Amsterdam – Der Angiogenesehemmer Bevacizumab sollte als neuer Bestandteil der Standardtherapie des platinresistenten Ovarialkarzinoms sowie der Erstlinientherapie des Hochrisiko-Ovarialkarzinoms in Erwägung gezogen werden. Zu diesem Schluss kamen Onkologen beim europäischen Krebskongress aufgrund der Endergebnisse zweier großer Phase-III-Studien zu diesem Krebsmedikament [1].
Dr. Rebecca Kristeleit, Onkologin am University College Hospital London, bezeichnete in der Diskussion beim Krebskongress beide Studien als wichtig. Sie werden nach ihrer Ansicht die klinische Praxis ändern, denn Bevacizumab habe sich als wirksam beim fortgeschrittenen ausgedehnten Ovarialkarzinom erwiesen. Sie empfahl, wöchentlich appliziertes Paclitaxel in Kombination mit Bevacizumab als den neuen Standard für die Therapie des platinresistenten Ovarialkarzinoms in Betracht zu ziehen. Ebenso sollte bei Hochrisiko-Ovarialkarzinom eine Erstlinientherapie mit Bevacizumab zusammen mit einer 3-wöchentlichen Chemotherapie als Standard erwogen werden.
Beim platinresistenten Ovarialkarzinom sei derzeit eine Monotherapie mit wöchentlichem Paclitaxel, mit pegyliertem liposomalem Doxorubicin (PLD) oder Topotecan Standard, informierte Dr. Petronella Witteveen von der Universitätsklinik Utrecht, Holland. Damit liege das mediane Überleben bei etwa 12 Monaten.
AURELIA bei platinresistentem Ovarialkarzinom
Welchen Effekt eine zusätzliche Therapie mit dem Angiogenesehemmer Bevacizumab (Avastin®) hat, wurde erstmals in der AURELIA-Studie randomisiert untersucht [2]. AURELIA ist eine multizentrische, randomisierte, offene, zweiarmige Phase-III-Studie, in die Frauen mit platinresistentem, rezidiviertem Ovarialkarzinom aufgenommen wurden. Die Frauen hatten vor Aufnahme in die Studie höchstens 2 Therapien erhalten.
Verglichen wurden 179 Teilnehmerinnen, die Bevacizumab (10 mg/kg alle 2 Wochen oder 15 mg/kg alle 3 Wochen) in Kombination mit Standardchemotherapie (wöchentlich Paclitaxel, Topotecan oder pegyliertes liposomales Doxorubicin nach Entscheidung des behandelnden Arztes) erhielten, mit 182 Frauen, die eine Standardchemotherapie allein bekamen. Die Patientinnen wurden bis zur Progression, bis zur nicht akzeptablen Toxizität oder bis zur Rücknahme ihres Einverständnisses behandelt. Nur mit Chemotherapie behandelte Frauen konnten bei Progression auf eine Bevacizumab-Monotherapie wechseln, im Bevacizumab-Arm war eine weitere Bevacizumab-Behandlung bei Progression nicht erlaubt.
Primärer Endpunkt der Studie war das progressionsfreie Überleben (PFS), sekundäre Endpunkte der Studie waren Gesamtüberleben (OS), objektive Ansprechrate, Lebensqualität, Sicherheit und Verträglichkeit. Die Studie war nicht dafür ausgelegt, einen Unterschied im Gesamtüberleben nachzuweisen.
Die ersten Ergebnisse der Studie waren beim Kongress der American Society of Clinical Onkology (ASCO) 2012 vorgestellt worden. Das progressionsfreie Überleben war mit Bevacizumab signifikant auf 6,7 Monate verlängert im Vergleich zu 3,4 Monaten bei Frauen, die nur die Standard-Chemotherapie erhielten (HR: 0,48; 95%-KI: 0,38–0,60; p<0,001). Die Ansprechrate betrug mit Bevacizumab 30,9%, ohne Bevacizumab 12,6%.
