Mehr Herzinfarkte und Schlaganfälle durch Fluglärm?

Michael Simm | 7. November 2013

Autoren und Interessenkonflikte

Flughafenanwohner, die hohen Lärmpegeln ausgesetzt sind, haben ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Krankheiten. Das geht aus 2 separaten Studien hervor, die jetzt im British Medical Journal publiziert wurden. Prof. Dr. Paul Elliot vom Imperial College in London nahm mit seinem Team den Flughafen Heathrow unter die Lupe, der im 24-Stunden-Betrieb etwa 3,6 Millionen Anwohner beschallt [1].

Die Epidemiologin Dr. Francesca Domenici von der Harvard School of Public Health in Boston wertete dagegen mit ihrer Arbeitsgruppe die Daten von 6 Millionen US-amerikanischen Senioren aus, die unterschiedlich weit von 89 Flughäfen entfernt leben, und die durch das Programm Medicare betreut werden [2]. Beide Studien waren retrospektiv angelegt.

„Auch wenn die Kritiker in Diensten der Flughäfen dies nicht akzeptieren: Die neuen Ergebnisse sind eine Bestätigung dafür, dass Fluglärm zu Herz-Kreislauf-Schäden führen kann“, kommentierte gegenüber Medscape Deutschland Prof. Dr. Eberhard Greiser von der Abteilung Gesundheitsökonomie, Gesundheitspolitik und Versorgungsforschung der Universität Bremen.

„Auch wenn die Kritiker in Diensten der Flughäfen dies nicht akzeptieren:
Die neuen Ergebnisse sind eine Bestätigung dafür, dass Fluglärm zu Herz-Kreislauf-Schäden führen kann.“
Prof. Dr. Eberhard Greiser

Frühere Studien hatten bereits das Risiko für erhöhten Blutdruck durch Fluglärm untersucht. Nur wenige hatten aber nach kardiovaskulären Erkrankungen gefragt – und waren dabei zu inkonsistenten Ergebnissen gekommen. In der Londoner Studie wurden deshalb für 21 Wohngebiete mit Fluglärm von mehr als 50 Dezibel (db) am Tag die Zahl der Klinikeinweisungen und die Sterblichkeit durch Schlaganfälle, koronare Herzkrankheit und Herz-Kreislauf-Erkrankungen in den Jahren 2001 bis 2005 erfasst.

Unter den 3,6 Millionen Anwohnern gab es dabei annähernd 190.000 Klinikeinweisungen wegen kardiovaskulärer Erkrankungen, darunter 16.983 Schlaganfälle und 64.448 koronare Herzerkrankungen. Es starben 9.803 Personen an Schlaganfällen und 22.613 an Koronarerkrankungen.

Fluglärm: Je lauter, desto höher das Gesundheitsrisiko

Das relative Risiko der Anwohner wurde dann mit dem Ausmaß des Fluglärms in diesen Wohngebieten verglichen, den die Luftfahrtbehörde CAA (Civil Aviation Authority) gemessen hatte. Beginnend mit 51 db, was dem Gespräch in einem ruhigen Raum entspricht, und in Schritten von jeweils 3 db definierten die Forscher 5 Gruppen, deren Spannbreite einer Verdoppelung der Lärmintensität entspricht.

Tatsächlich fanden sie in all diesen Gruppen ein erhöhtes Risiko für Klinikeinweisungen mit zunehmendem Fluglärm tagsüber – auch unterhalb der Schwelle von 57 db. Ab dieser Schwelle wird Lärm gemeinhin als Belästigung empfunden. Die Risikoerhöhung war jedoch unterhalb von 60 db nur gering ausgeprägt.

„Der Nachtlärm hat besonders schlimme Auswirkungen, weil der Schlaf gestört wird. Auch wenn
die Betroffenen nicht aufwachen kommt es dabei zur Ausschüt-
tung von Stress-
hormonen wie Cortisol.“
Prof. Dr. Eberhard Greiser

Bezüglich Fluglärm tagsüber war das relative Risiko am höchsten in der Gruppe, die mit mehr als 63 db dem stärksten Lärm ausgesetzt war. Hier war das relative Risiko für einen Schlaganfall auf 1,24 gestiegen, für koronare Herzerkrankungen auf 1,21, und für jegliche kardiovaskuläre Erkrankung auf 1,14. Ähnlich stark erhöht war das relative Risiko, an solch einem Ereignis zu sterben, nämlich 1,21 für Schlaganfall, 1,15 für koronare Herzerkrankungen und 1,16 für kardiovaskuläre Ereignisse insgesamt.

