„Impfentscheidung kann nur bei den Eltern liegen“
Eine Impfung sei immer eine Körperverletzung und in dem speziellen Fall noch nicht einmal therapeutisch legitimiert, hält deshalb Rabe nachdrücklich fest: „Die Entscheidung darüber, ihr Kind zu impfen oder eben nicht zu impfen, kann deshalb nur bei den Eltern liegen“, ist der impfkritische Kinderarzt überzeugt. Und zum Thema „Herdenimmunität“ meint er: „Wir können das Risiko von Kindern, die keinen ausreichenden Nestschutz mehr haben oder aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden können, nicht sozialisieren.“
In Notsituationen – z.B. nach einem Ausbruch von Pocken oder wenn ein lebensbedrohliches Virus aufträte – sei eine Impfpflicht natürlich anders zu bewerten. „Die verstärkten Masernfälle der letzten Monate waren aber keine epidemiologische Notsituation“, meint Rabe. Er fordert, dass man Impfungen im Einzelnen betrachten sollte: „Ist eine Impfung gegen Windpocken oder gegen das Rotavirus wirklich notwendig?“ Auch die Wirksamkeit der Pertussis-Impfung sei fraglich: Trotz Impfung erkrankten in letzter Zeit immer mehr Erwachsene, weil die Immunität offensichtlich nicht so lange vorhalte und nicht so gut schütze wie anfangs gedacht.
„Gegenüber einer Impfpflicht habe ich Vorbehalte, wenngleich ich die Sorgen der Kinder-und Jugendärzte teile und nach Möglichkeiten suche, wie sich die unbefriedigende Situation verbessern lässt“, hält auch Dr. Jan Leidel, Vorsitzender der Ständigen Impfkommission am Robert Koch-Institut (STIKO), auf Nachfrage von Medscape Deutschland nachdrücklich fest.
Anderen Vorschlägen der DAKJ kann er deshalb auch mehr abgewinnen: Einheitliche Regelungen zur verbindlichen Überprüfung des Impfstatus beim Eintritt in den Kindergarten oder die Tagespflege, die Aufklärung der Eltern über Infektionskrankheiten und altersgemäßen Impfschutz gemäß § 34 Infektionsschutzgesetz durch die Kindertageseinrichtung hält Leidel für gut und wichtig. Bislang wird das aber kaum umgesetzt“, erklärt er.
Staatlicher Zwang soll vermieden werden
Leidel hält es allerdings auch für problematisch, nur Kinder in Kindertagesstätten, Schulen oder auch bei Tagesmüttern aufzunehmen, die vollständig geimpft sind. „Es gibt auch Kinder, die aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden dürfen und ich fürchte, impfkritische Ärzte wären als Folge der Impfpflicht dann großzügig im Ausstellen solcher Atteste.“ Außerdem dürfte es rechtlich für private Einrichtungen schwierig werden, Forderungen nach vollständiger Impfung durchzusetzen.
„Ich denke, dass dadurch alternative Kindergärten oder Waldorfschulen mehr Zulauf bekämen, oder aber dass manche Eltern ihr Kind dann gar nicht mehr in den Kindergarten schicken. Und das wäre für die Entwicklung des Kindes nicht gut.“ Die Sorgen der Kinder- und Jugendärzte teilt auch das Bundesgesundheitsministerium, bestätigt dessen Sprecher Oliver Ewald: „Wir sind aufgrund der hohen Zahl an Maserninfektionen besorgt. Eine Impfpflicht sollte aber nur als letztes Mittel in Erwägung gezogen werden, wenn weniger einschneidende Maßnahmen nicht greifen.“
Ewald schließt nicht aus, dass eine Impfpflicht die Fronten verhärten würde: „Deshalb setzen wir darauf, vorhandene Impflücken durch verstärkte Information und Aufklärung in Zusammenarbeit mit der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zu schließen“. Darüber hinaus prüfe das BMG Änderungen im Infektionsschutzgesetz.
Leidel sieht die Möglichkeiten, den Impfstatus ohne staatlichen Zwang zu heben als längst noch nicht ausgeschöpft an. Krankenkassen und Bundesländer sollten die nach § 20d SGB V geforderten Verträge schließen und umsetzen: „Der öffentliche Gesundheitsdienst sollte dann in den Schulen vorhandene Impflücken schließen. Von einzelnen engagierten Gesundheitsämtern wird das auch so gemacht, jedoch nicht flächendeckend.“