 bis 3 (Hedge´s g) relativ schlecht spezifisch zu behandeln ist. Ob EMDR, das ursprünglich für die Behandlung von Patienten mit einer PTBS entwickelt worden ist und bei diesen sehr wirksam sein kann, auch für Rückenschmerzpatienten geeignet sein könnte, wollten die Heidelberger Forscher genauer wissen und sichteten die Studienlage.
Hohe Effektstärken für EMDR
In einer systematischen Übersichtsarbeit wurden alle existierenden randomisiert-kontrollierten Studien (insgesamt 2) und prä/post-Beobachtungsstudien (insgesamt 10) mit insgesamt 196 Rückenschmerzpatienten ausgewertet. Die Outcomes waren Arbeitsunfähigkeit/Invalidität (5 Studien), Depression (8 Studien) und/oder Angst (5 Studien).
Im Ergebnis konnten zum Teil hohe bis sehr hohe Effektstärken (Hegdge´s g >1.1) für EMDR gezeigt werden – sowohl bei der Schmerzsymptomatik, beim Grad der Beeinträchtigung und bei der Wirkdauer. „Das Interessante ist: Während die meisten Daten – auch Cochrane-Daten – zeigen, dass EMDR über die Reduktion von Depression und Angst die Schmerzen reduziert, zeigen unsere Ergebnisse, dass es einen direkten Effekt auf den Schmerz gibt“, hob Tesarz in seinem Fazit hervor.
„EMDR wird neben anderen Verfahren in allen Leitlinien bei psychischen Traumata und Traumafolgestörungen empfohlen“, so Tesarz. Es ist etabliert und funktioniert nach einem starren Protokoll über Finger- und Augenbewegungen: Patient und Therapeut sitzen einander gegenüber, der Therapeut bewegt einen Finger hin und her, der Patient folgt diesen Bewegungen mit den Augen. Gleichzeitig fokussiert er noch einmal die belastenden Erinnerungen und schätzt sie ein. Dadurch kommt es zu einer Art in-vivo-Exposition. Auf diese Weise lassen sich relativ gut in maximal 8 bis 12 Sitzungen die Symptome einer Traumafolgestörung behandeln.
„Man weiß, dass es wirkt, aber man weiß nicht, wie es wirkt“, schränkte Tesarz ehrlicherweise ein. Es könne bisher gezeigt werden, dass dysfunktionale Informationen verarbeitet werden, dass durch die bilaterale Stimulierung der Augen eine Entspannung induziert wird und dass die beschleunigte Informationsverarbeitung parasympathisch stimuliert wird – mehr aber nicht.
Rückenschmerz ist meist unspezifisch
Letztlich hat die Arbeitsgruppe versucht, ein Dilemma einzukreisen, das für den Rückenschmerz hinlänglich bekannt ist: Er ist meist unspezifisch und ein „Mixed Pain Syndrome“ mit nozizeptiven und neuropathischen Komponenten.
Unter den Schlagworten „unspezifisch“ oder „mechanisch“ finden sich in der Literatur im Bereich der nozizeptiven Rückenschmerzen vor allem Myogelosen; sekundäre Reizzustände; Bandscheibendegenerationen, die zu Spondylosen, Spondylarthrosen, Spinalkanalstenosen, Blockaden führen.
Traumata gehören zu den unspezifischen Risikofaktoren. „Der Einfluss traumatischer Erfahrungen ist vielseitig untersucht, Patienten mit chronischen nichtspezifischen muskuloskelettalen Schmerzen berichten signifikant häufiger über traumatisierende Lebensereignisse als schmerzfreie Personen“, erklärte Eich als Vorsitzender der Veranstaltung.
Gleiche Therapien für große heterogene Gruppe
Allerdings seien die Zusammenhänge noch nicht vollständig geklärt und hierzu durchgeführte Studien teilweise widersprüchlich. Unklar sei, welche psychischen Traumata bei chronischen muskuloskelettalen Schmerzen inklusive Rückenschmerz primär einen Einfluss auf die Schmerzverarbeitung haben. Auch bleibt umstritten, auf welchem physiologischen und psychologischen Weg sie die Entstehung, Chronifizierung oder Ausbreitung von Schmerzen beeinflussen.
„Es ist ein Balanceakt: Wir neigen zur Bagatellisierung,
der Patient zur Katastrophisierung.“
„Das bedeutet im Moment für diese große heterogene Gruppe, dass alle die gleichen Therapien übergestülpt bekommen“, ergänzte PD Dr. Winfried Häuser, Leiter der Inneren Medizin I – Psychosomatik am Klinikum Saarbrücken. Nötig seien aber spezifische Module, die es erlauben, jeden Patienten auf das Vorliegen einer psychischen Störung und seiner Ressourcen zu screenen, um zu einer spezifischen Therapie zu gelangen. „Es ist ein Balanceakt: Wir neigen zur Bagatellisierung, der Patient zur Katastrophisierung. Relevant ist aber die Realität des Patienten.“
Häuser, selbst Cochrane-Autor, evaluiert daher ebenso wie Tesarz verschiedene Patientengruppen mit dem Ziel, diesen gegebenenfalls ein differenziertes Psychotherapieangebot zu ermöglichen. Bei Patienten mit chronischem Rückenschmerz als Folge eines Traumas lohnt nun die Überlegung, eine Traumatherapie mit EMDR zu versuchen.