Bei Patienten mit einer schweren Colitis ulcerosa haben Therapeuten lediglich eine begrenzte und oft unzulängliche Wahl zwischen verschiedenen Therapieoptionen. Deshalb klingt die jüngste Nachricht über die Erfolge mit Vedolizumab, einem darmspezifischen, humanisierten, monoklonalen Antikörper, verheißungsvoll. Die Ergebnisse einer soeben im New England Journal of Medicine veröffentlichten Phase-3-Studie öffnen nämlich nun die Tür zu einer weiteren medikamentösen Behandlungsstrategie.
Das Biologikum Vedolizumab erwies sich zumindest in der randomisiert-kontrollierten Doppelblind-Studie des internationalen Forscherteams um Dr. Brian G. Feagan von der University of Western Ontario im kanadischen London als signifikant wirkungsvoller als Placebo und dies, ohne dabei die Infektionsrate zu erhöhen [1].
Das wäre kein zu vernachlässigender Pluspunkt, denn darin besteht die Hauptcrux immunsuppressiver Therapien. Während Glukokortikoide wegen ihres Nebenwirkungsspektrums oft nicht ausreichend lange angewendet werden können, haben Tumornekrosefaktor (TNF)-a-Blocker eben vor allem den Nachteil, dass sie das Infektionsrisiko beträchtlich erhöhen. Mitunter sprechen Patienten auch auf gar keine Behandlung adäquat an, dann bleibt als ultima ratio nur die chirurgische Entfernung des Kolons.

Prof. Dr. Eduard F. Stange, Chefarzt der Abteilung für Gastroenterologie, Hepatologie und Endokrinologie am Robert Bosch Krankenhaus in Stuttgart dämpft allerdings allzu hohe Erwartungen in das neue Medikament. Nur wenige Patienten würden letztlich davon profitieren.
„Die Immunabwehr reagiert bei Betroffenen vollkommen normal.“
Die Colitis ulcerosa gehört wie Morbus Crohn zur Gruppe der chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen. Die Deutsche Morbus Crohn/Colitis ulcerosa Vereinigung (DCCV) schätzt die Zahl der Betroffenen in Deutschland auf rund 168.000.
Klinisch äußert sich die Erkrankung hauptsächlich in rezidivierenden Diarrhoen, Darmblutungen und Koliken. Bei den meisten Patienten wechseln sich beschwerdefreie Phasen (Remission), die einige Jahre dauern können, mit akuten mehrmonatigen Schüben ab.
Lange Zeit galt die Lehrmeinung, dass die Entzündungen die Folge einer gesteigerten Aktivität des Immunsystems sind. „Die Immunabwehr reagiert bei den Betroffenen aber vollkommen normal“, erklärt Stange gegenüber Medscape Deutschland. Vielmehr sei die Barrierefunktion der Dickdarmschleimhaut gestört. „Die Schleimschicht zwischen Darmlumen und -schleimhaut ist bei den Patienten deutlich verschmälert.“
Diese Schicht sorgt normalerweise dafür, dass die im Darm gebildeten Antibiotika bzw. Defensine im Bereich der Schleimhaut ihre antimikrobielle Wirkung entfalten können. Ist das Volumen der schützenden Schicht reduziert, kommt es zur Bakterieninvasion ins Epithel – der Körper reagiert mit einer Entzündung.
Auf dem Weg zu einer kausalen Therapie
„Unser Ziel ist natürlich eine ursächliche Behandlung der Entzündung“, sagt Stange, Mitautor der aktuellen Diagnostik- und Behandlungsleitlinie für Colitis ulcerosa. Soweit sei man aber noch nicht. Er selbst forsche an der Entwicklung eines Antibiotikums, andere Gruppen konzentrierten sich auf die Untersuchung eines Lecithins, das die Schleimschicht festigen soll, oder testeten die gezielte Ansiedlung von Würmern im Darm, um dort die Schleimproduktion anzuregen.
Zu den zukünftigen Behandlungsoptionen gehört aber vermutlich auch die Anwendung des monoklonaren Antikörpers Vedolizumab. Dessen therapeutischer Effekt beruht auf seiner speziellen Wirkung gegen a4ß7-Integrin, einem Adhäsionsmolekül, das für die Einwanderung von Lymphozyten speziell ins Darmgewebe verantwortlich ist.
Vedolizumab beeinflusst dagegen nicht die Leukozytenmigration ins ZNS, wie Dr. Fabio Cominelli von der Case Western Reserve University in Cleveland im Editorial der Zeitschrift hervorhebt – anders als beispielsweise das Mittel Natalizumab, ein alleiniger Hemmer der a4-Untereinheit des Integrins [2]. Von Bedeutung ist das deshalb, weil die Einwanderung der Leukozyten ins ZNS als auslösender Faktor einer JC-Virus-Reaktivierung gilt und so letztlich eine progressive multifokale Leukenzephalopathie (PML) hervorrufen kann.
Bei den Studienteilnehmern hatten alle anderen Therapien bereits versagt
In ihrer Phase-3-Studie untersuchten Feagan und Kollegen nun die Wirksamkeit des neuen Antikörpers an insgesamt 895 Colitis ulcerosa-Patienten. Deren Krankheitsaktivität wurde zuvor mit dem Mayo Score beurteilt, der sich aus mehreren Parametern wie Stuhlfrequenz, rektale Blutung oder Endoskopie-Befund zusammensetzt. Aufgenommen in die Studie wurden nur Erkrankte mit einem Score zwischen 6 (mittlere Aktivität) und 12 (höchste Aktivität).
