Eine neue Klasse von Diabetesmedikamenten drängt auf den Markt – die SGLT2-Hemmer, auch Gliflozine genannt. Sie senken den Glucose-Spiegel im Blut, indem sie deren Reabsorbtion an der Niere hemmen. Dadurch wird Glucose vermehrt über den Harn ausgeschieden. Bislang stehen in Europa 2 der neuen Substanzen zur Verfügung: Dapagliflozin und Canagliflozin. Doch was ist von ihnen zu halten und besteht überhaupt Bedarf an weiteren Diabetesmedikamenten? In einer jüngst veröffentlichten Phase-3-Studie untersuchten Forscher der Thomas Jefferson Universität in Philadelphia Dapagliflozin als Add-on zu Sitagliptin (mit oder ohne Metformin) [1].

Über den Studienzeitraum von 24 Wochen senkte Dapagliflozin den HbA1c -Wert im Vergleich zu Placebo um zusätzliche 0,5%. Das Körpergewicht sank unter Dapagliflozin um 2,1 kg. Stärker wirkte Dapagliflozin auf den HBA1c, wenn der Baseline-Wert über 8% gelegen hatte. Dann sank der Wert durchschnittlich um 0,8%.
„Der Diabetesmarkt wird mit immer neuen Medikamenten regelrecht überflutet“, zitiert im Gespräch mit Medscape Deutschland der Bochumer Endokrinologe Prof. Dr. Helmut Schatz einen der führenden US-Diabetologen, Prof. Dr. David Nathan aus Boston. Dass die Gliflozine anfangs nicht nur zur Blutzuckersenkung sondern auch zur Gewichtsabnahme führen, sei „segensreich“, aber nicht verwunderlich. „Mit dem Zucker wird über die Nieren auch ein Teil der aufgenommen Kalorien eliminiert“, sagt Schatz. Das Gewicht nahm in Studien über 2 Jahre gegenüber Placebo um 2 bis 3 kg, gegenüber Sulfonylharnstoffen um 3 bis 5 kg ab [2,3].
Nebenwirkungen: nicht unerheblich
Doch wie stand es in der aktuellen Studie um die Verträglichkeit? „In der Dapagliflozin-Gruppe gab es weniger Studienabbrüche und es mussten weniger Patienten mit Notfallmedikamenten behandelt werden, weil sie das Blutzuckerziel nicht erreichten“, berichten die Autoren um Dr. Serge A. Jabbour in Diabetes Care.
Die Nebenwirkungsrate sei bei Dapagliflozin und Placebo ähnlich gewesen. Unter Dapagliflozin traten mit 9,8% mehr Genitalinfekte auf als in der Placebogruppe mit 0,4%. Bei Harnwegsinfekten gab es dagegen keine Unterschiede.
Für Jabbour und sein Team Grund genug zu schlussfolgern, dass Dapagliflozin „gut vertragen“ worden sei. Ein Fazit, dem Schatz, widerspricht. „Es ist kühn zu behaupten, die Behandlung sei gut vertragen worden, wenn fast zehn Prozent der Patienten einen Urogenitalinfekt bekommen haben“, sagt er.
Zudem seien in die Studie, wie so oft, ältere Patienten nicht eingeschlossen worden. Das Durchschnittsalter lag bei 55 Jahren. Doch gerade die älteren Menschen – vor allem ältere Frauen – seien diejenigen, bei denen Nebenwirkungen aufträten, insbesondere im Bereich der Harnwege.
Häufung von Karzinomen verhindert Zulassung in den USA
Durch Dapagliflozin steigt zudem der Hämatokrit an. Anlass zu ernsthaften Sicherheitsbedenken – die bis heute die Zulassung in den USA verhindern – waren jedoch die zwar nicht signifikanten, aber doch numerischen Karzinomhäufungen unter Dapagliflozin gegenüber Placebo. Blasenkarzinome traten unter Dapagliflozin bei 0,16% der Patienten auf im Vergleich zu 0,03% bei den Kontrollen. Brustkrebs wurde bei 0,4% der Dapagliflozin-Patienten diagnostiziert gegenüber 0,22% bei den Kontrollen [4,5].
