
Berlin – Konservative Adipositastherapie bei Patienten mit Typ-2-Diabetes – eine Erfolgsgeschichte sieht anders aus. Die Erkenntnisse aus verschiedenen Studien stellen den Versuchen, den Patienten zur dauerhaften Gewichtsabnahme zu verhelfen, kein gutes Zeugnis aus. So schafften es beispielsweise in der Look-AHEAD-Studie anfangs 37% und nach einigen Jahren nur noch 23% der intensiv betreuten übergewichtigen oder adipösen Typ-2-Diabetiker, ihr Gewicht um mindestens 10% zu reduzieren und den Erfolg auch zu halten. Dies, obwohl sie wiederholt geschult und sogar in Problemsituationen unterstützt wurden [1].
Aber wie kann die Lifestyle-Modifikation auf Dauer funktionieren? Dr. Matthias Riedl vom Diabetes Zentrum Berliner Tor, Hamburg, räumte bei einem Workshop auf der DDG-Herbsttagung in Berlin mit alten Vorurteilen und Gewohnheiten auf [2].
„Friss die Hälfte“? Bitte genauer definieren!

Von Riedl kam ein klares Nein zur Methode „FdH“: „Kalorienrestriktion muss sein, aber in diesem Ausmaß erzeugt sie Disstress und wird nicht lange durchgehalten.“ Prof. Dr. Stephan Martin, Direktor des Westdeutschen Diabetes- und Gesundheitszentrums in Düsseldorf, mochte das gegenüber Medscape Deutschland nicht kategorisch ausschließen: „Weniger essen schadet nicht. Welche Makronährstoffe man dabei in welchem Ausmaß reduziert, sollte auch vom Insulinspiegel abhängig gemacht werden: Typ-2-Diabetikern mit hoher endogener Insulinproduktion hilft eher die Kohlenhydratreduktion; ansonsten ist eher eine Fettreduktion angezeigt.“
„Fasten wird oft auf falsche Weise durchgeführt“, gab Riedl zu bedenken: Wenn dabei nicht Proteine zugeführt würden – etwa als Formula-Diät – und wenn die Bewegung fehle, dann führe Fasten unweigerlich zu Muskelabbau, warnte er: „Mit zunehmendem Alter geht ohnehin Muskelgewebe verloren und ist dann schwer wieder aufzubauen.“
Eine Protein-Ersatznahrung hält auch Martin für nützlich, das Fasten will er aber nicht verdammen: „Es kann ein guter und motivierender Start für eine Umstellung des Lebensstils sein, natürlich nur für einige Zeit“, erklärte er gegenüber Medscape Deutschland. „In Studien mit Diabetikern wurden die Blutzuckerwerte durch kurzfristiges Fasten rasch normalisiert. Etliche Patienten können so überhaupt erst ihre Therapieresistenz überwinden.“
Verwechseln Senioren Durst mit Hunger?
Dass geriatrische Patienten, aber auch allgemein Personen im höheren Lebensalter, oft zu wenig trinken, ist bekannt. Beide Experten raten zu ausreichendem Konsum kalorienarmer Flüssigkeiten wie Wasser und Tee. Bewährt haben sich etwa 2 Liter täglich. Riedl ging noch einen Schritt weiter und meinte: „Im Alter wird Durst oft nicht wahrgenommen oder teils als Hunger fehlinterpretiert, das führt zum ‚fatalen kleinen Snack‘.“ Ein Fall für den Ernährungsberater?
Gewichtsabnahme hält oft nicht lange an, siehe Look-AHEAD. Das bringt Motivationsprobleme, und dazu kommt das hartnäckige Gerücht, dass das ständige Auf und Ab kardiovaskuläre Schäden verursachen könnte. Dies ist für so manchen adipösen Patienten die perfekte Ausrede, um die Gewichtsreduktion erst gar nicht zu versuchen.
Die Angst vor Gesundheitsschäden aufgrund des Jo-Jo-Effektes ist jedoch offenbar zu Unrecht in diesem Ausmaß geschürt worden. „Neuere Daten entkräften die Sorge um Herzschäden“, beruhigten Riedl und Martin unisono. So zeigt die Nurses Health Study keine Steigerung der kardiovaskulären Mortalität und der Gesamtsterblichkeit bei Teilnehmerinnen mit starken vs milden Gewichtsschwankungen.
Die Umgebungstemperatur spielt eine Rolle
Jeder hat seine Wohlfühl-Temperatur, aber offenbar gibt es auch hier einen gemeinsamen Trend nach oben: Die durchschnittliche Raumtemperatur liegt heute – je nach Region – oft um 5 Grad höher als noch vor einigen Jahrzehnten. Das hat seinen Preis: „Wir nähern uns damit der thermoneutralen Zone, in wir zur Erhaltung der Körpertemperatur keinerlei Energie benötigen und verbrauchen“, so Riedl. „Es gibt einige Studien, die eine leichtere Gewichtsabnahme bei kühlerer Raumtemperatur zeigen“, stimmte Martin zu.
genommen oder
teils als Hunger fehlinterpretiert, das führt zum ‚fatalen kleinen Snack'.“
Die alte Empfehlung der vielen kleinen Zwischenmahlzeiten hat ausgedient, unabhängig von der Art der Diabetestherapie – jedenfalls, solange nicht direkt eine Hypoglykämie droht. Denn 5 oder mehr Mahlzeiten am Tag führen unweigerlich zu weiterer Gewichtszunahme.
Ein Mechanismus dieser Gewichtszunahme könnte laut Martin die ständige Zufuhr von Kohlenhydraten und die dadurch verursachte Erhöhung des Seruminsulins sein. Aber Achtung: Auch bei nur 2 bis 3 Mahlzeiten sollten diese im üblichen Rahmen bleiben!
Tatsächlich gibt es eine inverse Korrelation zwischen täglicher Schlafdauer und BMI. Das könnte auch an der hormonellen Balance liegen, die bei Schlafentzug gestört wird: Wer zu wenig schläft, schüttet mehr „Hungerhormon“ Ghrelin und weniger „Sättigungshormon“ Leptin aus, darin waren sich beide Experten einig. Auch die Glukosetoleranz und der Spiegel an Thyreoidea-stimulierendem Hormon (TSH) werden bei Schlafmangel negativ beeinflusst.
Spazierengehen bringt mehr als man meint
Riedl verwies abschließend auf die Therapieempfehlungen der Adipositasgesellschaft zum Sport [3]. Dort ist von wöchentlich 5 Stunden Bewegung (2.500 kcal) zur Gewichtsreduktion und 3 bis5 Stunden (1.500 kcal) zur Erhaltung des Gewichts die Rede. Auf Nachfrage von Medscape Deutschland räumte Martin auch den kleinen Aktivitäten des Alltags in Haus und Garten einen Stellenwert ein.
Er würde aber nicht unbedingt das Erreichen von 10.000 Schritten täglich zum Maß aller Dinge machen. Vielmehr rät er den Schrittzähler einzusetzen, um einmal einen Tag mit normaler Aktivität und dann zusätzlich einen einstündigen Spaziergang zu erfassen. „Dabei sehen die Patienten, dass so ein Spaziergang mehr Aktivität bringt als sonst ein ganzer Tag – das motiviert!“