Nicht mit Smartphone ins Bett! Jedes fünfte Kind schläft schlecht

Petra Plaum | 15. Oktober 2013

Autoren und Interessenkonflikte

Düsseldorf – Schlafprobleme bei Kindern oder Jugendlichen sind weder selten noch harmlos. Es gibt jedoch viele Möglichkeiten der  Behandlung. „22 Prozent aller Kinder zwischen null und zwei Jahren haben Schlafprobleme, allein 17 Prozent Durchschlafprobleme“, betont Prof. Dr. Angelika Schlarb, Diplom-Psychologin an der Faculté des Lettres, des Sciences Humaines, des Arts et des Sciences de l'Education der Universität Luxemburg.

Wie sie bei einem Symposium auf der 109. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) berichtete, schlafen nach ihren eigenen Untersuchungen rund 16% der Kindern zwischen 3 und 10 Jahren schlecht [1]. Im Vorschulalter bereiten Ein- und Durchschlafen etwa gleich häufig Schwierigkeiten, bei den Schulkindern dominieren die Einschlafprobleme. Bei den 11-bis 17-Jährigen klagen 21 bis 23% über Beschwerden beim Ein- und Durchschlafen.

„22 Prozent aller Kinder zwischen
null und zwei Jahren haben Schlaf-
probleme, allein
17 Prozent Durch-
schlafprobleme.“
Prof. Dr. Angelika Schlarb

Sind es bei jüngeren Kindern meist die Eltern, die (entkräftet) die Hilfe des Kinderarztes suchen, wissen bei den älteren Kindern Mutter und Vater manchmal nicht einmal, dass ihr Kind keine Ruhe findet. Barbara Schneider, Kinder- und Jugendärztin und Leiterin des Kinderschlaflabors am Kinderkrankenhaus St. Marien Landshut, riet Kollegen zum Nachhaken, wenn Kinder und Jugendliche mit Symptomen wie Aufmerksamkeitsdefiziten, gastrointestinalen Beschwerden, Kopfschmerz oder Stimmungsschwankungen in die Praxis kommen: „Es lohnt sich, nach dem Ein- und Durchschlafen zu fragen, denn die Eltern wissen oft nur dann von den Problemen, wenn ihr waches Kind sie auch stört.“

Von einer Schlafstörung ist auszugehen, wenn der Schlaf 3 oder mehr Nächte pro Woche schlecht ist und dieser Zustand mehr als einen Monat lang anhält. Schlaffragebögen und Schlafprotokolle helfen Eltern sowie Ärzten bei der Dokumentation. Es gibt sie unter anderem bei der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) [2]. Gefahndet werden sollte auch nach möglichen körperlichen Ursachen (z.B. Atemstörungen, Schilddrüsenfehlfunktionen, neurologischen Störungen) oder psychischen Ursachen für die gestörte Nachtruhe.

Als Kind nachts unruhig – als Erwachsener psychisch krank?

Einfach abwarten, bis sich gravierende Schlafstörungen von alleine geben, ist keine gute Idee, betonte Schlarb. Schließlich stehen zahlreiche Auffälligkeiten wie ADHS, aggressive Verhaltensstörungen und Depressivität bis hin zur erhöhten Suizidneigung mit unzureichendem Schlaf in Zusammenhang, wie  internationale Studien belegen [3,4,5]. Natürlich wird nicht jeder, der als Kind die Nacht zum Tag macht, psychisch krank. Schlarb berichtete jedoch von ihren Erfahrungen aus der psychotherapeutischen Hochschulambulanz Tübingen: „Wir haben dort junge Erwachsene mit psychischen Störungen befragt, wie sie als Kinder und Jugendliche geschlafen haben. Die Patienten berichteten viel häufiger als die Kontrollgruppe von insomnischen Beschwerden.“

Auch die möglichen gesundheitlichen und sozialen Folgen für müde Eltern sind nicht zu unterschätzen.

Trainingsprogramme gegen Schlafstörungen

Schlarb stellte in Düsseldorf 3 altersspezifische Programme vor, die sie und ihr Team in Tübingen für Familien mit schlafgestörten Kindern (ohne primär körperliche Ursache) entwickelt haben.

