Selbstentfaltende Aortenklappe CoreValve® überzeugt bei Hochrisiko-Patienten

Shelley Wood | 26. November 2013

Autoren und Interessenkonflikte

San Francisco  – Der Einsatz der selbstexpandierenden Transkatheter-Aortenklappe CoreValve® (Medtronic) in der CoreValve®-Extreme-Risk-Studie ging mit den niedrigsten Raten von Schlaganfällen und paravalvulären Lecks (PVL) einher, die bis dato in Transkatheter-Aortenklappen-(TAVI)-Implantationsstudien aufgetreten sind. Dies berichtete Dr. Jeff Popma vom Beth Israel Deaconess Medical Center, Boston, USA und Mitautor dieser in der in den USA wichtigen Studie beim Transcatheter Cardiovascular Therapeutics (TCT) Kongress 2013 in San Francisco.

Die Studie konnte ihren primären Endpunkt, eine Senkung der Todesfälle oder Fälle von schweren Schlaganfällen, wie erwartet erreichen. Jedoch war der Einsatz der Prothese bei einem von 5 Patienten mit der Implantation eines Schrittmachers verbunden.

„Wir haben hier gelernt, dass bei diesen Patienten
(mit PV-Lecks) die Mortalitätsrate sehr hoch ist.“
Dr. Jeff Popma

„Aus diesem Grund haben wir CoreValve® bei uns nur bei Patienten eingesetzt, die bereits einen Schrittmacher hatten“, sagt Prof. Dr. Hans-Reiner Figulla, Direktor der Klinik für Kardiologie, Angiologie, Pneumologie und Internistische Intensivmedizin am Uniklinikum Jena, in einem Interview mit Medscape Deutschland. Aktuell darf CoreValve® in Deutschland aufgrund eines Patentstreits von Medtronic und Edwards Lifesciences, dem Hersteller der konkurrierenden Sapien XT-Prothese nur in Sonderfällen eingesetzt werden, wie Medscape Deutschland  berichtete.

In der CoreValve®-Extreme-Risk-Studie sollten Patienten ursprünglich im Verhältnis 2:1 zu einer transfemoralen Implantation von CoreValve® oder bestmöglicher medizinischer Versorgung inklusive Valvuloplastie randomisiert werden. Dieses Design wurde jedoch, wie Popma auf dem TCT-Kongress erklärte, außer Kraft gesetzt, nachdem 2010 die Ergebnisse der PARTNER-B-Studie mit der Edwards Sapien XTTM-Aortenklappe (Edwards Lifesciences) publiziert wurden. Danach galt die konservative Behandlung von Patienten, die für Aortenklappen infrage kamen, nicht mehr als ethisch vertretbar.

Stattdessen entschied sich die amerikanische Food and Drug Administration (FDA) aufgrund von Valvuloplastie-Studien und konservativster Mortalitätsschätzungen in der medizinischen Behandlungsgruppe in PARTNER B gemeinsam mit den Prüfern für eine Neugestaltung der Studie. So wurde CoreValve® Extreme Risk weitergeführt als Einarm-Studie mit objektivem Erfolgsziel – der Senkung der Zahl von Todesfällen und schweren Schlaganfällen gegenüber bisherigen TAVI-Implantationsstudien um 43%.

Insgesamt wurde CoreValve® bei 471 Patienten eingesetzt. Die allgemeine Mortalitätsrate lag nach 30 Tagen bei 7,9% und nach 12 Monaten bei 24%.

Ein Schlaganfall, eine der am häufigsten diskutierten und gefürchteten Komplikationen von TAVI, trat bei 2,4% der Patienten nach einem Monat und bei nur 4,1% der Patienten im Jahr auf. Zum Vergleich: In PARTNER B betrugen die Schlaganfallraten 5% nach 30 Tagen und 7,8% nach 12 Monaten. Popma warnte allerdings strengstens davor, diese Zahlen einfach nebeneinander zu stellen.

Paravalvuläre Lecks nur selten beobachtet

Ebenfalls gering fielen die PVL-Raten aus: Nach einem Monat hatten lediglich 11,5% der Patienten moderate oder schwere PVL. Und erstaunlicherweise habe sich dieser Anteil mit der Zeit verbesserte, berichtete Popma. Nach einem Jahr hatten nur noch 4,1% der Studienteilnehmer PVL, oder anders ausgedrückt: Bei 80% der Patienten mit einem PVL nach einem Monat hatte sich das Ausmaß des Lecks nach 12 Monaten reduziert. Bei keinem der Patienten wurde während der Studie eine Verschlimmerung von moderat nach schwer festgestellt.

Jedoch sollte erwähnt werden, dass 7 Patienten (1,6%) zum Entlassungszeitpunkt schwere PVL hatten und die Mortalität unter diesen Patienten mit 86% extrem hoch ausfiel. 

„Das sagt uns, dass wir zum Zeitpunkt der Implantation sehr rigoros sein müssen und dieses Ausmaß an PV-Lecks nicht akzeptieren dürfen“, sagte Popma gegenüber Medscape. „Wir haben hier gelernt, dass bei diesen Patienten die Mortalitätsrate sehr hoch ist.“ Operateure, die so etwas sehen, müssten „etwas tun“, um dies während der Implantation zu beheben – entweder eine andere Klappe einsetzen oder eine erneute Dilation durchführen. „Das ist unsere Handlungsaufforderung“, sagte er.

