„Health Insurance Market Place – Please wait“ – Diese Mitteilung erhielten Bürger der USA, die sich auf dem Online-Portal zur amerikanischen Gesundheitsreform nach einer bezahlbaren Krankenversicherung umschauen wollten, immer wieder. Systemabstürze, fehlerhafte Anträge oder die Seite ließ sich erst gar nicht öffnen – seit Anfang Oktober beschert die dilettantische Internetseite US-Präsident Obamas wichtigem Projekt einen Horrorstart [1]. Schon am ersten Tag brachen die Server zusammen, als in den ersten 16 Stunden 2,8 Millionen die Website besuchen wollten.
in dem es privaten Interessen gelingt, mit Hilfe der Regierung Kriege und Pandemien zu inszenieren, wird es privaten Interessen wohl auch ein Leichtes sein, die Umsetzung der von Wirtschaftskreisen bekämpften Reform zu sabotieren.“
„Es gibt keine Entschuldigung für diese Probleme“, wird Präsident Barack Obama in einem Bericht von USA-Today zitiert [2]. Er räumte Software- und Designmängel ein und versprach eine schnelle Behebung der technischen Pannen. Er betonte aber auch, dass der Affordable Care Act (ACA) viel mehr als nur eine Webseite sei. Denn das Ziel, ein Angebot für bezahlbare Krankenversicherungen zu schaffen, funktioniere gut. Ob Obamas Werben um Sachlichkeit auf fruchtbaren Boden fällt, ist fraglich. Die Pannen sind peinlich. Und sie bieten den ACA-Gegnern Steilvorlagen für ihre Kritik.
Dr. Wolfgang Wodarg von Transparency International sieht die öffentlichen Verlautbarungen mit Skepsis und sagt: „In einem Staat, in dem es privaten Interessen gelingt, mit Hilfe der Regierung Kriege und Pandemien zu inszenieren, wird es privaten Interessen wohl auch ein Leichtes sein, die Umsetzung der von Wirtschaftskreisen bekämpften Reform zu sabotieren.“ Besonders einfach sei das in den Ländern, die sich bei der Umsetzung ihrer Politik von privaten Dienstleistungsunternehmen abhängig gemacht hätten, fügt Wodarg auf Nachfrage von Medscape Deutschland hinzu.
Die zahlreichen Pannen sorgen für Unmut über die Regierung. Die Washington Post diagnostizierte ein „Disaster“ [3]. „Sie regieren schlecht. Und verdienen all die Kritik, die sie bekommen und noch mehr“, urteilte der bekannte liberale Kommentator Ezra Klein. Mit großer Häme schlachten die Republikaner und vor allem deren Tea Party die Situation aus, umso mehr nachdem es ihnen nicht gelungen war, das längst überfällige Krankenversicherungsgesetz auf gesetzlichem Weg zu stoppen.
Ex-Präsidentschaftskandidat John McCain sprach auf CNN von einem „Fiasko“ und riet dem Präsidenten süffisant, via Air Force One schlaue Jungs aus dem Silicon Valley nach Washington zu fliegen, damit diese das Computerproblem beheben könnten [4]. Tea-Party-Ikone Marco Rubio, Senator aus Florida, höhnte, es sei im 21. Jahrhundert doch wohl nicht so kompliziert eine Homepage einzurichten, auf der Leute etwas einkaufen könnten [5].
Prestigeprojekt mit Startschwierigkeiten
Das Gesetz wurde im Frühjahr 2010 beschlossen, 2 Jahre später bestätigte der Oberste Gerichtshof die Verfassungsmäßigkeit von Obamacare. Seit dem 1. Oktober 2013 können sich nun alle, die bisher nicht krankenversichert waren, auf der Website healthcare.gov informieren, wo und wie sie einen Vertrag abschließen können. 30 Millionen unversicherte US-Bürger sollen so eine Krankenversicherung erhalten.
Ab 2014 ist es Pflicht eine Versicherung abzuschließen, sonst droht eine Strafzahlung. Die Internetseite healthcare.gov deckt 36 Bundesstaaten ab, während 14 Staaten eigene Versicherungsbörsen eingerichtet haben. So soll mehr Transparenz für die Bürger geschaffen werden und die Versicherungsbeiträge sollen durch die Konkurrenz der Anbieter auf bezahlbarem Niveau gehalten werden. Der Versicherungsschutz beginnt ab 1. Januar 2014, das Zeitfenster für den Abschluss einer Police schließt sich am 31. März 2014.