  • So sind z.B. bei Babys und Kleinkindern limit-setting sleep disorders oder sleep onset association disorders häufig. Schlarb: „Bei limit-setting sleep disorders liegen die Einschlafprobleme daran, dass Eltern zu wenig Grenzen setzen, was sie z.B. mit bestimmten Ritualen und einem früheren Abendessen ändern können.“
  • Sleep onset association disorders dagegenäußern sich so, dass betroffene Kinder sehr anhänglich sind und ein Objekt benötigen, um ein- und durchschlafen zu können – das Kuscheltier, die Schmusedecke, Mama oder Papa am Bettrand. Mini-KiSS heißt das Programm, das Eltern inzwischen auch in anderen Teilen Deutschlands in 6 Sitzungen vermittelt, wie sie ihren 6 Monate bis 4 Jahre alten Nachwuchs zu besseren Schlafgewohnheiten begleiten. Und wie sie selbst dabei gelassen bleiben – dazu trainieren sie Entspannungstechniken.
    Für Kinder zwischen 5 und 10 Jahren ist das Schlaftraining KiSS konzipiert, das sich zur Hälfte (3 Termine) an die Kinder, zur Hälfte an die Eltern wendet. Die Kinder profitieren von Entspannungs- und Atemtechniken, bekommen das Maskottchen Kalimba, einen Plüschleoparden, mit auf den Weg und einen „Werkzeugkasten: Was ich schon alles kann.“
  • Je älter ein Kind mit Schlafstörungen, desto eher findet sich unter den Ursachen eine mangelnde Schlafhygiene, so Schlarb. Mit Schlafhygiene sind die Umstände des Zu-Bett-Gehens gemeint.  Sie fragte das Publikum: „Sehen Sie im Bett fern? Essen Sie dort? Lesen Sie oder spielen Sie mit dem Smartphone?“ Darauf zu verzichten, könne schon viel verbessern. Das Training JuSt für 11- bis 17-Jährige vermittelt den Teilnehmern in 5 Sitzungen, wie sie für eine schlaffördernde Umgebung sorgen. Auch für die Eltern gibt es ein Meeting.

Die Evaluation aller 3 Trainingsprogramme zeigte eine deutliche Verminderung der Schlafprobleme: Kleinkinder wachten z.B. nachts danach seltener und kürzer auf und schliefen seltener im Elternbett; Grundschulkinder klagten über weniger Ängste. Allgemein verringerte sich die Einschlaflatenz. Last but not least: Auch die Eltern fühlten sich hinterher stabiler.

Nächtliche Beatmung oder eine OP können helfen

An ruhigen Elternschlaf ist hingegen meist nicht zu denken, wenn ein Kind im Schlaf immer wieder Atemaussetzer hat, die sich z.B. durch Schnarchen äußern. Dr. Alfred Wiater, Chefarzt der Kinderklinik im Krankenhaus Porz am Rhein, riet zur raschen Abklärung der Ursachen, denn harmlos sind solche Schlafapnoen nicht. Sinkt die Sauerstoffsättigung im Blut zu häufig und zu lang ab, sind Gedeih- und Konzentrationsschwierigkeiten die Folge. Schlimmstenfalls kann es zum  plötzlichen Kindstod kommen.

„Die Eltern wissen oft nur dann von den Problemen, wenn ihr waches Kind sie auch stört.“
Barbara Schneider

Manchmal zeigt sich, dass die Atemwege eines Kindes nachts aus anatomischen Gründen nicht frei sind. Wiater berichtete von einem Jungen, der nach einer Adenotonsillektomie plötzlich gut schlief, sowie von einem Baby, das ein Jahr lang nachts beatmet werden musste, bis die Atemwege richtig ausgereift waren. Auch eine ausgeprägte Malokklusion könne dazu führen, dass ein Kind im Schlaf Atemaussetzer erleidet. In einem solchen Fall kann dann natürlich der Kieferorthopäde Abhilfe schaffen.

