Kortikosteroide bei Rheuma: „Es lohnt, um jedes Gramm zu kämpfen.“

Sonja Böhm | 25. September 2013

Autoren und Interessenkonflikte

Mannheim – Es kann so einiges schief laufen bei der Kortisontherapie der rheumatoiden Arthritis (RA). Denn zum einen gilt es, die Zurückhaltung bei der Behandlung nicht zu weit zu treiben. Als beeindruckendes Beispiel einer unzureichenden Behandlung demonstrierte Prof. Dr. Frank Buttgereit, Charité – Universitätsmedizin Berlin, bei seinem Vortrag während des Rheumatologenkongresses in Mannheim  das Bild einer Kopfhautnekrose bei einem Patienten mit Arteriitis temporalis und Polymyalgia rheumatica. Zum anderen zeigte er das typische Beispiel einer RA-Patientin mit Cushing-Syndrom, die zu lange und zu hoch dosiert ein Steroid erhalten hatte. Eindeutig gilt es, das richtige Maß dazwischen zu finden – doch wie?

Die Leitlinien der European League Against Rheumatism (EULAR) fordern, regelmäßig zu prüfen, ob die Glukokortikoid-Dosis reduziert werden kann. Buttgereit drückte es plastischer aus: „Es lohnt sich, um jedes Gramm zu kämpfen. Jedes Gramm, das eingespart werden kann, ist ein gutes Gramm! Aber auch jedes Gramm, das mehr gegeben wird – und für die Krankheitskontrolle tatsächlich gebraucht wird – ist ein gutes Gramm!“

„Jedes Gramm, das eingespart werden kann, ist ein gutes Gramm! Aber auch jedes Gramm, das mehr gegeben wird – und für die Krankheitskontrolle tatsächlich gebraucht wird – ist ein gutes Gramm!“
Prof. Dr. Frank Buttgereit

Mögliche Fehlerquellen gibt es viele bei der Kortisontherapie. Dass zu hoch dosiert und zu lange therapiert wird, ist nicht so selten. Dies liegt auch daran, so Buttgereit, dass Strategien zur Einsparung von Glukokortikoiden in der Praxis zum Teil nur inkonsequent umgesetzt werden. Manchmal stimmt schlicht die Indikation für die Steroidbehandlung nicht. Ein andermal werden Patienten nicht ausreichend beraten bzw. aufgeklärt, dann mangelt es am entsprechenden Monitoring von unerwünschten Effekten oder es wird auf solche Nebenwirkungen nicht adäquat reagiert. Oder Glukokortikoide werden aus Angst vor den Nebenwirkungen gar nicht oder zu niedrig dosiert eingesetzt …. Für alle diese Fehlerquellen erläuterte Buttgereit in Mannheim, was die aktuellen Leitlinien empfehlen und gab zudem praktische Handlungstipps.

Allerdings: Schon bei der ersten entscheidenden Frage – Wie lange sollte bei RA eine begleitende Glukokortikoidtherapie erfolgen? – sind sich die Experten nicht wirklich einig. Die aktuelle Leitlinien-Empfehlung lautet: Glukokortikoide sollten nur als Brückentherapie eingesetzt werden. Dies bedeutet eine initiale Kurzzeittherapie mit einer anschließenden raschen Dosisreduktion: „so rasch wie klinisch möglich“.

Doch eindeutig, so Buttgereit, wirken die Glukokortikoide nicht nur anti-entzündlich, sondern auch krankheitsmodifizierend. Dies nicht nur in der Anfangsphase zur Überbrückung, bis die Basistherapeutika wirken. Auch in der Kombination mit den DMARDs (Disease Modifying Anti Rheumatic Drugs) tragen sie dazu bei, die Gelenkdestruktion aufzuhalten. Dabei sind auch niedrige Dosierungen (unter 10 mg Prednisolon-Äquivalent) wirksam, höhere Dosierungen wirken jedoch rascher. Eben wegen dieser günstigen „strukturerhaltenden Effekte“empfehlen einige Kollegen eine „Langzeitbrückentherapie“, so Buttgereit. Bei dieser werden Steroide mindestens 2 Jahre in niedriger Dosis fortgeführt. Unter der niedrigen Dosis ist dann auch dementsprechend das Nebenwirkungsrisiko gering – aber trotzdem vorhanden.

Nicht zu rasch die Kortikoide reduzieren

Darauf wies auch Prof. Dr. Gert E. Hein, Rheumatologe am Zentrum für ambulante Medizin aus Weimar, in Mannheim hin. Schon bei Kortikosteroid-Dosen unter 2,5 mg Prednisolon-Äquivalent pro Tag kann z.B. eine Osteoporose auftreten, betonte er. Und: Steroide können die Risiken anderer Arzneimittel deutlich steigern; z.B. potenzieren sie die Immunsuppression durch gleichzeitig verabreichte Biologika und damit die Infektanfälligkeit.

