Gut für die Muskeln, Gift für die Leber: Risiken von Nahrungsergänzungsmitteln

Miriam E. Tucker | 14. November 2013

Autoren und Interessenkonflikte

Washington – In den USA scheinen Leberschädigungen in Zusammenhang mit pflanzlichen und Nahrungsergänzungsmitteln auf dem Vormarsch zu sein. Die Einnahme von Aufbaunahrung für die Muskulatur gehört hierbei zur häufigsten Ursache, wie aus den Ergebnissen einer neuen Studie hervorgeht, die auf dem internationalen Kongress „The Liver Meeting 2013“ in Washington vorgestellt wurde [1].

„Nahrungsergänzungsmittel sind hinsichtlich ihres Leberschädigungspotenzials keineswegs sicher. Dabei kann man nur sehr schwer feststellen, welches Produkt eine konkrete Gefahr birgt – folglich müssen wir zunächst davon ausgehen, dass für jegliches Nahrungsergänzungsmittel ein Risiko besteht”, erklärte Dr. Victor Navarro vom Einstein Healthcare Network, Philadelphia, USA.

Das „Netzwerk für arzneimittelbedingte Leberschäden“ (Drug-Induced Liver Injury Network) gab unlängst einschlägige Daten bekannt. Dieses Netzwerk ist ein aus 11 Zentren bestehendes Register, das vom National Institute of Diabetes and Digestive and Kidney Diseases gegründet wurde. Ziel des Zusammenschlusses zu einem Register sei die Aufklärung schwerwiegender Fälle von „nicht durch Paracetamol bedingte Leberschädigung“ durch Arznei- und Nahrungsergänzungsmittel.

Im Jahr 2012 hatte Navarro Daten von Leberschädigungen durch Muskelaufbaunahrung im Vergleich zu Schlankheitsmitteln präsentiert. In der aktuellen Studie hatte die Forschungsgruppe Besonderheiten der Leberschädigungen durch muskelaufbauende Sportlernahrung untersucht.

„Nahrungs-
ergänzungsmittel sind hinsichtlich ihres Leberschädigungs-
potenzials keineswegs sicher. Wir müssen zunächst davon ausgehen, dass für jegliches Nahrungs-
ergänzungsmittel
ein Risiko besteht.“
Dr. Victor Navarro

Die Wissenschaftler um Navarro hatten zwischen Leberschädigungen durch Nahrungsergänzungsmittel und solchen aufgrund verschreibungspflichtiger Arzneimittel charakteristische Unterschiede festgestellt. Sportlernahrung stand am häufigsten mit Hepatotoxizität in Zusammenhang, allerdings waren die Folgen in der Regel weniger schwerwiegend als bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln.

Die Gruppe der Bodybuilder sei nicht die einzige Bevölkerungsgruppe, die Nahrungsergänzungsmittel konsumiert. „Wir gehen davon aus, dass grundsätzlich etwa 50 Prozent der US-Amerikaner Nahrungsergänzungsmittel jeglicher Art einnehmen. Das heißt, etwa die Hälfte der Patienten, die einen Arzt konsultieren, sind gleichzeitig Konsumenten von Nahrungsergänzungsmitteln. Ein Mediziner müsste somit auch die entsprechenden Fragen stellen“, meinte Navarro.

Oft entsprechen die Angaben auf dem Etikett nicht dem Inhalt

Die Ursache einer durch Nahrungsergänzungsmittel induzierten Lebertoxizität festzustellen sei schwierig, da die Produkte anders als verschreibungspflichtige Medikamente keinen entsprechend strengen Kontrollen unterlägen, erläuterte die Ko-Moderatorin der Sitzung, Dr. Mary Rinella von der Northwestern Universität, Chicago, USA. Sie wies darauf hin, dass die Angaben auf der Packung häufig nicht dem entsprächen, was tatsächlich enthalten sei.

Rinella zitierte eine neue Studie, die belege, dass Nahrungsergänzungsmittel kontaminiert oder mit anderen Pflanzenarten oder Füllstoffen verfälscht sein können, z.B. mit Stoffen aus Reis oder Weizen, die auf dem Etikett nicht deklariert würden [2]. „Letztendlich werden diese Produkte nicht ausreichend kontrolliert – wir wissen nicht, was tatsächlich darin enthalten ist“, fasste Rinella zusammen.

Die an der aktuell vorgestellten Studie teilnehmenden Patienten hatten innerhalb der vergangenen 6 Monate eine Leberschädigung erlitten. Sie wurden zu Beginn der Studie sowie nach 6 Monaten untersucht – bei fortbestehendem Leberschaden auch nach weiteren 12 und 24 Monaten. Sofern möglich wurden die in Frage stehenden Nahrungsergänzungsmittel-Packungen fotografiert und Proben für Analysenzwecke gezogen.

Die Wissenschaftler hatten 845 Fälle von Lebertoxizität evaluiert. 16% davon konnten mit der Einnahme von einem oder mehreren Nahrungsergänzungsmitteln in Zusammenhang gebracht werden. Die anderen 84% waren auf verschreibungspflichtige Medikamente zurückzuführen.

