Rationale Antibiose in der Pädiatrie: „Manche Eltern lieben Antibiotika einfach zu sehr“

Petra Plaum | 17. September 2013

Autoren und Interessenkonflikte

Düsseldorf — In Kinderarztpraxis und Kinderklinik könnte weit häufiger auf einen Antibiotikaeinsatz verzichtet werden, als das bisher Usus ist. Das war die zentrale Aussage des Symposiums „Pharmakotherapie – Rationaler Einsatz von Antibiotika in der Pädiatrie“ im Rahmen der 109. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) in Düsseldorf [1].

„'Wait and see' ist möglich – allerdings nur, wenn das Kind nur mäßige Beeinträchtigungen hat.“
Dr. Franziska Schaaff

Sowohl die Infektiologin Dr. med. Franziska Schaaff, die in eigener Gemeinschaftspraxis in Eckental tätig ist, als auch PD Dr. med. Markus Hufnagel, Oberarzt in der Kinderklinik des Universitätsklinikums in Freiburg, nannten das Beispiel Pneumonien. „Häufig sind sie viral“, merkte Schaaff an. „’Wait and see’ ist möglich – allerdings nur, wenn das Kind nur mäßige Beeinträchtigungen hat.“ Diese Entscheidung hänge hinge stets von Alter und Allgemeinzustand des Kindes und der Compliance Mitarbeit der Eltern ab. Und: „Bei ausbleibender Besserung gibt es eine Re-Evaluation.“


Dr. Franziska Schaaff

Hufnagel zitierte 2 Studienergebnisse aus Pakistan, deren Ergebnisse Kollegen in Kinderkliniken zu denken geben sollten: Eine Studie mit 873 Babys und Kleinkindern mit leichten Pneumonien kam zu dem Resultat, dass ein Nicht-Ansprechen auf eine Placebogabe selten war (8,3 %) – fast ebenso selten wie ein Therapieversagen nach Amoxicillintherapie (7,2%) [2].

Die zweite Studie desselben Erstautors belegte, dass eine intravenöse Amoxicillintherapie im Krankenhaus häufiger mit einem Therapieversagen assoziiert war als eine orale Amoxicillingabe im Elternhaus der behandelten Kinder. 2.037 Babys und Kleinkinder mit schweren Pneumonien wurden in die Studie aufgenommen. Zum Therapieversagen kam es bei 7,5% der zuhause oral behandelten und, bei 8,6% der im Krankenhaus intravenös behandelten Kinder [3].


PD Dr. med. Markus Hufnagel

Nicht gerechtfertigt und auch nicht harmlos

Sind intravenöse Therapien also oft nicht gerechtfertigt, kann man sich die damit verbundenen Belastungen und Kosten folglich sparen? Dazu gab Hufnagel zu bedenken: „Durchschnittlich jedes vierte Kind auf allgemeinpädiatrischen Stationen in Deutschland wird mit Antibiotika behandelt, wobei die Quote in einigen Kliniken bei zehn Prozent liegt, in anderen bei 40 Prozent“, berichtete der Kliniker aus Freiburg. Vorschnelle, ganz unnötige, falsche oder zu breite Antibiotikagabe ist keineswegs harmlos, hob er hervor: „Jede Antibiotikatherapie verursacht Resistenzen.“

„Durchschnittlich jedes vierte Kind auf allgemeinpädiatrischen Stationen in Deutschland wird mit Antibiotika behandelt.“
PD Dr. med. Markus Hufnagel

Und manch eine bringt bisweilen unerwünschte Wirkungen mit sich, Cefaclor zum Beispiel Hautausschläge, wie eine Folie zeigte, die Hufnagel bedauernd kommentierte: „Dabei schmeckt es Kindern am besten.“ Als Beispiele für Erkrankungen, die nicht unbedingt eine Antibiotikagabe erfordern, nannte Schaaff zudem Sinusitis, Otitis media, Pharyngitis, Tonsillitis und Haut- bzw. Weichteilinfektionen.

Zielgerichtet therapieren

PD Dr. Rolf Beetz, Oberarzt am Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin an der Kinderklinik und Kinderpoliklinik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, zeigte auf, wie Antibiotika in der Prophylaxe sinnvoll einzusetzen sind, z. B. nach Tier- und Menschenbissen, bei Infektionskrankheiten im persönlichen Umfeld oder perioperativ.
„Was den Umgebungsverdacht und Angst vor einer Ansteckung betrifft – z. B. mit Neisseria meningitidis, Haemophilus influenzae oder Diphterie – wäre es für die Kinder oft besser, sie wären geimpft“, gab Beetz zu bedenken, der gemeinsam mit Hufnagel den Vorsitz innehatte. Allgemein riet er Pädiatern, abzuwägen: Ist die Infektionsgefahr nach dem einem Biss oder bei diesem einem Eingriff wirklich so groß? Und wie verändert womöglich eine längere prophylaktische Antibiotikaeinnahme, z. B. um Ansteckungen zu verhindern, die Darmflora der Kinder?


