Laut Angaben der WHO sterben weltweit jährlich rund 1,6 Millionen Menschen an einer Pneumokokkeninfektion. Die Bakterien verursachen neben Sinusitis, Otitis media und Pneumonie auch schwere invasive Erkrankungen wie eine bakteriämische Pneumonie, Meningitis und Sepsis. Zum Schutz vor einer Infektion mit Streptococcus pneumoniae kann in Deutschland aktuell mit 2 verschiedenen Impfstofftypen geimpft werden.
Die STIKO empfiehlt die 13-valente Konjugatvakzine (PCV13) zur Immunisierung für alle Kinder bis 24 Monate oder solche mit einer Grunderkrankung vom vollendeten 2. Lebensjahr bis zum vollendeten 5. Lebensjahr. Erwachsene ab dem 60. Lebensjahr, ältere Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit bestimmten Grunderkrankungen sollten mit einer 23-valenten Polysaccharidvakzine (PPV23) geimpft werden.

Ein wesentlich besserer Schutz ließe sich wahrscheinlich erreichen, wenn besonders gefährdete Personengruppen nacheinander mit beiden Impfstoffen geimpft würden – wobei die Erstimpfung mit der Konjugatvakzine erfolgen sollte, schreibt Prof. Dr. Mathias Pletz vom Universitätsklinikum Jena jetzt in der Deutschen Medizinischen Wochenschrift [1]. „Nach derzeitigem Stand ist die sequenzielle Impfung (PCV13 gefolgt von PPV23) das Optimum an individuellem Impfschutz“, so Pletz in dem Kommentar.
Sequenzielle Impfung in den USA empfohlen
Ende des letzten und Anfang dieses Jahres hatte das US-amerikanische Advisory Committee on Immunization Practices (ACIP) eine solche sequenzielle Impfung zunächst für Erwachsene und dann auch für Kinder mit erhöhtem Risiko für Pneumokokkeninfektionen (z.B. Splenektomie, Cochleaimplantate, chronisches Nierenversagen sowie Immunsuppression) vorgeschlagen [2]. „Wir sollten den Amerikanern folgen, um unnötige Erkrankungen und Todesfälle auch in Deutschland zu vermeiden“, sagt Pletz im Gespräch mit Medscape Deutschland. Was ist der Hintergrund für diesen Vorschlag und wie kam es überhaupt zu den veränderten Impfempfehlungen?
Die Erklärung hierzu liefern die besonderen Eigenschaften, Vor- und Nachteile der verwendeten Impfstofftypen: Beim PCV13 sind die Polysaccharide aus der Kapsel von 13 der über 90 verschiedenen bekannten Pneumokokken-Serotypen jeweils an ein Protein gekoppelt. Durch diesen Trick werden die Konjugate von B-Zellen und Makrophagen aufgenommen, prozessiert und den T-Helferzellen präsentiert. Eine T-Zell-abhängige Immunantwort kommt in Gang, IgG-Antikörper und Gedächtniszellen bilden sich aus.
Die im PPV23 vorkommenden Polysaccharide repräsentieren 23 Serotypen und damit mehr als 90% der in den westlichen Ländern vorkommenden Pneumokokken. Das unreife Immunsystem des Kleinkindes reagiert nicht auf diesen Impfstoff. Er stimuliert hauptsächlich B-Zellen in der Milzrinde, T-Zellen werden nicht aktiviert. Dadurch entfacht diese Vakzine eher ein Strohfeuer denn einen langlebigen Schutz. Laut Untersuchungen sinkt die Antikörpermenge bereits einen Monat nach der Impfung wieder ab, ein immunologisches Gedächtnis wird nicht gebildet.
Auch wiederholte Impfungen mit PPV23 bieten hier keinen Ausweg. Im Gegenteil: Jede weitere Impfung schwächt die Antikörperantwort zusätzlich ab. Die Ursache hierfür liegt vermutlich in einer Erschöpfung des peripheren Pools an B-Gedächtniszellen. Der Impfstoff aktiviert bestehende Gedächtniszellen und treibt sie in die terminale Differenzierung, ohne jedoch für Nachschub an Gedächtniszellen zu sorgen.
