Stillenden Müttern, die fürchten, nicht ausreichend Milch für ihr Baby zu haben, wird auch heute noch geraten, durch das Trinken von Bier ihre Milchmenge zu steigern. Und das, obwohl bekanntermaßen der Alkohol innerhalb einer Stunde nach dem Genuss die Muttermilch und damit den Säugling erreicht. Dieser reagiert nicht nur wesentlich empfindlicher, weil seine Organe noch nicht ausgereift sind, sondern auch, weil die Aktivität der Alkoholdehydrogenase, die den Alkohol im Körper abbaut, niedriger ist.
Einige Stillmütter greifen aus diesem Grund zu alkoholfreien Produkten. Diese enthalten allerdings einen Restalkoholgehalt, der in der Regel 0,5 Volumenprozent, in Frankreich und Italien aber auch bis zu 1,2% betragen kann. Laut einer Studie von Dr. Claudia Schneider und Kollegen vom Institut für Forensische Medizin am Universitätsklinikum Freiburg kann der Genuss von alkoholfreiem Bier dennoch als harmlos für den Säugling eingestuft werden.
Alkoholfreies Bier für die stillende Mutter?
Wie sie jetzt im Journal Breastfeeding Medicine berichten, ließ sich nach dem einmaligen Konsum von eineinhalb Litern alkoholfreiem Bier nur bei 2 von 15 Testmüttern Alkohol in geringen Mengen (0,0021 g/l) in der Muttermilch nachweisen [1]. Bei allen anderen Frauen lag die Alkoholkonzentration unterhalb der Nachweisgrenze von 0,0006 g/l.

Milchproben waren direkt nach dem Biertrinken sowie eine und 3 Stunden später genommen worden. Nach den Berechnungen der Freiburger Mediziner würde ein Säugling mit 100 ml Milch daher maximal 0,21 mg Ethanol aufnehmen. Die Ärztin Gudrun von der Ohe vom Europäischen Institut für Stillen und Laktation in Hamburg überzeugt das Ergebnis dieser Untersuchung nicht. Die untersuchte Gruppe war klein und nicht zuletzt wurde die Studie finanziell von der Firma Erdinger Weißbräu unterstützt. „Um sicher zu gehen, müsste das Ergebnis nun von unabhängiger Stelle überprüft werden“, sagt die Still- und Laktationsberaterin.
Skeptisch beurteilt die Hamburger Ärztin auch eine weitere Studie, der zufolge alkoholfreies Bier sogar semitherapeutische Wirkung haben soll, weil es die antioxidativen Eigenschaften der Muttermilch verbessere. Wie Dr. Pilar Codoñer-Franch und ihre Kollegen von der Universität Valencia, Spanien, jetzt ebenfalls im Journal Breastfeeding Medicine schreiben, sei das Baby nach der Geburt stärker oxidativem Stress ausgesetzt als noch im Mutterleib [2].
Um Schäden an Molekülen und Zellen durch reaktive Sauerstoffradikale abzuwenden, ist die Muttermilch aber ohnehin mit zahlreichen Antioxidantien ausgestattet. Dazu zählen Enzyme wie Katalase und Sauerstoffdismutase, aber auch Vitamine, Mineralstoffe (Selen) und das Coenzym Q10.
Wo liegt der Nutzen antioxidativer Eigenschaften?
Wie die spanischen Ärzte nun herausgefunden haben, lässt sich der Gehalt solcher Schutzmoleküle offenbar durch die Ernährung der Mutter beeinflussen. Tranken 30 der insgesamt 60 Frauen bei der prospektiven, klinischen Studie über einen Zeitraum von einem Monat täglich 660 ml alkoholfreies Bier, verbesserten sich die antioxidativen Eigenschaften ihrer Milch im Laufe der Zeit im Vergleich zu den 30 anderen Frauen, die kein Bier tranken.
Im Vergleich zur Kontrollgruppe gab es im Blut der Bier trinkenden Mütter zudem weniger Anzeichen für oxidative Schäden. So war zum Beispiel nur fast halb so viel 8-Hydroxydesoxyguanosin messbar, ein Biomarker für oxidativen Stress. Ob und in welchem Umfang der Säugling von diesem Effekt profitiert, konnten die spanischen Ärzte allerdings nicht zeigen. In den untersuchten Urinproben der Babys ließen sich bezogen auf Biomarker für oxidative Schäden keine Unterschiede zwischen den beiden Studiengruppen messen.
Was also ist der Nutzen einer solchen Mehreinnahme von Antioxidantien? „Antioxidativ klingt immer gut – aber brauchen Mutter und Kind das wirklich in dieser Phase?“ fragt von der Ohe. Fragwürdig ist auch, warum die Ärzte für ihre Untersuchung gerade alkoholfreies Bier und nicht ein anderes Lebensmittel genommen haben, das reich an Antioxidantien ist. Wahrscheinlich fiel die Wahl auf das Bier, weil es allgemein in einem positiven Zusammenhang zum Stillen, eben zur Steigerung der Milchmenge, gesehen wird. Es gibt jedoch noch keine systematische, klinische Studie, die die Wirkung von Bier auf die Milchproduktion untersucht hat [3].
Untersuchungen an Mensch und Tier deuten vielmehr darauf hin, dass Säuglinge selbst nach einem moderaten Alkoholgenuss der Mutter weniger Milch trinken. Die Ursache hierfür könnte ein veränderter Geschmack der Milch sein. Und auch alkoholfreies Bier wirkt sich nachweislich auf Geschmack und Geruch der Milch aus.
Unter Einwirkung von Alkohol könnten sich außerdem der Milcheinschuss bei der Frau oder auch der Saugreflex des Kindes verändern und sich dadurch die getrunkene Milchmenge verringern. Trinkt das Baby weniger, bleibt mehr Milch in der Brust zurück. Was der Frau das Gefühl gibt, mehr Milch zu haben, weil sie nicht genau abschätzen kann, wie viel das Kind tatsächlich an der Brust getrunken hat.
Tipps zur Milchsteigerung sind eine Frage der Kultur
Während in einigen Regionen Europas Bier zur Steigerung der Milchmenge empfohlen wird, rät man in China zu Hühnersuppe und in Mexiko zu „Pulque“, einem vergärten Agavensaft. All diese Tipps steigerten zwar das Wohlbefinden der Mütter, das Grundproblem bei einem Milchmangel liege aber ganz woanders, sagt von der Ohe. „Eine Frau muss angeleitet werden, wie und wie häufig sie das Kind anlegen sollte“, sagt die Stillfachfrau.
Gerade die ersten Tage und besonders die ersten 24 Stunden nach der Geburt seien entscheidend. Laufe hier etwas nicht so gut, bekämen die Mütter später häufig Tipps, welche Kraftnahrung oder Getränke sie zu sich nehmen sollten. Mit dem Ergebnis, dass nicht unbedingt die Milchmenge steige, sondern vor allem das Gewicht der Frau.