Und um es noch komplizierter zu machen: Zwar wird in der aktuellen Leitlinie eine „rasche“ Reduktion der Steroiddosis empfohlen, doch zu rasch sollte man dabei auch nicht vorgehen. Denn dann drohe das Scheitern, mahnte Buttgereit. „Eine Dosisreduktion von 5 auf 4 mg/Tag sind immerhin 20 Prozent  – und das ist schon ziemlich viel“, gab er zu bedenken. Sein Tipp für die Praxis: „Ich reduziere dann zunächst vielleicht nur an zwei Tagen der Woche, etwa mittwochs und sonntags von fünf auf vier Milligramm – auch das kann für die Nebenwirkungen bereits einen Riesenunterschied ausmachen!“

Um das Toxizitätsrisiko der Kortisongabe möglichst gering zu halten, lässt sich bereits einiges vor dem Therapiestart tun, erläuterte der Berliner Rheumatologe: So rät die Leitlinie, Komorbiditäten und Risikofaktoren für unerwünschte Effekte der Glukokortikoide vor Behandlungsbeginn zu erfassen und falls möglich zu behandeln. Als Beispiele, worauf dabei zu achten ist, nannte Buttgereit arterielle Hypertonie, Diabetes, peptische Ulzera, Frakturen in der Anamnese, Katarakt oder Glaukom, chronische Infektionen, Dyslipidämien oder die Komedikation mit NSAR.

„Auch der Patient sollte die Risiken kennen – und was man dagegen tun kann.“
Prof. Dr. Frank Buttgereit

Während der Behandlung sollte zudem ein Monitoring auf Nebenwirkungen der Steroidbehandlung erfolgen. Sind die Patienten entsprechend aufgeklärt, können sie ihren Arzt dabei unterstützen. Zu achten gilt es etwa auf Veränderungen des Körpergewichtes oder des Blutdrucks, auf periphere Ödeme, eine kardiale Insuffizienz, die Serumlipide und Glukosewerte sowie den Augeninnendruck. Die Intensität des Monitoring ist dabei natürlich abhängig von Dauer und Dosis der Glukokortikoidtherapie.

An Osteoporoseschutz denken

Bei eine Prednisolon-Dosis von 7,5 mg/Tag oder höher und einer Therapiedauer von mehr als 3 Monaten ist schließlich auch die prophylaktische Gabe von Vitamin D und Calcium zum Osteoporoseschutz angezeigt. Je nach Risikofaktorenkonstellation und gemessener Knochendichte kann auch die Gabe von Bisphosphonaten in Erwägung gezogen werden, ergänzte Hein.

Für diejenigen Patienten, die zusätzlich zu den Glukokortikoiden NSAR erhalten, ist auch ein entsprechender Magenschutz indiziert, etwa Protonenpumpenhemmer (PPI), Misoprostol oder auch die Umstellung auf einen COX-2-Hemmer. Um das 4- bis 5-Fache steige das Ulkusrisiko unter der NSAR/Kortisontherapie – „und ein bestehendes Ulkus heilt auch viel schlechter“, sagte Buttgereit.

Wichtig für die Praxis sei vor allem, mit dem Patienten zu sprechen, warum die Glukokortikoide notwendig sind und warum z.B. auch eine hohe Dosierung notwendig ist. „Auch der Patient sollte die Risiken kennen – und was man dagegen tun kann.“

Buttgereits Fazit: Absolute Kontraindiktionen – nämlich eine echte Glukokortikoid-Allergie – sind selten: „Ich habe noch niemals eine gesehen“. Dagegen sind relative Kontraindikationen, auf die geachtet werden muss, nicht so rar und müssen auf jeden Fall beachtet werden. Dazu zählen: akute Infektionen – ob bakteriell, viral oder mykotisch –, aber auch eine floride Tuberkulose, Glukokortikoid-induzierte Psychosen, ein schwer einstellbares Glaukom, eine schwere Osteoporose, ein florides Ulkus ventrikuli bzw. duodeni sowie ein unzureichender Infektionsschutz durch Impfung.

Referenzen

Referenzen

  1. 41. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) gemeinsam mit der 27. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Orthopädische Rheumatologie (DGORh) und der 23. Jahrestagung der Gesellschaft für Kinder- und Jugendrheumatologie (GKJR) in Heidelberg und Mannheim
    http://www.dgrh-kongress.de/
  2. S1-Leitlinie der DGRh:
    http://dgrh.de/fileadmin/media/Praxis___Klinik/Leitlinien/2012/leitlinie_s1__medikamentoese_therapie_ra.pdf

Autoren und Interessenkonflikte

Sonja Böhm
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Buttgereit F, Hein GE: Es liegen keine Erklärungen zu Interessenkonflikten vor.

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