Auf einer Pressekonferenz während des TCT fragte Dr. Michael Mack vom Medical City Dallas Hospital in Texas Popma speziell nach der Minderung von PVL, was er als „aufschlussreich“ bezeichnete, da es in anderen Studien nicht beobachtet worden sei. Popma entgegnete, dass bei jedem Patienten eine Computertomografie gemacht wurde, um die Klappengröße genauer bestimmen zu können. Zudem glaube er, dass der selbstexpandierende Nitinol-Rahmen von CoreValve® ebenfalls eine Rolle spiele. „Das ist ein bemerkenswertes Ergebnis, das bestätigt werden muss“, sagte Popma.

Popma war zurückhaltend bei Spekulationen darüber, inwiefern Operateure, falls CoreValve® in den USA zugelassen würde, eine Herzklappe der anderen vorziehen könnten. Die SapienTM-Klappe wurde von der FDA 2011 für nicht operable Hochrisiko-Patienten zugelassen. Sowohl die SapienTM- als auch die CoreValve®-Klappe werden bereits seit 2007 in Europa eingesetzt.

Deutschland Marktführer bei TAVI

„Die Schlaganfallrate ist bei beiden Verfahren (operativ und TAVI) gleich niedrig.“
Prof. Dr. Hans-Reiner Figulla

„Die Situation in den USA unterscheidet sich in der Tat gravierend von der in Europa“, erklärt Figulla. In Deutschland, dem weltweit führenden Klappenmarkt, seien bereits seit 2007 verschiedene Transkatheter-Aortenklappen auf dem Markt; die SapienTM-Prothese schon in der technisch weiterentwickelten 2. Generation als Sapien XTTM. Einjahres-Daten der German Aortic Valve Registry (GARY) zufolge sind 2011 bereits 35% aller Aortenklappen kathetergestützt eingesetzt worden (Medscape Deutschland berichtete).

Figulla hatte Einjahres-Vergleichszahlen zwischen operativem Verfahren und TAVI aus dem Register auf dem TCT in San Francisco präsentiert. „Die Schlaganfallrate ist bei beiden Verfahren gleich niedrig“, so ein Fazit aus der Analyse. Ein weiteres Ergebnis: CoreValve® ist 2011 in deutschen Kliniken zu 80% eingesetzt worden. Seit 2011 wurden in Deutschland mehrere weitere perkutane Klappen eingeführt, unter anderem die von Figulla entwickelte JenaValveTM.

Die Lage in den USA, wo bis dato nur eine Klappe, das veraltete SapienTM-Modell, zugelassen sei, bezeichnet Figulla als „für Ärzte ebenso wie für Patienten furchtbar“. Die FDA mache glaubhaft, Patienten durch die vorsichtige Einführung von Medizingeräten schützen zu wollen. „Unter diesem Schutz sind bereits Hunderte Patienten gestorben“, fügt er an.

Welches Gerät für welche Patienten?

Popma vermutete, dass CoreValve® durch seine schmalere Schaftgröße und die breitere Auswahl an verfügbaren Annulargrößen den Pool der Patienten, die behandelt werden könnten, erweitern würde. Er deutete zudem an, dass CoreValve® aufgrund der selbstexpandierenden Eigenschaften und der in der aktuellen Studie festgestellten niedrigen PVL-Raten die bessere Klappe sein könnte, und zwar „bei den grenzwertigen Fällen, bei denen man die richtige Größe schwer feststellen kann“.

Andererseits – wie bereits seit langem bei CoreValve® bekannt – war bei 22% der Patienten die Implantation eines Schrittmachers erforderlich. Dies ist ein Faktor, der die die Entscheidung für diese Prothese einschränken könnte. Der Einsatz eines Schrittmachers beeinträchtigte jedoch nicht die Überlebensrate nach einem Jahr, fügte Popma an.

Weitere Ergebnisse der CoreValve®-Studie: Vaskuläre Komplikationen traten nach 30 Tagen bei 8,3% der Patienten auf, nach einem Jahr bei 8,5%. Bei 9 von 10 Patienten hatten sich die Herzinsuffizienz-Werte nach 12 Monaten um mindestens eine NYHA-Klasse verbessert. Ebenso zeigten sich Verbesserungen hinsichtlich der Lebensqualität.

In einer überraschenden Ankündigung teilte die FDA am 29. Oktober mit, dass ihr mit den Resultaten der CoreValve®-Extreme-Risk-Studie alle erforderlichen Daten zur Bewertung der Klappe in dieser Patientengruppe vorlägen, und keinen externen Beratungsausschuss mehr einberufen werden müsse.

Referenzen

Referenzen

  1. Low Strokes, PV Leaks With CoreValve TAVR in Extreme Risk Trial, Medscape, 29. Oktober 2013
    www.medscape.com/viewarticle/813398?topol=1

Autoren und Interessenkonflikte

Shelley Wood
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Figulla H: Es liegen keine Erklärungen zu Interessenkonflikten vor.

Popma J: Erklärungen zu Interessenkonflikten finden sich im englischen Originalartikel.

Dieser Artikel wurde von Julia Rommelfanger übersetzt und adaptiert: Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

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