Barcelona – Die inzwischen weithin zitierte schwedische SOS (Swedish Obese Subjects)-Studie dient häufig als Argument, um die – auch bei uns in Deutschland – stetig steigende Zahl bariatrischer Eingriffe bei Typ-2-Diabetikern zu rechtfertigen. Tatsächlich ist die Remissionsrate von Patienten, die vor dem Eingriff Typ-2-Diabetiker waren, nach der OP überraschend hoch. So waren z.B. in der SOS-Studie in den ersten 2 Jahren 72% der Operierten von ihrem Diabetes befreit, erinnerte Studienleiter Prof. Dr. Lars Sjöström von der Sahlgrenska Universitätsklinik im schwedischen Göteborg beim Kongress der European Association for the Study of Diabetes (EASD) in Barcelona [1].
Inzwischen wird anstelle der bariatrischen Chirurgie schon immer öfter von einer „metabolischen Chirurgie“ gesprochen. Diabetespatienten hoffen auf eine „Heilung“ ihrer Stoffwechselstörung durch das Skalpell. Es wird sogar diskutiert, auch Typ-2-Diabetespatienten, die nicht so stark übergewichtig sind, vom „metabolischen Nutzen“ eines solchen Eingriffs profitieren zu lassen.
Doch sind diese Hoffnungen und Überlegungen berechtigt? Sind die Anfangserfolge auch tatsächlich von Dauer? Langzeitresultate gibt es bislang kaum. Die besten Daten dazu kann wohl die SOS-Studie liefern, gilt sie doch als die „Mutter“ aller Studien zur bariatrischen Chirurgie, die auf die bisher längsten Beobachtungszeiten zurückblicken kann [2].
Remissionsraten von nur noch 30% nach 15 Jahren
Sjöström stellte in Barcelona nun bislang noch nicht publizierte 15-Jahresdaten aus SOS vor. Sie zeigen – zumindest was die Diabetesremission angeht – ein eher enttäuschendes Ergebnis. Bei einem Großteil der bariatrisch Operierten kehrte der Diabetes zurück: Nach 15 Jahren betrug die Remissionsrate nur noch 30%. Wertet man sogar nur diejenigen aus, bei denen der Eingriff schon mindestens 20 Jahre zurück liegt, sind nur noch 18% in der Remission, wie der schwedische Experte berichtete.
wir müssen in Zukunft mehr Wert auf metabolische Kriterien legen!“
Ebenfalls nicht in allen Fällen von Dauer waren die Effekte der bariatrischen Chirurgie auf die Prävention des Stoffwechselleidens bei den Patienten ohne Diabetes. Während in den ersten 2 postoperativen Jahren die Wahrscheinlichkeit für die Neudiagnose eines Diabetes noch um 96% abnahm, war diese Risikoreduktion nach 15 bis 20 Jahren auf 78 bzw. 77% gesunken.
Was ist die Konsequenz aus diesen bislang unveröffentlichten Daten? Würden Sie also abraten, adipöse Typ-2-Diabetespatienten bariatrisch zu operieren, um ihren Metabolismus zu bessern, wurde Sjöström in Barcelona gefragt. Seine Antwort darauf: ein eindeutiges „Nein“.
Der Eingriff lohnt sich aber wegen der kardialen Risikoreduktion
Denn: Auch wenn der Diabetes in vielen Fällen zurückkam, profitierten die Operierten doch in anderer Beziehung, erläuterte er. Eine aktuelle Auswertung hat z.B. die Rate schwerer kardiovaskulärer Ereignisse – Herzinfarkte und Schlaganfälle – über 20 Jahre analysiert. Verglichen wurde die Rate bei den bariatrisch operierten Diabetikern (n=345) mit der einer Kontrollgruppe (n=262) unter Standardtherapie. Nach 20 Jahren ergab sich eine signifikante Risikoreduktion um 37% (p=0,01), berichtete der schwedische Experte.
Im Vorteil waren die Operierten auch hinsichtlich der Diabeteskomplikationen: Eine weitere Analyse verglich die kumulative Inzidenz solcher Spätschäden (nur derjenigen, die eine Klinikbehandlung erforderlich machten) bei den bariatrisch operierten Diabetikern und den Kontrollpersonen. Hier war das Risiko nach dem Eingriff mehr als halbiert (relative Risikoreduktion 54%, Inzidenzraten pro 1000 Patientenjahre 11,2 nach bariatrischer OP und 23,3 bei den Kontrollen).
