Amsterdam – Die Hoffnung, mit den neuen Inkretin-basierten Antidiabetika bei Patienten mit Typ-2-Diabetes nicht nur den Blutzucker, sondern auch das hohe kardiovaskuläre Risiko dieser Patienten zu senken, scheint sich nicht zu erfüllen. Beim Kongress der European Society of Cardiology (ESC 2013) in Amsterdam sind jetzt die Ergebnisse zweier großer Placebo-kontrollierter randomisierter Doppelblindstudien vorgestellt worden [1].
Keiner der beiden getesteten Di-Peptidyl-Peptidase 4 (DPP-4)-Hemmer, weder Saxagliptin (Onglyza®, Bristol-Myers Squibb) noch Alogliptin (TakedaPharma; Nesina ® – zugelassen in den USA, Vipidia® – von der EMA zur Zulassung empfohlen), reduzierte in diesen Studien die kardiovaskuläre Ereignisrate – dies obwohl der HbA1c-Wert unter der Therapie mit den beiden Antidiabetika jeweils niedriger war als in der Vergleichsgruppe. Die Ergebnisse wurden parallel zum Kongress im New England Journal of Medicine veröffentlicht [2, 3].
Allerdings waren auch beide Studien – SAVOR-TIMI 53 (Saxagliptin Assessment of Vascular Outcomes Recorded in Patients with Diabetes Mellitus) und EXAMINE (Examination of Cardiovascular Outcomes with Alogliptin versus Standard of Care in Patients with Type 2 Diabetes Mellitus and Acute Coronary Syndrome) – auf Nicht-Unterlegenheit ausgelegt, betonte Prof.Dr. Deepak Bhatt, Brigham and Women’s Hospital in Boston, USA, bei der Präsentation von SAVOR-TIMI 53. Denn beide Untersuchungen gehören zu den kardiovaskulären Phase-4-Sicherheitsendpunktsstudien, die von der US-amerikanischen Zulassungsbehörde FDA als Reaktion auf den Rosiglitazon-Skandal inzwischen eingefordert werden. Diesen Nachweis der kardiovaskulären Sicherheit sehen auch beide Studienteams mit den aktuellen Ergebnissen nun erbracht. Mehr jedoch auch nicht.
Eine frühere, gepoolte Analyse hatte mehr erwarten lassen
Mehr hatte man sich allerdings erwartet. Bhatt verwies auf eine gepoolte Analyse von Phase-2b/3-Studien mit Saxagliptin. Diese hatte eine um mehr als 56% reduzierte kardiovaskuläre Ereignisrate unter Saxagliptin im Vergleich zu den Kontrollgruppen ergeben (Hazard Ratio: 0,44, Konfidenzintervall: 0,24-0,82). Doch handelte es sich dabei insgesamt nur um 41 Ereignisse.
An der internationalen SAVOR-TIMI 53-Studie hatten nun nahezu 16.500 Typ-2-Diabetespatienten mit kardiovaskulärer Vorerkrankung bzw. hohem kardiovaskulärem Risiko teilgenommen. Sie erhielten entweder Saxagliptin (5 mg pro Tag, bei eingeschränkter Nierenfunktion 2,5 mg/Tag) oder Placebo; dies jeweils zusätzlich zu ihrer antidiabetischen und kardiovaskulären Basistherapie.
Primärer Endpunkt der Studie war die Kombination von kardiovaskulärem Tod, Herzinfarkt oder ischämischem Schlaganfall. Für den wichtigsten sekundären Endpunkt wurde diese Kombination noch um Hospitalisierungen wegen Herzinsuffizienz, instabile Angina oder koronare Revaskularisierung erweitert.
„Überraschender“ Befund: mehr Hospitalisierungen wegen Herzinsuffizienz unter Saxagliptin
Im primären Endpunkt ergab sich mit einer Ereignisrate von 7,3% unter Saxagliptin und 7,2% unter Placebo über 2 Jahre kein Unterschied (HR: 1,0, 95%-KI: 0,89-1,12; p<0,001 für Nicht-Unterlegenheit). Dies galt auch für den wichtigsten sekundären Endpunkt, hier betrugen die Ereignisraten unter Saxagliptin 12,8% und unter Placebo 12,4% nach 2 Jahren. „Überraschend“, so Bhatt, war allerdings der Befund, dass unter Saxagliptin die Rate an Hospitalisierungen wegen einer Herzinsuffizienz signifikant erhöht war (3,5 vs. 2,8% in 2 Jahren, p=0,007). „Dieser unerwartete Befund bedarf weiterer Untersuchungen“, sagte er in Amsterdam.
Ansonsten boten die Studienergebnisse keine weiteren Überraschungen: Die Blutzuckerkontrolle war unter Saxagliptin im Schnitt besser als unter Placebo. Mehr Patienten erreichten einen HbA1c-Wert unter 7,0%. Der Bedarf für eine zusätzliche Insulintherapie und insgesamt eine weitere Intensivierung der antidiabetischen Behandlung war geringer.
