Pünktlich zum heutigen Weltdiabetestag bekräftigen aktuelle Zahlen zur Erkrankungshäufigkeit die Bedrohung, die Diabetes für die öffentliche Gesundheit darstellt. Seit 2008 ist die Zahl der Erkrankten um 14% gestiegen. Damit sind inzwischen schon 8% aller Deutschen Diabetiker [1].
Besonders häufig betroffen sind den Daten des Diabetes-Atlas der Barmer GEK und der Deutschen Diabetes-Hilfe zufolge die Menschen im Osten Deutschlands. Während an der Hamburger Elbchaussee nur 4,3% an Diabetes leiden, sind es im Brandenburgischen Bad Belzig 13,5%.
„Wäre die Diabetes-Prävalenz in ganz Deutschland so niedrig wie in Teilen Hamburgs, wäre das bundesweite Diabetesproblem schon um ein Drittel kleiner“, sagt Prof. Dr. Thomas Danne, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Diabetes-Hilfe. Leider gebe es aber viele Regionen am anderen Ende der Skala.
Auf Ebene der Bundesländer weisen Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg die höchsten Prävalenzen auf. Das westlichste Bundesland mit einer vergleichbar hohen Diabetes-Häufigkeit ist das Saarland. Die niedrigsten Werte erreichten 2012 die Bundesländer Schleswig-Holstein, Hamburg und Baden-Württemberg.
Diabetes – die ungerechte Krankheit
„Die östlichen Bundesländer weisen durchweg eine Diabetes-Häufigkeit über dem Bundesdurchschnitt von 8% auf. Diabetes tritt also vorrangig in sozial schwächeren Regionen auf“, sagt Dr. Christian Graf, Leiter Versorgungsmanagement und Prävention bei der BARMER GEK.
„Diabetes ist zutiefst ungerecht. Es haben nicht alle Menschen das gleiche Diabetesrisiko. Neben der Vererbung spielt die soziale Schicht und die Region in der ein Mensch aufwächst eine entscheidende Rolle – auch weil den Menschen dort ein gesundes Verhalten nicht leicht gemacht wird“, unterstreicht auch Danne im Gespräch mit Medscape Deutschland. „Wir müssen den Menschen gesundes Verhalten leichter machen. In Diabetes-Hochrisikogebieten muss weniger Fast Food angeboten werden und wir brauchen eine Lebensmittelkennzeichnung, die auch von bildungsfernen Schichten einfach verstanden wird“, zählt der Kinderdiabetologe aus Hannover nur 2 der Forderungen an die deutsche Gesundheitspolitik auf.
Insgesamt sind nach Schätzungen der Deutschen Diabetes-Hilfe mittlerweile 6 Millionen Deutsche an Diabetes erkrankt. Weltweit sind es 371 Millionen Betroffene. Mehr als 90% davon sind am Typ-2-Diabetes erkrankt, dem ehemaligen „Altersdiabetes“, der heute auch immer mehr jüngere Menschen betrifft. Die Prognosen für die Zukunft sind düster: Im Jahr 2030 sollen laut Schätzungen der International Diabetes Federation (IDF) schon 551 Millionen Menschen zuckerkrank sein [2].
In Deutschland fehlt, was andere Länder haben: Eine nationale Diabetesstrategie
Prognosen für die Zukunft fallen in Deutschland schwerer, da umfassende Versorgungsdaten fehlen. Die aktuell veröffentlichten Prävalenzzahlen beziehen sich auf die knapp 9 Millionen Versicherten der Barmer GEK. 2012 entwarfen Forscher um Dr. Ralph Brinks vom Deutschen Diabetes-Zentrum ein epidemiologisches Modell, basierend auf der Altersgruppe der 55 bis 76-Jährigen, für die Versorgungsdaten vorliegen. Im Jahr 2030 werden demnach 3,9 Millionen 55 bis 76-Jährige in Deutschland an Typ-2-Diabetes leiden. 2010 waren es in dieser Altersgruppe noch 2,4 Millionen [3].