Von den 262 Nahrungsergänzungsmitteln, welche die insgesamt 136 Patienten eingenommen hatten, waren 30% als „Bodybuilder-Produkte“ vermarktet worden. Solche muskelaufbauende Sportlernahrung war von 44 Patienten eingenommen worden, sonstige Nahrungsergänzungsmittel von insgesamt 85 Patienten. 7 Patienten hatten beide Produktkategorien konsumiert und wurden daher aus der Analyse ausgeschlossen.

Der Anteil an lebergeschädigten Patienten in Zusammenhang mit Sportlernahrung war von 2% im Jahr 2004 auf 5% im Jahr 2013 angestiegen (p=0,01). Für sonstige Nahrungsergänzungsmittel konnte eine Steigerung von 5% (2004) auf 10% (2013; p=0,05) festgestellt werden.

Tab. 1: Patientenmerkmale, geordnet nach Ursache der Leberschädigung*


Merkmale
Muskelaufbauende
Sportlernahrung
Sonstige Nahrungs-
ergänzungsmittel
Verschreibungs-
pflichtige Arzneimittel
Durchschnittsalter in Jahren 33 48 50
Männlicher Anteil in % 100 35 37
Durchschnittsgewicht in kg 87 75 77
Schwerwiegende
Komorbiditäten in %
21 52 69
Ikterus in % 100 78 68
Pruritus in % 84 48 53
*P < 0,001 für sämtliche Werte

Die Anzahl der Tage bis zur Normalisierung der Gesamtbilirubinwerte lag bei muskelaufbauender Sportlernahrung im Mittel signifikant höher als bei sonstigen Nahrungsergänzungsmitteln bzw. verschreibungspflichtigen Arzneimitteln (91 vs. 44 vs. 35 Tage; p<0,001). Hingegen war bis zur Normalisierung der GPT- und AP-Werte kein signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen feststellbar.

„Letztendlich werden diese Produkte (Nahrungs-
ergänzungsmittel) nicht ausreichend kontrolliert – wir wissen nicht, was tatsächlich darin enthalten ist.“
Dr. Mary Rinella

Betrachtet man die Anzahl der Tage zwischen Einnahmebeginn des Arzneimittels oder Nahrungsergänzungsmittels und der Manifestation einer Leberschädigung, so gab es einen Trend zu längerer Latenzzeit von muskelaufbauender Sportlernahrung gegenüber sonstigen Nahrungsergänzungsmitteln und verschreibungspflichtigen Arzneimittel. Aber dieser erreichte keine statistische Signifikanz (52 vs. 38 vs. 34 Tage; p=0,27).

„Sportlernahrung ging mit ausgeprägtem und anhaltendem Ikterus einher. Leberschädigungen durch andere Nahrungsergänzungsmittel betrafen eher die Zellstrukturen der Leber”, stellte Navarro fest. Hospitalisierungsraten und Sterblichkeit jeglicher Ursache waren in den 3 Gruppen nicht signifikant unterschiedlich – ganz im Gegensatz zu den Lebertransplantationsraten: Sie betrugen 0% für Sportlernahrung, 13% für sonstige Nahrungsergänzungsmittel sowie 3% für verschreibungspflichtige Arzneimittel (p<0,001).

Was nimmt der Patient denn ein?

Rinella empfiehlt, Patienten mit Leberschädigung regelmäßig zu fragen, was sie einnehmen, insbesondere ob sie Tees und andere Produkte aus dem Naturkostladen konsumieren. „Die Allgemeinbevölkerung ist sich über das Risiko nicht im Klaren“, bekräftigte sie gegenüber Medscape Medical News.

Die Tatsache, dass Nahrungsergänzungsmittel oft nicht die Inhaltsstoffe enthalten würden, die deklariert seien, mache es wesentlich schwerer, die tatsächliche Ursache einer Leberschädigung festzustellen, erklärte sie. Rinella machte den Sachverhalt anhand eines Beispiels deutlich: „Johanniskraut kann man für eine Leberschädigung nicht verantwortlich machen, wenn die Pflanzendroge – entgegen der Deklaration – gar nicht im Produkt enthalten ist.“

Hingegen können einige der Füllstoffe hepatotoxisch wirken. „Das ist ziemlich beunruhigend. Interessanterweise hat das Netzwerk für arzneimittelbedingte Leberschäden einige Proben zurückbehalten und wird diese hoffentlich analysieren”, beschloss Rinella ihre Ausführungen gegenüber Medscape Medical News.

Referenzen

Referenzen

  1. 64. Jahreskongress der American Association for the Study of Liver Diseases (AASLD): The Liver Meeting 2013, 1. bis 5. November 2013, Washington DC, USA
    Navarro V: Abstract 113
    http://www.aasld.org/livermeeting/Pages/default.aspx
  2. Newmaster S, et al: BMC Med. 2013;11:222
    http://dx.doi.org/10.1186/1741-7015-11-222

Autoren und Interessenkonflikte

Miriam E. Tucker
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Navarro V: Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Rinella M: Sie ist in einem Beratungsgremium für Gilead, Gore und Genentech tätig

Dieser Artikel wurde von Dr. Immo Fiebrig aus www.medscape.com übersetzt: Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

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