Geprüft hat die SOS-Studiengruppe auch, ob es Kriterien gibt, um Patienten zu selektieren, die mit höherer Wahrscheinlichkeit von dem Eingriff profitieren. Sind es z.B. die besonders Schwergewichtigen? Aktuelle Leitlinien empfehlen einen solchen Eingriff erst ab einem Body-Mass-Index (BMI) von 40 kg/m², bei zusätzlicher metabolischer Störung, etwa einem Diabetes, ab einem BMI von 35 kg/m². Rund 200 Patienten aus SOS erfüllten diese derzeit gültigen Einschlusskriterien nicht. „Wir hatten damals unsere eigenen Regeln“, räumte Sjöström in Barcelona ein.
So lässt sich aber anhand der SOS-Daten vergleichen, ob die Leitlinien-Kriterien dazu taugen, diejenigen herauszufiltern, die mehr profitieren. Dies ist nicht der Fall – zumindest was die Diabetesremission und vor allem -prävention anging, so der Experte. Der Ausgangs-BMI sagte auch nichts über den Nutzen der Operation in Bezug auf harte Endpunkte aus. Sjöström: „Der Behandlungseffekt war der gleiche bei Patienten mit höherem oder niedrigerem BMI. Die derzeitigen BMI-Kriterien nutzen nichts für die Differenzierung – wir müssen in Zukunft mehr Wert auf metabolische Kriterien legen!“
Vieles spricht dafür, nicht zu lange zu warten
Dass diese wichtig(er) sind, davon ist er überzeugt: „Wir haben die besten Effekte hinsichtlich der Diabetesprävention bei Patienten mit gestörter Glukosetoleranz gesehen!“ Sjoström plädierte dementsprechend nicht für den Verzicht der metabolischen Chirurgie bei Diabetikern, sondern eher für eine frühzeitige Intervention schon bei Patienten mit IGT (Impaired Glucose Tolerance).
Bestätigt fühlt er sich dabei noch durch einen weiteren Befund aus der Studie: Bei langer Diabetesdauer vor dem Eingriff waren die Chancen der Patienten geringer, dass sie durch den Eingriff von ihrer Stoffwechselkrankheit befreit wurden, berichtete er. Und auch in den Jahren 2 bis 10 nach dem Eingriff hatten diejenigen mit bereits längerer Erkrankungsdauer ein höheres Risiko für einen Rückfall und wieder steigende Blutzuckerwerte.
Sein Fazit: Auch wenn 3 von 4 Patienten, die zunächst eine Diabetesremission nach einer bariatrischen OP hatten, in den folgenden 2 Jahrzehnten wieder einen Diabetes entwickeln – lohnen sich diese Eingriffe doch. „Das heißt nicht, dass man diese Patienten nicht operieren soll.“ Der Nutzen zeige sich im Sinne eines metabolischen Gedächtnisses nach vielen Jahren z.B. bei den Diabeteskomplikationen.
Es profitierten aber vor allem Nicht- und Prä-Diabetiker, bei ihnen werde eine ausgeprägte und langanhaltende Diabetesprävention erreicht. Im Übrigen hatten nach einer maximalen Beobachtungszeit von 15 Jahren die bariatrisch Operierten sogar eine signifikant geringere Mortalität.
Gefragt, ob er die Studie in gleicher Form heute wieder unternehmen würde, antwortete Sjöström in Barcelona: „Heute würde ich wahrscheinlich in drei Gruppen eine intensivierte und eine Standardtherapie gegen den Magenbypass – das effektivste Verfahren in der Studie – testen!“.
SOS – Urahn aller bariatrischen Studien
Die prospektive, kontrollierte Swedish Obese Subjects (SOS) Studie umfasste 4.047 adipöse Teilnehmer. Von diesen erhielten 2010 einen bariatrischen Eingriff und 2.037 eine konventionelle Behandlung (Kontrollgruppe). Nach einem maximalen Follow-up von 15 Jahren hatten die Kontrollen ihr Körpergewicht im Schnitt nicht verändert (±2%). In der chirurgischen Gruppe wurde die maximale Gewichtsabnahme in den ersten 2 Jahren erreicht (32 bis 20%, je nach Art des Eingriffs, die größte Gewichtsreduktion wurde mit dem Magenbypass erzielt). Nach 10 Jahren hatte sich der Gewichtsverlust in der Interventionsgruppe auf 25% bis 14% stabilisiert. Nach rund 11 Jahren war die adjustierte Mortalität in der Gruppe mit bariatrischer Chirurgie dann relativ um 29% geringer. Die häufigsten Todesursachen waren Herzinfarkte und Krebs.