Saxagliptin hatte zudem einen günstigen Einfluss auf mikrovaskuläre Parameter, berichtete Bhatt. So besserte sich eine Mikroalbuminurie häufiger und verschlechterte sich seltener als in der Placebogruppe. Hypoglykämien waren insgesamt unter Saxagliptin häufiger, doch die Zahl von Hospitalisierungen wegen Unterzuckerungen war in beiden Therapiearmen ähnlich gering.
Keine Auffälligkeiten fanden sich nach Angaben von Bhatt beim Infektionsrisiko, bei Leberfunktionsparametern, Krebserkrankungen, Pankreatitis und Pankreaskarzinomen.
„Beruhigende“ Daten hinsichtlich der kardiovaskulären Sicherheit
Das Ergebnis von SAVOR-TIMI 53 mache einmal mehr die Bedeutung großer Endpunktstudien deutlich, sagte Bhatt: „Diese große kardiovaskuläre Endpunktstudie hat neue Standards für die Sicherheitsprüfung von Antidiabetika gesetzt!“ Dass es keinerlei Hinweise auf ein erhöhtes Infarktrisiko unter dem Wirkstoff gegeben habe, sei „beruhigend“. Und er wollte nicht ausschließen, dass sich längerfristig die moderat bessere Blutzuckereinstellung unter Saxagliptin doch noch in einem besseren kardiovaskulären Outcome auszahlt.
Studienkommentator Prof. Dr. Michel Komajda, ehemaliger ESC-Präsident und Kardiologe an den Groupe Hospitalier Pitié Salpêtrière in Paris, wies darauf hin, dass sich die Studienteilnehmer bereits in sehr fortgeschrittenen Stadien sowohl ihres Diabetes als auch ihrer kardiovaskulären Erkrankung befanden. Die mittlere Diabetesdauer betrug 12 Jahre, rund 40% hatten eine Insulinbehandlung, 80% der Teilnehmer hatte bereits ein kardiovaskuläres Ereignis erlitten.
Unter diesen Voraussetzungen sah auch er in der Studie „eine positive Botschaft, was die kardiovaskuläre, aber auch allgemeine Sicherheit von Saxagliptin angeht“. Der Befund der gehäuften Hospitalisierungen wegen Herzinsuffizienz könne auch Zufall sein, meinte er. In der EXAMINE-Studie mit Alogliptin hatte sich ein solches Signal nicht gefunden.
EXAMINE: Alogliptin nach einem kürzlichen akuten Koronarsyndrom
EXAMINE hatte Alogliptin (25 mg/Tag oder eine reduzierte Dosis, je nach Nierenfunktion) gegen Placebo mit dem gleichen primären kombinierten kardiovaskulären Endpunkt wie SAVOR-TIMI 53 getestet. Doch die Studienpopulationen unterschieden sich voneinander. Es handelte sich um 5.380 Typ-2-Diabetiker, die erst kürzlich (15 bis 90 Tage vor der Randomisierung) ein akutes Koronarereignis (ACS) erlitten hatten. Nach einem Follow-up von bis zu 40 Monaten – im Median 18 Monate – waren auch hier die Raten an kardiovaskulärem Tod, Herzinfarkt oder ischämischem Schlaganfall mit 11,3% unter Alogliptin vs. 11,8% unter Placebo nicht unterschiedlich (p<0,001 für Nicht-Unterlegenheit).
Auch in dieser Studie waren die HbA1c-Werte unter Alogliptin dabei im Schnitt moderat niedriger (um 0,36 Prozentpunkte). Hypoglykämien, Krebserkrankungen, Pankreatitiden und Dialysepflicht waren in beiden Gruppen nicht unterschiedlich, berichtete Studienpräsentator Dr. William B. White von der University of Connecticut in Farmington, USA.
Lieber intensive Risikofaktorenkontrolle als intensive Blutzuckersenkung
Es war kein negativer, aber auch kein positiver Einfluss des DPP-4-Hemmers auf Herz und Gefäße festzustellen. White verwies ebenfalls darauf, wie „beruhigend“ diese Daten seien, die zeigten, dass auch in einer solchen kardiovaskulären Risikopopulation mit erst kürzlich überstandenem ACS die Alogliptin-Therapie sicher sei.
In einem begleitenden Editorial zur Publikation der Studien im New England Journal of Medicine erinnern die Autoren Prof. William R. Hiatt (University of Colorado, Aurora, USA), Prof. Dr. Sanjay Kaul (Cedars-Sinai-Medical Center, Los Angeles, USA) und Prof. Dr. Robert J. Smith (Brown University, Providence, USA) an die Historie der FDA-Forderung nach Studien zur kardiovaskulären Sicherheit von Antidiabetika und die Diskussionen um ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko unter dem Insulinsensitizer Rosiglitazon [4]. Ihr Resümee nach den jetzt vorgestellten Studien: Wer das kardiovaskuläre Risiko von Typ-2-Diabetikern senken will, sollte mehr auf die intensive Kontrolle kardiovaskulärer Risikofaktoren setzen als auf eine intensive Blutzuckersenkung.