Außerdem mussten andere Therapieversuche mit Kortikosteroiden, immunsuppressiven Medikamenten oder TNF-a-Antikörpern bereits gescheitert sein.
Feagans Team setzte 2 Patienten-Kohorten zusammen: Kohorte 1 umfasste 374 Patienten, von denen 225 an Tag 1 und 15 je 300 mg Vedolizumab i.v. erhielten; 149 Patienten wurde ein Placebo injiziert. Weiteren 521 Patienten (Kohorte 2) wurde der monoklonale Antikörper unverblindet gespritzt.
Patienten aus beiden Kohorten, die nach 6 Wochen mindestens einen um 3 Punkte niedrigeren Mayo-Score aufwiesen, wurden erneut in 3 Gruppen aufgeteilt: Gruppe 1 erhielt über ein Jahr Vedolizumab alle 8 Wochen, Gruppe 2 alle 4 Wochen und Gruppe 3 wurde im vierwöchigen Abstand ein Placebo verabreicht.
Primäre Endpunkte waren das Ansprechen auf die sechswöchige Induktionstherapie (mind. minus 3 Punkte auf dem Mayo Score, weniger rektale Blutungen) und eine klinische Remission nach 52 Wochen (Mayo Score 2 oder weniger). Festgehalten wurden aber auch weitere Parameter wie das Ausmaß der Mukosaheilung sowie auftretende Nebenwirkungen.
Fast jeder zweite Patient sprach auf die Behandlung an
Schlussendlich hatte fast jeder zweite Patient der Kohorte 1 (47,1%) nach 6 Wochen auf die Antikörper-Behandlung angesprochen, von vergleichbaren Besserungen berichteten zu diesem Zeitpunkt nur 25,5% der Patienten, die das Placebo erhielten. Bei 40,9% der Vedolizumab-Patienten ließ sich zudem die Abheilung der Mukosa nachweisen, in der Placebogruppe nur bei 24,8% der Patienten.
In Kohorte 2 ergab sich ein vergleichbares Bild: 44,3% der Patienten sprachen klinisch auf die Therapie an, und bei 36,7% heilte die Mukosa bereits ab.
52 Wochen später befanden sich überdies 41,8% der Patienten, die das Antikörper-Präparat in einem achtwöchigen Abstand erhielten, und 44,8% der Patienten, denen das Medikament alle 4 Wochen gespritzt wurde, in einer Remmissionsphase. Bei den Colitis ulcerosa-Patienten, die nach der sechswöchigen Induktionstherapie das Placebo erhielten, waren nur 15,9% in einer Ruhephase.
Und: „Ernsthafte Infektionen kamen mit Vedolizumab nicht häufiger vor als unter Placebo“, schreiben die Autoren. „Kein Fall von PML trat auf.“
Nur jeder 5. Patient ist nach einem Jahr in Remission
Stange geht davon aus, dass Vedolizumab in absehbarer Zeit auf den Markt kommen wird. Die Zulassung für den europäischen Markt wurde bei der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) bereits beantragt [3]. Zu hohe Erwartungen an das Medikament hat Stange gleichwohl nicht. So hätten zwar 47% der Patienten auf die Therapie nach 6 Wochen angesprochen. Von denen war aber wiederum kaum die Hälfte nach einem Jahr in einer Remission. „Nur jeder 5. so behandelte Patient ist demnach nach einem Jahr in einer Ruhephase“, fasst Stange es zusammen.
Und vielleicht ist selbst das noch zu optimistisch. So tritt im Studiendesign eine „selection bias“ auf. Stange: „Weiterbehandelt wurden nach 6 Wochen ja nur Patienten, die auf die Behandlung ansprachen. Auf diese Weise wurde das Ergebnis geschönt.“ Hinzu kommt, dass die Patienten weiterhin nach Bedarf Glukokortikoide erhielten. „Was hier untersucht wurde, ist also eigentlich eine Kombinationstherapie aus Immunsuppression und Kortison“.
Problematisch findet Stange auch, dass die durchschnittliche Erkrankungsschwere bei den Patienten zu Beginn der Studie eher im mittleren Bereich lag. „Das Präparat soll uns schließlich eine Behandlungsoption bei den besonders schweren Fällen geben, die wurden hier aber kaum untersucht.“
Der Beleg für das Ansprechen der Therapie – ein um 3 Punkte niedriger Mayo Score nach 6 Wochen – kann den Stuttgarter Gastroenterologen schließlich auch nicht recht überzeugen: „Drei Punkte weniger heißt ja nicht, dass es den Patienten dann schon gut geht.“ Trotzdem: Stange würde das Präparat unter bestimmten Umständen einsetzen. Er sagt: „Für Patienten, bei denen alle anderen Medikamente versagt haben, ist das immer noch besser, als gar keine Option mehr zu haben.“
Die Skepsis gegenüber allzu hochfahrenden Erwartungen in Bezug auf neue Therapieansätze für chronisch entzündliche Darmerkrankungen wird auch durch die parallel veröffentlichte Studie zur Induktions- und Erhaltungstherapie mittels Vedolizumab bei Morbus Crohn bestätigt [4]. Hier zeigte der neue Antikörper lediglich eine „bescheidene“ Wirkung, wie es in der Publikation hieß. Zudem traten bei dieser Studie mehr Nebenwirkungen auf – auch mehr Infektionen und mehr schwerwiegende Infektionen.