PD Dr. Rolf Beetz

Warum Antibiotika in der Kinder-Onkologie in großen Mengen zum Einsatz kommen, erläuterte PD Dr. Hans-Jürgen Laws, Oberarzt der immunologischen Ambulanz, Klinik für Kinder-Onkologie, Hämatologie und Klinische Immunologie der Uniklinik Düsseldorf: „Die Patienten haben zu dem Zeitpunkt, an dem wir sie sehen, kein Immunsystem.“

Infektionen kosten noch immer viele kleine Krebspatienten das Leben, auch wenn die Sterblichkeit in den letzten Jahrzehnten stark gesunken ist. Laws zeigte auf, wie eine prophylaktische Antibiotikatherapie als Begleitmedikation zu einer Chemotherapie aussieht und wie das in der pädiatrischen Onkologie so häufige Fieber unklarer Herkunft (FUO) am besten bekämpft werden kann. Es komme entscheidend darauf an, dass die Medikation dann auch verlässlich wirke, sagte Laws.

Das DGPI-Handbuch hilft bei der Therapieentscheidung

Ergänzend zu eigenen Erfahrungen wiesen die Referenten das Publikum auch auf die Informationen aus dem gerade erschienenen DGPI-Handbuch hin, das u. a. konkrete Medikationsempfehlungen für ambulant wie nosokomial erworbene Infektionen gibt [4].

Nicht zuletzt betonten die Experten in Düsseldorf, wie sehr es auf die Unterstützung der Eltern ankomme. Eltern tragen Therapieentscheidungen mit. Sie sind es auch, die bei einer „Wait and see“-Strategie zuhause ihr Kind genau im Auge behalten müssen und auf dem Weg zur Gesundung begleiten – mit Geduld und passenden supportiven Maßnahmen. Außer Antibiotika gibt es ja noch Hausmittel, Schmerzmedikamente und zahlreiche andere Therapeutika. „Manche Eltern lieben Antibiotika einfach zu sehr“, gab Schaaff auf Rückfrage von Medscape Deutschland zu bedenken.

„Ich gebe den Eltern ein Rezept für ein Antibiotikum mit und bitte sie, es nur dann in der Notfalldienstapotheke zu besorgen, falls der Zustand des Kindes sich nicht rasch bessert oder sogar verschlechtert.“
Dr. Franziska Schaaff

Mitunter können Eltern ihr Kind nicht dazu bringen, ein Antibiotikum einzunehmen, weil es trotz des besten Wirkprofils einen unangenehmen Geschmack hat oder mehrmals täglich genommen werden muss. Auf die Eltern-Compliance kommt es nicht zuletzt bei der Entscheidung für oder gegen Antibiotika bei Erkrankungen mit möglicherweise bakterieller Ursache an, wenn Kinder abends oder vor dem Wochenende in der Praxis vorgestellt werden und der Arzt sie am nächsten Tag nicht noch einmal einbestellen kann.

„Wir müssen immer ad hoc entscheiden, was nicht einfach ist“, so Schaaff. Für sie ist es die Frage: „Kann ich den Eltern vertrauen, und lässt der Zustand des Kindes ein Zuwarten zu?“ Lautet die Antwort ja, „gebe ich den Eltern ein Rezept für ein Antibiotikum mit und bitte sie, es nur dann in der Notfalldienstapotheke zu besorgen, falls der Zustand des Kindes sich nicht rasch bessert oder sogar verschlechtert.“ Häufig ergebe die Nachfrage am nächsten Tag: Alles bestens. Das Kind erholt sich – ganz ohne die Intervention mit Amoxicillin, Penicillin und Co.

Referenzen

Referenzen

  1. Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ): Jahrestagung 2013 – 12. bis 15. Sept. 2013 Düsseldorf.
    http://www.dgkj.de/veranstaltungen/dgkj_kongresse/
  2. Hazir T, et al: Clin Infect Dis 2011;52(3):293-300
    http://dx.doi.org/10.1093/cid/ciq142
  3. Hazir T, et al: Lancet 2008;371(9606):49-56
    http://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(08)60071-9/abstract
    http://dx.doi.org/10.1016/S0140-6736(08)60071-9
  4. Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) (Hg.): Handbuch 6. Auflage, Thieme-Verlag 8/2013, ISBN 978-3-13-144716-6

Autoren und Interessenkonflikte

Petra Plaum
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Schaaff F, Hufnagel M, Beetz R, Laws H-J:Es liegen keine Erklärungen zu Interessenkonflikten vor
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