Berlin – Wann spätestens sollte der Hausarzt einen Patienten mit Nierenproblemen zum Facharzt überweisen? Der Bundesmantelvertrag nennt eigentlich klare Kriterien. Doch in der Praxis, klagen Nephrologen, werden immer noch Patienten zu spät überwiesen, oft wenn sie schon fast dialysepflichtig sind. Dieses Problem will die Deutsche Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) nun mit einem eigenen Leitfaden lösen, den sie auf ihrer 5. Jahrestagung vorstellte. „Unser Ziel ist es, die Schere zwischen Unter- und Übertherapie zu schließen“, sagt Prof. Dr. Jan Galle, Chefarzt des Dialysezentrums am Klinikum Lüdenscheid und Pressesprecher der DGfN [1].
verlust ist auch eine normale altersabhängige Erscheinung. (…) Alle diese Patienten zu einem Nephrologen zu schicken, wäre wenig zielführend.“
Einerseits ist eine rechtzeitige Facharztbehandlung entscheidend für die Lebensqualität des Patienten. Der Nephrologe kann Maßnahmen ergreifen, um die Dialyse hinauszuzögern. Andererseits sollte ein noch relativ gesunder Patient auch nicht übertherapiert werden, um ihm Aufwand und dem System Kosten zu ersparen.
Den richtigen Zeitpunkt für eine Facharztbehandlung im Verlauf einer Nierenerkrankung zu erkennen, ist Aufgabe des Hausarztes. Der Bundesmantelvertrag macht dazu folgende Vorgaben: Eine Überweisung soll erfolgen, wenn die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) unter 60 ml/min/1,72 m³ liegt (Stadium 3) oder wenn Komplikationen vorliegen, beispielsweise Blut im Urin.
Eigene Kriterien der DGfN für die Überweisung
Diese Kriterien halten Nephrologen aber für „sehr weit gefasst“, so Galle. „Denn ein Nierenfunktionsverlust ist auch eine normale altersabhängige Erscheinung.“ Viele ältere Menschen hätten eine GFR unter 60. „Alle diese Patienten zu einem Nephrologen zu schicken, wäre wenig zielführend.“
Viele Hausärzte sehen das offenbar ähnlich und überweisen nicht gleich jeden dieser Patienten. Dadurch habe sich aber eine gewisse „Laxheit“ im Umgang mit Nierenerkrankungen ausgebreitet, warnt Galle. Die Folge: Es fallen auch die Patienten durchs Raster, die sehr wohl schon einen Facharzt brauchen.
pflichtigkeit, einem Nephrologen vorgestellt.“
Die strengen Kriterien des Bundesmantelvertrages führen so paradoxerweise zu einer Unterversorgung bestimmter Gruppen. „Noch immer werden Patienten viel zu spät, oft erst unmittelbar vor der Dialysepflichtigkeit, einem Nephrologen vorgestellt.“ Es hätten jedoch Maßnahmen ergriffen werden können, die diesen Patienten die Dialyse noch einige Zeit hätten ersparen können.
Die DGfN hat daher nun selbst Kriterien entwickelt, wann Hausärzte überweisen sollten, und diese in einem „Praxisratgeber“ für die Kollegen zusammengefasst. Sie orientiert sich dabei an den neuen Stadien der chronischen Nierenerkrankung der internationalen Initiative Kidney Disease Improving Global Outcomes (KDIGO) [2]. Wichtigste Neuerung: Das bisherige Stadium 3 (GFR unter 60 ml/min/1,72 m³) wird aufgeteilt in 3a (unter 60 bis 45 ml/min/1,72 m³) und 3b (unter 45 bis 30 ml/min/1,72 m³).
Patienten im Stadium 3b sollen weiterhin alle überwiesen werden, diejenigen im Stadium 3a aber nur, wenn zusätzliche Komplikationen wie Hämaturie oder Albuminurie vorliegen. „Damit ist eine Überdiagnostik ausgeschlossen“, sagt Galle, „gleichzeitig ist aber sichergestellt, dass Patienten, die einer fachärztlichen Mitbehandlung bedürfen, rechtzeitig in nephrologische Behandlung kommen.“
Den Anstoß für die Reaktion der Fachgesellschaft gab eine Patientin
bildung und der DEGAM prüfen
und danach kommentieren.“
Der Ratgeber behandelt außerdem Sonderfälle, etwa was zu tun ist, wenn zusätzlich eine Hypertonie vorliegt. Er soll bundesweit an Nephrologen verschickt werden, die ihn dann an die Hausärzte in ihrer Region weitergeben. Die Idee zu dem Ratgeber stammt von einer Patientin: Sie bat ihren Nephrologen um Informationsmaterial für ihren Hausarzt.
Der Deutsche Hausärzteverband war an der Entwicklung des Ratgebers nicht beteiligt. Vorstandsmitglied Wolfgang Meunier wollte die Initiative gegenüber Medscape Deutschland noch nicht bewerten: „Wir werden den Ratgeber zusammen mit dem Institut für hausärztliche Fortbildung und der DEGAM prüfen und danach kommentieren.“
Etwa 10% der Bevölkerung leben mit einer Nierenerkrankung. Viele wissen aber nichts davon, da sie keine Symptome haben. Die DGfN rät deshalb jährlich zu einem Urintest beim Hausarzt. Besonders gefährdet sind Patienten mit Bluthochdruck oder Diabetes.