Canagliflozin war in Studien nicht mit einem erhöhten Krebsrisiko verbunden, steht jedoch wegen einer Häufung kardiovaskulärer Ereignisse unter Verdacht. Ganz ausräumen kann diese Bedenken wohl erst die Langzeitstudie CANVAS (Canagliflozin Cardiovascular Assessment Study), deren Daten im Jahr 2015 vorliegen sollen [6]. „In den ersten 30 Tagen der Studie wurden unter Canagliflozin 13 kardiovaskuläre Ereignisse beobachtet, unter Placebo nur 1 Ereignis. Die Hazard Ratio von 6,5 war bei der geringen Fallzahl erwartungsgemäß nicht signifikant“, berichtet Schatz auf dem Blog der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE), deren Mediensprecher er ist.
GRADE-Studie soll Klarheit für die Add-on-Therapie bringen
Viel Hoffnung setzt Schatz auch in die diesen Sommer aufgelegte GRADE-Studie, die bis 2020 herausfinden soll, was am besten mit Metformin kombiniert werden sollte, wenn damit das HbA1c-Ziel nicht erreicht wird: entweder Insulin, Liraglutid, Sitagliptin oder der Sulfonylharnstoff Glimepirid [7].
„Die Sulfonylharnstoffe werden heute von vielen kritisch bis ablehnend gesehen, insbesondere wegen eines möglicherweise gesteigerten kardiovaskulären Risikos sowie einer Gewichtszunahme und Hypoglykämiezunahme“, sagt Schatz (Medscape Deutschland berichtete). Doch es kommt sehr darauf an, welcher Sulfonylharnstoff eingesetzt wird.
„Die ADVANCE-Studie hat mit dem Sulfonylharnstoff Gliclazid praktisch keine Hypoglykämiesteigerung und auch keine Gewichtszunahme gezeigt. Die Metaanalyse von Schramm et al hat für Gliclazid kein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko ergeben.“ [8,9] „Doch wenn man den richtigen Sulfonylharnstoff richtig, das heißt nicht zu hoch, dosiert, kommt man oft mit Centbeträgen bei praktisch gleicher Sicherheit ähnlich gut hin“, sagt Schatz, der früher die Medizinische Universitätsklinik Bergmannsheil der Ruhr-Universität Bochum leitete.
die ihre Langzeit-
sicherheit erst noch zeigen müssen.“
Gliflozine sind in erster Linie als Add-on-Kombinationstherapie indiziert, vor allem mit Metformin, Sulfonylharnstoffen und Insulin. Eine Kombination mit Dipeptidylpeptidase-4-Hemmern wie Sitagliptin war bisher nicht empfohlen worden. „Für beide Substanzen ist die Langzeitsicherheit nicht erwiesen“, erklärt Schatz.
„Beim Sitagliptin steht noch ein erhöhtes Risiko für Pankreaskarzinom und die Pankreatitis im Raum. Und bei den Gliflozinen hat man zumindest beim Dapagliflozin das Blasenkarzinom und den Brustkrebs im Hintergrund. Warum soll man also die zwei neuen einsetzen, wo wir das uralte Metformin und durchaus brauchbare Sulfonylharnstoffe haben“. Wenn es jedoch nach dem Willen des Hersteller-Duos AstraZeneca und Bristol-Myers Squibb ginge, sollte Dapagliflozin auch in Kombination mit Sitagliptin zugelassen werden.
„Die Gliflozine sind neue Substanzen, die ihre Langzeitsicherheit erst noch zeigen müssen“, lautet das Fazit des Endokrinologen „Wenn die Patienten sich an die Lebensstilmaßnahmen halten würden, hätten wir gar keinen Bedarf an neuen Diabetesmedikamenten“, betont er. „Allerdings machen sie das nicht. Deshalb freut man sich über neue Therapieoptionen, wenn man auch bei richtigem Einsatz der bereits zur Verfügung stehenden Medikamente in der Regel gut auskommen sollte.“