Barcelona – Es ist nicht der erste Hinweis dieser Art. Erneut hat eine aktuelle retrospektive Datenanalyse – diesmal aus Großbritannien – ergeben, dass Patienten mit Typ-2-Diabetes unter einer Behandlung mit Sulfonylharnstoffen ein erhöhtes Sterberisiko haben [1]. Verglichen wurden sie mit Patienten, die mit Metformin behandelt worden waren.
Der Hauptautor der Studie, Dr. Craig Currie, Professor für angewandte Pharmakoepidemiologie an der Cardiff Universität, hat diese bei einer Pressekonferenz während der Tagung der EASD (European Association for the Study of Diabetes) in Barcelona vorgestellt. Er konnte die Ergebnisse mit weiteren Auswertungen, etwa zur Sicherheit einer Kombination von Metformin mit Sulfonylharnstoffen bzw. mit DPP-4-Hemmern zusätzlich untermauern.
Basis seiner Analysen sind Daten des Clinical Practice Research Datalink (CPRD). Es handelt sich dabei um eine repräsentative Population, die rund 10% aller Patienten umfasst, die in britischen Praxen der Primärversorgung behandelt werden, berichtete Currie. Die Analysen erfolgten retrospektiv. Für potentielle Einflussfaktoren wie Alter oder Komorbiditäten sei so gut wie möglich korrigiert worden, erläuterte Currie.
In der Monotherapie-Auswertung verglich er über 10 Jahre die Mortalität von mehr als 15.687 Patienten unter einem Sulfonylharnstoff mit der Sterblichkeit von 76.811 Patienten, die Metformin erhielten. Insgesamt gab es 5.381 Todesfälle. Nach der Korrektur für mögliche Einflussfaktoren war die Sterberate unter Sulfonylharnstoffen immer noch um 58% höher als unter dem Biguanid (p<0,001).
Ein ähnliches Ergebnis erbrachte der Vergleich von knapp 34.000 Patienten unter einer Metformin/Sulfonylharnstoff-Therapie versus 7.864 Patienten, die Metformin plus einen DPP-4-Hemmer erhielten. Bei insgesamt 1.217 Todesfällen ergab sich – ebenfalls nach Adjustierung für andere Einflussfaktoren – unter der Kombination mit einem Sulfonylharnstoff ein um 35% erhöhtes Sterberisiko (p=0,01). Beide Studien waren allerdings von Bristol-Myers-Squibb (BMS) und Astra Zeneca finanziert, räumte Currie ein. Die beiden Firmen vertreiben gemeinsam den DPP-4-Hemmer Saxagliptin.
Dringende Neubewertung von Sulfonylharnstoffen gefordert
Doch schränkt dies nach Curries Meinung die Aussagekraft der Daten nicht ein. „Nach meiner Ansicht bedarf die Sicherheit der Sulfonylharnstoffe einer dringenden Bewertung durch die Gesundheitsbehörden“, betonte er in Barcelona. Aus den Beobachtungsdaten ließen sich zwar keine endgültigen Schlussfolgerungen ziehen. „Es ist sicher kein unwiderlegbarer Beweis, aber die Regulierungsbehörden und die wissenschaftlichen Gesellschaften wie die EASD sollten diese Hinweise ernst nehmen“, sagte er. „Sie sollten Studien unternehmen, um dies zu prüfen; aber im Moment macht dies niemand.“
Auch der Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie, Prof. Dr. Helmut Schatz aus Bochum, verweist darauf, dass solche Datenbankauswertungen derzeit „en vogue“, aber in ihrer Aussagekraft eher eingeschränkt seien [2]. „Sie lassen sich nach einer Sammelperiode von Daten über Statistikprogramme relativ einfach erstellen, müssen aber zwangsläufig an der Oberfläche bleiben und können nicht in die Tiefe gehen, da die letztlich wichtigen Daten meist nicht vorliegen. Sie sind somit lediglich als ‚hypothesen-generierend‘ anzusehen“, schreibt er in einem aktuellen Blog zum EASD [2].
Currie verwies in Barcelona auf eine Reihe weiterer ähnlicher Analysen, die bereits Hinweise auf ein erhöhtes Sterberisiko unter Sulfonylharnstoffen ergeben haben. Darunter auch eine Auswertung der UKPD (United Kingdom Prospective Diabetes)-Studie. Sie hatte in einer Untergruppe adipöser Patienten, die Metformin plus einen Sulfonylharnstoff erhalten hatten, ebenfalls Hinweise auf eine schlechtere Prognose dieser Patienten ergeben. Verschiedene Beobachtungsstudien hatten dies in der Vergangenheit bestätigt.
Manche Gesundheitsbehörden fordern 25% der Verordnungen mit Sulfonylharnstoffen

„Es gab seit UKPDS rund 25 Veröffentlichungen – allerding mit meist kleineren Fallzahlen, die ein solches Signal zeigen“, bestätigt Prof. Dr. Andreas Pfeiffer, Charité Berlin und Deutsches Institut für Ernährungsforschung (DIfE) in Bergholz-Rehbrücke, gegenüber Medscape Deutschland. Trotzdem, so kritisiert er, gebe es nach wie vor Gesundheitsbehörden, die z.B. forderten, dass 25% der Verordnungen mit Sulfonylarnstoffen erfolgen. „Und das Argument ist der niedrige Preis.“ Er selbst verordne diese Antidiabetika nicht mehr, „aber wir sind als universitäre Einrichtung in einer besonderen Situation.“
Studien wie die aktuell beim EASD vorgestellte begrüße er daher, sagte Pfeiffer. Sie lieferten zwar keine endgültigen Beweise. Aber: „Sie erschweren es den Behörden, solche Therapien weiterhin einzufordern, denn sie liefern konkrete Zahlen zur Mortalität“, argumentiert er. Für die Autoren von Leitlinien ebenso wie für die verordnenden Ärzte seien solche Daten von Bedeutung, um die Verordnung der neuen, teureren Medikamente zu begründen.
Pfeiffer räumte ein, dass natürlich auch die neuen Substanzen wie die DPP-4-Hemmer zunächst ihre Sicherheit belegen müssen. In der SAVOR-TIMI 33 Studie habe Saxagliptin dies gezeigt – bei mehr als 16.000 Patienten mit Typ-2-Diabetes und Arteriosklerose hat der DPP-4-Hemmer die Mortalität nicht erhöht.
Was würde Pfeiffer nun für Patienten als Alternative empfehlen, die Metformin nicht nehmen können? Pfeiffer: „Genau dies ist die Frage, die die Gesundheitsbehörden beantworten müssen. Solche Studien wie die vorgestellte können hier Druck ausüben, damit diese Frage beantwortet wird. Es ist vor allem eine politische Frage, was wir bereit sind zu bezahlen.“ Langfristig, so ist er überzeugt, zahlt sich die teurere Behandlung aus.