Hyporesponsivität führte zu Änderung der Impfempfehlung
Dieses Phänomen der „Hyporesponsivität“ ist der Grund dafür, warum die STIKO 2009 die Empfehlung zurückgezogen hat, die PPV23-Impfung bei Erwachsenen alle 5 Jahre zu wiederholen. Zudem zeichnet es sich ab, dass PPV23 keinen Effekt auf die Häufigkeit von Pneumonien bei älteren Menschen hat. Daher wurde vor 5 Jahren in den Niederlanden eine placebokontrollierte, randomisierte Studie gestartet (CAPITA), in die 85.000 Menschen bis 2015 aufgenommen werden sollen. Diese Studie soll die Frage klären, ob der PCV13-Impfstoff die Inzidenz von Pneumokokken-Pneumonien bei Erwachsenen senken kann [3].
Dr. Elizabeth Clutterbuck und andere Mitarbeiter der Oxford Vaccine Study Group an der Universität von Oxford zeigten bereits vor einem Jahr, dass ein Konjugatimpfstoff gegen Pneumokokken auch bei Erwachsenen einen Anstieg von serotypspezifischen B-Gedächtniszellen auslösen kann [4]. Um nun die Tiefe der PCV13-Impfung mit der Breite der PPV23-Vakzine zu ergänzen, scheint es Fachleuten aus dem US-amerikanischen Komitee und auch Pletz sinnvoll, mit den beiden Vakzinen nacheinander zu impfen (das ACIP schlägt einen Abstand von 8 Wochen vor). Die PCV-Impfung könnte einen Priming-Effekt auf das Immunsystem ausüben, wovon die nachfolgende PPV23-Impfung profitiert.
„Die momentane Epidemiologie der Pneumokokken in der Schweiz weist darauf hin, dass eine solche sequenzielle Impfung zumindest für gewisse Risikogruppen sinnvoll sein könnte“, sagt Dr. Markus Hilty vom Institut für Infektionskrankheiten der Universität Bern. Um hier sicher zu gehen, müssten aber noch entsprechende klinische Studien ausgewertet werden, um impfspezifische Faktoren, wie zum Beispiel die Immunantwort oder auch Nebenwirkungen zu überprüfen, meint Hilty, der das nationale Pneumokokkenzentrum der Schweiz betreut.
Nach Angaben der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut waren in Deutschland in den Jahren 2009 und 2010 die Serotypen bei Menschen (ab 60 Jahren) mit invasiven Pneumokokkenerkrankungen so verteilt: Zu 82% wurden Bakterientypen isoliert, die in dem 23-valenten PPV23-Impfstoff, und zu 63% Typen, die im PCV13-Impfstoff enthalten sind [5]. Während die Sächsische Impfkommission (SIKO) seit 2012 auch die PCV13 für Erwachsenen empfiehlt (mit einer möglichen späteren Ergänzung durch PPV23) hält die STIKO bisher an ihren alten Empfehlungen fest. Man wolle erst einmal die Ergebnisse der CAPITA-Studie abwarten, sagt Pletz, der dem wissenschaftlichen Beirat des Robert Koch-Instituts angehört.
Zweifel an der Doppelimpfung
Doch es gibt es auch einige Zweifel, ob eine Doppelimpfung tatsächlich einen Mehrwert hat. Laut Clutterbuck ist nicht auszuschließen, dass sich der wichtige Pool an serotypischen B-Gedächtniszellen, der sich durch die vorangegangene PCV13-Impfung gebildet hat, durch die nachfolgende PPV23-Gabe wieder stark verringere. Damit würde die Immunität gegen die Pneumokokken insgesamt nicht gestärkt, sondern geschwächt.
Außerdem müsse beachtet werden, dass ein Impfschema unter Einbeziehung beider Impfstoffe durchaus problematisch in Bezug auf die Compliance und die entstehenden Kosten sein könnte, so Clutterbuck.