Active Surveillance beim Prostatakarzinom: Wann, wie und – vor allem – bei wem?

Dr. Erentraud Hömberg | 11. November 2013

Autoren und Interessenkonflikte

Wien – Die Evidenz wird immer klarer: Lassen sich Patienten mit einem Low-Risk-Prostatakarzinom „nur“ aktiv überwachen, verlieren sie keine Lebenszeit gegenüber jenen, die von Anfang an behandelt werden. Jedoch: Nicht allen bleibt eine Therapie erspart: Bei einem Drittel der Überwachten schreitet der Tumor im Laufe der Zeit soweit fort, dass sie sich schließlich doch einer Bestrahlung oder Operation unterziehen müssen.

Auf der gemeinsamen Jahrestagung der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaften für Hämatologie und Medizinische Onkologie, die kürzlich in Wien stattfand, stellte Prof. Dr. Axel Heidenreich, Direktor der Urologischen Klinik am Universitätsklinikum Aachen, das Konzept der „Active Surveillance“ nochmals vor und zeigte Möglichkeiten auf, stärker gefährdete Patienten schon bei der Diagnosestellung herauszufiltern [1].

„Die Urologen werden von vielen Seiten kritisiert, dass sie viel zu viel operierten. Die Patienten hätten dabei nur Komplikationen und keinen Benefit. Fakt ist, dass wir sicherlich einen Großteil der Patienten mit niedrigem Risiko unnötig operieren, obwohl wir mit einem strukturierten und standardisierten Nachsorgeschema genau die gleichen tumorspezifischen Überlebensraten erzielen könnten“, so Heidenreich.

Durch effektive Früherkennungsprogramme werden immer mehr Prostatakarzinome diagnostiziert. Sie sind die häufigsten Tumoren des Mannes, doch zum Glück nicht die tödlichsten: Inzidenz und Mortalität klaffen weit auseinander. „Das heißt, wir haben hier ein großes Potential von Männern, die keinerlei Therapie brauchen und trotzdem genauso lang leben wie unter Therapie.“

Active Surveillance ist kein Watchful Waiting

„Die Urologen werden von vielen Seiten kritisiert, dass sie viel zu viel operierten. Die Patienten hätten dabei nur Komplikationen und keinen Benefit.“
Prof. Dr. Axel Heidenreich

Dem Active Surveillance liegt ein kurativer Ansatz zugrunde, deshalb sollte es auf keinen Fall mit dem „Watchful Waiting“ verwechselt werden, das auf reine Palliation abzielt. Im Gegensatz zur Active Surveillance kommt das Watchful Waiting infolgedessen vor allem für ältere Männer mit gravierenden Komorbiditäten in Frage.

Heidenreich erläuterte die Indikation zur Active Surveillance, wie sie in den Leitlinien der nationalen und den europäischen Gesellschaften für Urologie festgelegt ist: Dafür können alle Männer berücksichtigt werden, die einen lokal begrenzten Tumor, einen niedrigen PSA-Serumwert von unter 10 und einen Gleason-Score von maximal 6 haben. Außerdem darf in höchstens 2 von mindestens 12 vorgenommenen Biopsien Karzinomgewebe nachzuweisen sein, und dies dergestalt, dass in den Biopsiezylindern nicht mehr als 50% des Gewebes vom Tumor befallen ist.

Die Idee zur aktiven Überwachung ist nicht neu. Schon vor 20 Jahren hatte eine skandinavische Arbeitsgruppe ihre Ergebnisse dazu im New England Journal of Medicine publiziert [2]. Von ihren Patienten waren nach 10 Jahren noch fast 90% am Leben, 80 bis 90% entwickelten auch keine Metastasen. Eine aktuelle Studie bestätigte in jüngster Zeit die ermutigenden Resultate: Unter 450 Patienten betrug die Gesamtüberlebensrate nach 10 Jahren 70%, die tumorspezifische Überlebensrate sogar 100% [3].

Nicht alle Karzinome sind so harmlos, wie sie scheinen

Den Patienten, die unter aktiver Überwachung stehen, bleiben die Risiken des Eingriffs zunächst erspart. Dazu zählen insbesondere Impotenz oder Inkontinenz infolge einer Operation oder Bestrahlung. Doch sie müssen mit dem psychischen Stress leben, dass sich der Tumor immer noch in ihrem Körper befindet. Durch die häufigen PSA-Tests und wiederholten Biopsien werden sie auch immer wieder daran erinnert.

„Die Active Surveillance ist eine gute Therapieform, doch wir brauchen bessere Parameter für die Identifizierung der richtigen Patienten für diese Behandlung.“
Prof. Dr. Axel Heidenreich

Etwa ein Drittel der Männer hält diesem Druck stand, kann gut damit leben und stirbt irgendwann an einer anderen Ursache. Ein weiteres Drittel kommt jedoch mit dieser belastenden Vorstellung nicht zurecht. Diese Patienten entscheiden sich dann schließlich doch für eine aktive Therapie.