Hinweise für erhöhtes Gesamtüberleben mit Bevacizumab
Witteveen präsentierte nun in Amsterdam die endgültigen Ergebnisse zum Gesamtüberleben. Nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 27,4 Monaten waren 264 von 361 Patienten gestorben, und zwar 128 von 179 (72%) im Bevacizumab-Arm und 136 von 182 (75%) im Chemotherapie-Arm. Das mediane Gesamtüberleben lag bei 16,6 Monaten mit der Bevacizumab-Kombination und bei 13,3 Monaten mit Chemotherapie. Das um 3 Monate verlängerte progressionsfreie Überleben spiegelte sich also in einem um 3 Monate verlängerten Gesamtüberleben wider, der Unterschied war aber nicht signifikant (HR: 0,85; p=0,174).
Die Studie war jedoch auch nicht dafür ausgelegt, einen Unterschied im Gesamtüberleben nachzuweisen. Außerdem, so Witteveen, wurde nicht systematisch erfasst, wie die Frauen nach der Progression weiter behandelt wurden. Auch die Cross-Over-Rate von 40% der Frauen aus dem Chemotherapie-Arm auf Bevacizumab könnte die Ergebnisse beeinflusst haben. Witteveen legte noch eine Analyse zum Gesamtüberleben in den einzelnen Chemotherapie-Gruppen vor. Dabei ergab sich der größte Unterschied in der mit Paclitaxel behandelten Gruppe. Das Gesamtüberleben betrug bei Behandlung mit Paclitaxel (n=55) 13,2 Monate, mit Paclitaxel plus Bevacizumab dagegen 22,4 Monate (HR: 0,65; 95%-KI: 0,42-1,02).
ICON7: Bevacizumab in der Erstlinientherapie
In der Studie ICON7 (ICON=International Collaboration on Ovarian Neoplasms) wurde die geringere Dosis von 7,5 mg/kg Bevacizumab parallel zur Chemotherapie mit Carboplatin AUC 5 oder 6, jeweils mit 175 mg/m2 Paclitaxel und als Erhaltungstherapie für 12 Zyklen über insgesamt 12 Monate, eingesetzt. In diese Studie wurden 1.528 Patientinnen im FIGO-Stadium I bis IIA und mit optimalem Operationsergebnis (makroskopisch tumorfrei) sowie Patientinnen mit Hochrisiko-Ovarialkarzinom im frühen Stadium eingeschlossen.
Endpunkte waren das progressionsfreie (PFS) sowie das Gesamtüberleben. Die PFS-Daten wurden beim Kongress der European Society of Medical Onkology (ESMO) 2010 vorgestellt und im Jahr 2011 im New England Journal of Medicine publiziert [3]. Das progressionsfreie Überleben war im experimentellen Arm (n=764) mit 19,8 Monate signifikant länger als im Standard-Arm (n=764) mit 17,4 Monaten (HR: 0,81; p=0,0041). Es zeigte sich ein besonders guter Effekt bei den 33% Hochrisikopatientinnen, bei denen das progressionsfreie Überleben von 10,5 auf 15,9 Monate verlängert worden war.
Die Daten zum Gesamtüberleben waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht verfügbar. Die endgültigen Daten hat nun Dr. Amit M. Oza, Toronto, beim europäischen Krebskongress vorgestellt. Nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 49 Monaten waren 714 Todesfälle (352 in der Kontrollgruppe und 362 mit Bevacizumab) aufgetreten [4].
Die PFS-Kurven hatten sich nach etwa 18 bis 24 Monaten wieder angenähert und sogar überkreuzt, so dass sich die Ergebnisse am Ende nicht mehr unterschieden. Das progressionsfreie Überleben betrug in der Kontrollgruppe 17,5 Monate, in der Bevacizumab-Gruppe 19,9 Monate. Auch das Gesamtüberleben war mit 58,6 Monaten in der Kontrollgruppe und 58,0 Monaten in der Bevacizumab-Gruppe nicht signifikant unterschiedlich.
Anders sah es wiederum bei den Frauen der Hochrisikogruppe aus. Hier wurden durch Bevacizumab sowohl das progressionsfreie Überleben im Median um 5,5 Monate von 10,5 auf 16,0 Monate (HR: 0,73; p=0,001) als auch das Gesamtüberleben um 9,4 Monate von 30,3 auf 39,7 Monate signifikant verlängert. Neue unerwünschte Wirkungen wurden im Verlauf der Nachbeobachtungszeit nicht gesehen.