vereinbarung einen Impuls, dass sich die Gesundheitspolitik mit dem Thema Diabetes beschäftigen möchte …“
„Ein so großes Gesundheitsproblem wie den Diabetes, von dem so viele Menschen betroffen sind, kann man nur mit einer nationalen Strategie begegnen“, betont Danne. Doch anders als in 17 der 23 europäischen Länder gibt es eine solche in Deutschland bislang nicht. „Wir erwarten deshalb ganz aktuell von der Koalitionsvereinbarung einen Impuls, dass sich die Gesundheitspolitik mit dem Thema Diabetes beschäftigen möchte – in Form einer deutschen Diabetesstrategie.“
Eine zentrale Forderung an eine nationale Diabetesstrategie ist die Einführung eines Diabetesregisters, um das Rätselraten um die tatsächliche Prävalenz und Entwicklung des Diabetes in Deutschland zu beenden. „Ein solches Register ist auch die Voraussetzung, um die Wirksamkeit von gesundheitspolitischen Maßnahmen überprüfen zu können“, so Danne.
Hoher Leidensdruck für Patienten und Angehörige
Wie wichtig solche Maßnahmen wären, zeigt der große Einfluss, den die Diabeteserkrankung auf die Lebensqualität der Betroffenen und ihrer Familien hat. Rund 8.000 Betroffene, 2.000 Angehörige und knapp 4.800 Behandler wurden für die DAWN-2-Studie befragt. Die Ergebnisse belegen, dass „Diabetes mellitus mit großen psychosozialen Problemen bei Erkrankten und Angehörigen einhergeht“, so der Hamburger Diabetologe Dr. Jens Kröger, Vorstandsmitglied der Deutschen Diabetes-Hilfe.
Mit knapp 45% gab fast die Hälfte der befragten Menschen mit Diabetes an, dass ihre Erkrankung eine hohe Belastung sei, knapp 14% von ihnen leiden an Depressionen. Für rund 35% aller befragten Angehörigen stellt die Diabetes-Erkrankung ihres betroffenen Familienmitglieds eine hohe Belastung dar, so die DAWN-2 Studie. Mehr als 60% machen sich Sorgen um möglicherweise auftretende Unterzuckerungen. „Hier muss die Selbsthilfe gestärkt, aber auch mehr Angebote geschaffen werden, die sich sowohl an Patienten als auch an Angehörige richten“, sagt Kröger [4,5].
Und die Zunahme der Diabeteserkrankungen wird teuer: Ebenfalls von den Epidemiologen um Brinks am Deutschen Diabetes-Zentrum stammen Schätzungen für die finanzielle Belastung, die dem deutschen Gesundheitssystem bevorsteht: Demnach beliefen sich die durch Diabetes verursachten Kosten im Jahr 2010 auf 11,8 Milliarden Euro und werden bis 2040 um 79% auf 21,1 Milliarden im Jahr ansteigen [6].
Die Hälfte ist unerkannt – auch in Deutschland
Die Forscher beziehen dabei die geschätzten nicht diagnostizierten Diabeteserkrankungen mit ein. Denn noch immer leben viele Menschen unerkannt mit der Krankheit, die IDF geht von davon aus, dass weltweit 50% der Diabeteserkrankungen nicht diagnostiziert sind.
Ergebnisse aus bevölkerungsbasierten Erhebungen deuten darauf hin, dass auch in Deutschland die Zahl unentdeckter Diabetiker sehr hoch ist. Sowohl in der Altersgruppe der 35 bis 59-Jährigen, als auch in der Gruppe der 55 bis 74-Jährigen kommt nach den vorliegenden Zahlen auf einen diagnostizierten Diabetesfall ein unentdeckter [7]. „Wir brauchen zeitnah einen Nationalen Diabetesplan, um die Tsunamiwelle des Diabetes noch aufzuhalten“, lautet Dannes Fazit.
Der Weltdiabetestag
Der Weltdiabetestag ist neben dem Welt-AIDS-Tag der zweite offizielle Tag der Vereinten Nationen, der einer Krankheit gewidmet ist. Er wurde im Dezember 2006 in der Resolution 61/225 („Unite for diabetes“) verabschiedet. In dieser wurde festgelegt, dass jedes Jahr am 14. November die Erkrankung Diabetes mellitus im Mittelpunkt stehen soll.
Auf der ganzen Welt werden daher am 14.11. Sehenswürdigkeiten und besondere Gebäude in Blau illuminiert. In Deutschland sind es in diesem Jahr das Brandenburger Tor in Berlin, das Holstentor in Lübeck, die Allianz-Arena in München, der Wasserturm in Mannheim, der Obelisk in Worms und die Stadthalle in Mühlheim.