Findet sich kein eindeutiger Grund für die schlafbezogenen Apnoen, „lohnt es sich, molekulargenetisch den Atemstörungen nachzugehen“, so Wiater. Einige Syndrome, z.B. das kongenitale zentrale Hypoventilationssyndrom (CCHS, auch Undine-Syndrom genannt) mit oder ohne Morbus Hirschsprung oder das Prader-Willi-Syndrom gehen mit nächtlichen Atemaussetzern einher. Eine mögliche Therapie ist die Beatmung mittels CPAP (Continuous Positive Airway Pressure). Auch bei Kindern mit einer Pierre-Robin-Sequenz kommt es häufig zu Atemstörungen. Wiater zeigte anhand von Folien, wie eine Gaumenplatte mit Sporn hier die Atemwege befreit. Er legte Pädiatern das Handbuch Kinderschlaf ans Herz, das vielerlei mögliche Ursachen für Schlafstörungen vorstellt [6].

Medikamente bisher alle Off-Label

Möglichkeiten zur medikamentösen Behandlung kindlicher und jugendlicher Schlafstörungen stellte PD Dr. Jan Frölich, Kinderarzt und Kinder- und Jugendpsychiater aus Stuttgart, vor. Noch sei „alles Off-Label“, und es gebe keine verbindlichen Empfehlungen für die passende Dosis eines Medikaments, betonte er. Vor der Medikamentengabe solle auf jeden Fall gründlich abgewogen werden, was für eine Medikation spricht und welche Nebenwirkungen, z.B. ein Hangover am Tag danach, je nach Präparat zu erwarten sind.

„Bei ADHS wäre manchmal eher eine Schlafanamnese nötig als eine ADHS-
Medikation.“
PD Dr. Jan Frölich

Auch andere Erkrankungen sind zu berücksichtigen: Bei psychischen Erkrankungen könne schon ein Wechsel des ursprünglich verabreichten Medikaments einen besseren Schlaf mit sich bringen, betonte Frölich. Zudem sollten Diagnosen für andere Erkrankungen nicht vorschnell gestellt werden: „Bei ADHS wäre manchmal eher eine Schlafanamnese nötig als eine ADHS-Medikation.“ Schlafe das Kind gut, nähmen Unkonzentriertheit und Unruhe oft fast wie von selbst ab.

Für junge Patienten mit ADHS, psychomotorischen Entwicklungsverzögerungen und Autismus liegen nach seinen Angaben inzwischen vielversprechende Studienergebnisse für eine Therapie mit Melatonin vor [7]. Die Studienteilnehmer berichteten z.B. über eine kürzere Einschlaflatenz, längere Schlafdauer und klagten nur über wenige Nebenwirkungen. „Man muss das natürlich eng monitoren“, mahnte Frölich, „es gibt zurzeit auch keine Übernahme der Kosten durch Krankenkassen.“ Dennoch habe Melatonin offenbar das Potenzial, Kindern und Jugendlichen bei Schlafstörungen zu helfen.

Referenzen

Referenzen

  1. 109. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ), 12. bis 15. September 2013, Düsseldorf. Schlafstörungen im Kindesalter, Symposium am 14. September 2013, Abstract 544 und 630.
    http://www.dgkj2013.de/
  2. DGSM (Hg.): Fragebögen im Überblick (Stand: 21. September 2013)
    http://www.charite.de/dgsm/dgsm/fachinformationen_frageboegen.php?language=german
  3. Thunström Met al: Acta Paediatr 2002; 91(5):584-92
    http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/12113330
  4. Velten-Schurian K, et al: Sleep Medicine 2010;11(3):281-288
    http://www.sleep-journal.com/article/S1389-9457(10)00006-7/abstract
  5. Liu X, et al: Sleep 2004;27(7):1351-1358
    http://www.journalsleep.org/Articles/270711.pdf
  6. Wiater A./Lehmkuhl G. (Hg.): Handbuch des Kinderschlafs, Schattauer 2011
  7. Rossignol DA, Frye RE: Dev Med Child Neurol 2011;53(9):783-792
    http://dx.doi.org/10.1111/j.1469-8749.2011.03980.x

Autoren und Interessenkonflikte

Petra Plaum
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Schlarb A, Schneider B, Wiater A, Frölich J: Es liegen keine Erklärungen zu Interessenkonflikten vor.

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