Nächtlicher Fluglärm führte schon bei niedrigeren Pegeln zwischen 50 und 55 db zu ähnlich starken Risikoerhöhungen wie Lärm von 63 db oder mehr tagsüber. Dies deckt sich mit früheren Untersuchungen, bemerkt Greiser. Er selbst hatte erst kürzlich prognostiziert, dass der Fluglärm um Frankfurt in der Dekade von 2012 bis 2021 etwa 23.400 zusätzliche Erkrankungen verursachen werde [3]. „Der Nachtlärm hat besonders schlimme Auswirkungen, weil der Schlaf gestört wird. Auch wenn die Betroffenen nicht aufwachen kommt es dabei zur Ausschüttung von Stresshormonen wie Cortisol“, so Greiser.

Bei den Berechnungen der englischen Forscher wurden mögliche Verzerrungen durch Alter, Geschlecht, ethische Zugehörigkeit, soziale Benachteiligung, Rauchen, Luftverschmutzung und Straßenverkehr berücksichtigt. Dennoch solle man bei der Interpretation bedenken, dass außer kausalen Wechselwirkungen auch Kofaktoren eine Rolle spielen könnten, die nicht erfasst wurden, schreiben sie.

In der amerikanischen Studie war erstmals über mehrere Flughäfen hinweg eine sehr große Population untersucht worden. Die Regionen wurden dabei anhand der Postleitzahlen untergliedert. Innerhalb der Studienpopulation (65 Jahre und älter) konnte ein linearer Zusammenhang zwischen dem Fluglärm und der Rate an kardiovaskulär verursachten Klinikeinweisungen aufgezeigt werden.

Gibt es einen Schwellenwert für Fluglärm?

Im Durchschnitt war für eine Zunahme des Lärms um 10 db die Zahl der Klinikeinweisungen um 3,5% gestiegen. Auch nachdem die Forscher ihre Rechnungen bezüglich des sozioökonomischen Status, demografischer Faktoren, der Luftverschmutzung und der Straßennähe des Wohnorts adjustiert hatten, blieb die positive Korrelation bestehen. Insgesamt hatte der Fluglärm bei den Senioren, die in Flughafennähe lebten, 2,3% aller Klinikeinweisungen wegen Herz-Kreislauferkrankungen verursacht, stellen Domenici und ihre Kollegen fest.

„Diese Unter-
suchungen liefern vorläufige Beweise, dass Fluglärm … auch die Morbidität und Mortalität durch kardiovaskuläre Krankheiten erhöhen könnte.“
Prof. Dr. Stephen Stansfeld

Trotz einiger Einschränkungen sagen die Wissenschaftler, ihre Resultate „liefern Beweise für einen statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen Fluglärm und kardiovaskulärer Gesundheit, insbesondere bei größeren Lärmexpositionen“. Gleichzeitig lege die Studie aber auch nahe, dass es einen Schwelleneffekt geben könnte. Konsistente und statistisch signifikante Assoziationen zwischen der Lärmexposition und Klinikeinweisungen aufgrund kardiovaskulärer Ereignisse habe man nämlich erst jenseits von 55 db beobachtet.

Greiser ist gegenüber dieser Interpretation der Daten jedoch skeptisch. Schließlich wurde die US-Studie mit Senioren gemacht, deren Hörvermögen oftmals eingeschränkt ist. Wenn es einen Schwelleneffekt für Fluglärm gebe, so sei dieser eher bei 45 db angesiedelt. Angesichts dessen forderte er für Deutschland ein echtes Nachtflugverbot von 22:00 bis 6:00 Uhr – ohne Ausnahmeregelungen.

Prof. Dr. Stephen Stansfeld von der Queen Mary University of London, der im British Medical Journal beide Studien kommentiert hat, kommt zu einem ähnlichen Schluss: „Diese Untersuchungen liefern vorläufige Beweise, dass Fluglärm nicht nur eine Quelle für Belästigungen, Schlafstörungen und reduzierte Lebensqualität ist, sondern auch die Morbidität und Mortalität durch kardiovaskuläre Krankheiten erhöhen könnte.“ Das sollten die Planer berücksichtigen, wenn sie bestehende Flughäfen in dicht besiedelten Gebieten ausbauen oder neue projektieren [4].

Referenzen

Referenzen

  1. Hansell AL, et al: BMJ 2013;347:f5432
    http://dx.doi.org/10.1136/bmj.f5432
  2. Correia AW, et al: BMJ 2013;347:f5561
    http://dx.doi.org/10.1136/bmj.f5561
  3. Greiser E, et al: Gesundheitswesen 2013;75:127-133
    http://dx.doi.org/10.1055/s-0033-1333785
  4. Stansfeld S: BMJ 2013;347:f5752
    http://dx.doi.org/10.1136/bmj.f5752

Autoren und Interessenkonflikte

Michael Simm
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Hansell AL und eine weitere Autorin haben Beraterhonorare der Firma AECOM erhalten. Außerdem ist Hansell Mitglied bei Greenpeace, ohne jedoch finanzielle Zuwendungen erhalten oder an Kampagnen mitgewirkt zu haben.

Correia AW, Greiser E: Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Stansfeld S: Mitglied der Britischen Projektgesellschaft High Speed Two Ltd., die eine Schnellbahnstrecke von London nach Glasgow plant.

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