Jobkiller Obama Care?
Vor allem die Versicherungspflicht stößt den Republikanern sauer auf, sie sehen darin die Beschneidung individueller Freiheitsrechte, außerdem befürchten sie Belastungen für die Wirtschaft. „Obamacare ist der größte Jobkiller der Nation“, behauptet der republikanische Senator Ted Cruz, der der Tea Party nahe steht. Mit Fakten kann er allerdings nicht aufwarten. Der sozialstaatsfeindliche Flügel der Republikaner unter Cruz befeuerte den shutdown vielmehr, indem er forderte: „Entweder Obamacare bleibt aus, oder es gibt eben kein Geld für die Regierung.“ Was folgte war die wochenlange Handlungsunfähigkeit der USA.
Dass die Pflicht-Krankenversicherung zum Jobkiller wird stellt eine Studie der Universität Harvard in Frage. Die nämlich kommt zu dem Schluss, dass dank „Obamacare" jährlich bis zu 400.000 neue Jobs entstehen könnten. Die Obama-Administration ist überzeugt: So würden sich auch die enormen Ausgaben von 1,1 Billionen Dollar, umgerechnet rund 810 Milliarden Euro, wieder rechnen und langfristig sogar zu Einnahmenzuwächsen führen [5].
um die Leute zu entmutigen, sich
um eine Kranken-
versicherung zu bemühen!“
Auch das oft gehörte Gerücht, „Obamacare" würde die Beitragskosten in die Höhe treiben, stimmt bei genauerer Betrachtung nicht. Sie liegen stattdessen nur bei 3 bis 9,5 % des Einkommens – bei der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland sind es dagegen 15,5 %. Tatsächlich sind die jetzt genannten Versicherungsbeiträge teilweise deutlich niedriger als ursprünglich vom überparteilichen Congressional Budget Office (CBO) geschätzt.
Gleichzeitig senkt das neue Gesetz laut CBO das Defizit im Staatshaushalt der USA. In einem Brief an den Sprecher des Repräsentantenhauses, den Republikaner John Boehner, bewertet das CBO die Kostensteigerung durch einen Widerruf des Gesetzes auf 109 Milliarden Dollar in den nächsten 10 Jahren. [6]
Doch Argumente scheinen in der Auseinandersetzung wenig zu zählen. Weshalb das von vielen Seiten für längst überfällig gehaltene Gesetz derart boykottiert wird, finden die Kommentatoren ebenfalls erklärungsbedürftig. Eine interessante Theorie dazu vertritt Edouardo Porter in der New York Times: „Die Republikaner hassen Obamacare, weil sie Angst haben, die Amerikaner könnten das Gesetz mögen.“ Und weil sie Angst hätten, dass Millionen von Amerikanern erkennen könnten, dass das neue Gesetz keineswegs das Land zerstöre, sondern dass es im Gegenteil das Leben für Millionen von Amerikanern verbessere.
Auch das Leben von Amerikanern, die die Republikaner gewählt haben und die einsehen könnten, dass die bisherige Devise „je weniger Staat desto besser“ im Falle der Gesundheitspolitik eben nicht stimme [7]. Dazu passt Ed Kilgores Analyse im Blog ‚political animal‘ der Washington monthly: „Die Republikaner nutzen jetzt die Probleme von healthcare.gov, um die Leute zu entmutigen, sich um eine Krankenversicherung zu bemühen!“ [8]
Dass viele Amerikaner womöglich gar nicht verstanden haben, worum es bei der Reform wirklich geht, hat jetzt Jimmy Kimmel aufgedeckt. Der US-Komiker ließ Anfang Oktober auf dem Hollywood Boulevard Leute befragen, ob sie den Affordable Care Act oder Obamacare bevorzugten. Es herrschte Einigkeit: Obamacare sei Teufelszeug, der Affordable Care Act dagegen eine gute Sache [9]. Peinlich nur, dass Obamacare lediglich der Spitzname für den Affordable Care Act ist.