Das letzte Drittel benötigte nicht aus psychischen Gründen eine Behandlung, sondern weil der Tumor weiterwächst: Bei diesen Männern kommt es nämlich während der Beobachtungszeit zur Tumorprogression. „Wir müssen ehrlich zugeben“, so Heidenreich, „dass bei ihnen die onkologischen Ergebnisse schlechter sind als bei den Patienten, die primär therapiert wurden.“

Ihre Rezidivraten seien höher als bei jenen, denen man den Tumor gleich nach Diagnosestellung entfernt hatte. „Die Active Surveillance ist eine gute Therapieform, doch wir brauchen bessere Parameter für die Identifizierung der richtigen Patienten für diese Behandlung“, stellte der Mediziner fest und machte gleichzeitig Vorschläge, wie die Diagnostik verbessert werden kann.

Bessere Trefferquote durch den Wechsel der Biopsie-Technik

Die meisten Biopsien werden transrektal durchgeführt. Durch die anatomische Lage der Prostata trifft man dabei aber nur ganz bestimmte Zonen. Eine wesentlich bessere Treffsicherheit weist die ultraschallgesteuerte 3D-Biopsie auf, die transperineal, also durch den Beckenboden hindurch erfolgt. Dieses Verfahren ermöglicht es, Gewe­beproben aus der gesamten Prostata an definierten Orten zu entnehmen.

„Durch einen ein-
fachen Wechsel der Biopsie-Technik hat man ein Drittel mehr Männer identifiziert, die ein Prostata-
karzinom haben.“
Prof. Dr. Axel Heidenreich

„Die meisten Gleason-Score-6-Tumoren, die ein großes Volumen haben und damit potentiell behandlungsbedürftig sind, liegen in der sogenannten anterioren Zone der Prostata, die wir transrektal nicht erfassen können. Durch einen einfachen Wechsel der Biopsie-Technik hat man ein Drittel mehr Männer identifiziert, die ein Prostatakarzinom haben. Das entspricht auch der klinischen Realität und der Auswertung von Prostatektomie-Präparaten“, so Heidenreich.

Eine adäquate Biopsietechnik ist die eine Voraussetzung für eine gute Indikation zur Active Surveillance. Die zweite ist ein erfahrener Pathologe. Denn oft genug variiert die Bestimmung des Gleason-Scores je nach Pathologen, der die Biopsie untersucht.

Beim multiparametrischen MRT zählt die Erfahrung des Radiologen

Große Erwartungen setzt man in die moderne Bildgebung und die multiparametrische Magnetresonanztomografie (MRT). Ob sie jedoch die Diagnostik wirklich verbessert, ist umstritten. Die Studien dazu seien widersprüchlich, räumt der Aachener Urologe ein. Hier zähle die Erfahrung: „Wenn man sich auf das MRT verlässt, dann nur, wenn es ein routinierter Radiologe macht.“

Auch der PSA-Wert hilft nicht dabei, ein Low-Risk-Karzinom von einem aggressiven Tumor zu unterscheiden. „Keiner der verschiedenen PSA-Trigger ist in der Lage, das Proliferieren eines Karzinoms frühzeitig zu erkennen“, bedauerte Heidenreich. Andere molekulare Marker würden zwar getestet, sind aber noch im Forschungsstadium. „Wir können uns heute nur auf die Biopsie oder auf ein gut durchgeführtes multiparametrisches MRT in der Nachsorge dieser Patienten verlassen.“

„Wenn man sich auf das MRT verlässt, dann nur, wenn es ein routinierter Radiologe macht.“
Prof. Dr. Axel Heidenreich

Zusammenfassend bilanzierte der Mediziner: „Gleason-Score 6 ist nicht gleich Gleason-Score 6, Low-Risk-Karzinom ist nicht gleich Low-Risk-Karzinom: Die unreflektierte Empfehlung, alle diese Patienten einer Active Surveillance zuzuführen, ist sicherlich gefährlich. Biopsie ist nicht gleich Biopsie: Alle Männer, die für eine aktive Überwachung in Frage kommen, müssen regelmäßig transperineal und mit einer ausreichenden Menge an Stanzen biopsiert werden. MRT ist nicht gleich MRT: Das multiparametische MRT muss unter standardisierten Bedingungen und unter bestimmten Qualitätskriterien in die Diagnostik integriert werden. Wenn alle diese Faktoren berücksichtigt werden und sich die Patienten auf die Re-Biopsien einlassen, kann mit der Active Surveillance nichts passieren.“

Referenzen

Referenzen

  1. Jahrestagung der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaften für Hämatologie und Onkologie (DGHO), 18. bis 22.10.2013, Wien
    Sitzung „Fortbildung Prostatakarzinom“ (20.10.2013)
    www.haematologie-onkologie-2013.at
  2. Chodak GW, et al: NEJM 1994;330(4):242-248
    http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/8272085
  3. Klotz L, et al: J Clin Oncol 2009;28(1):126-131
    http://dx.doi.org/10.1200/JCO.2009.24.2180

Autoren und Interessenkonflikte

Dr. Erentraud Hömberg
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Heidenreich A: Es liegt keine Erklärung zu Interessenkonflikten vor.

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