Hamburg – Wie funktioniert Melanom-Nachsorge in Deutschland? Entspricht das Qualitätsmanagement den Leitlinien-Empfehlungen? „Jein“ möchte meinen, wer die ersten Ergebnisse einer prospektiven Follow-up-Studie auf sich wirken lässt, die derzeit an 7 großen deutschen Zentren (Essen-Duisburg, Tübingen, Gießen, Kassel, Berlin, Dortmund, Kiel) unter Leitung von Prof. Dr. Dirk Schadendorf, Chef der Dermatologischen Klinik des Universitätsklinikums Essen-Duisburg in Essen, durchgeführt wird.
Auf dem 8th World Congress of Melanoma stellte die Erstautorin, Dr. Elisabeth Livingstone aus dem Team von Schadendorf, die Datenauswertung von 1.006 Melanompatienten aller Tumorstadien (0-IV) vor [1]. Insgesamt waren 1.263 Männer und Frauen (Männer: 51%; Frauen: 49%; durchschnittliches Alter: 59) im 2. Quartal des Jahres 2008 in den Datenbanken von 114 Zentren (933 Patienten) und Praxen (330) registriert worden. Die Interimsanalyse erfasst die Situation 2 Jahre nach Erstdiagnose. Eine weitere Auswertung erfolgt 4 Jahre danach.
Dokumentiert wurden die mittlere Tumordicke (1,59 mm nach Breslow), die Lokalisation des Melanoms (distale/proximale Extremität, Kopf-Hals-Region, weitere nicht klassifizierte Bereiche), die 4 klassischen histologischen Subtypen SSM (superfiziell spreitendes Melanom), NM (noduläres Melanom), LMM (Lentigo-maligna-Melanom) und ALM (akrolentiginöses Melanom) sowie weitere nicht näher klassifizierte Melanome.
Defizite: Selten adjuvante Therapie, selten systemische Therapie
Insgesamt nahmen 948 (94.2%) der Patienten die regulären Untersuchungsintervalle innerhalb von 687 Tagen wahr. Eine strukturierte Nachsorge ist besonders für Melanompatienten extrem wichtig, da postoperativ 80 bis 90% der Rezidive innerhalb der ersten 3-5 Jahre auftreten. „Umfang und Frequenz ist, ähnlich wie beim therapeutischen Vorgehen, stadien- und risikoadaptiert“, erläuterte Livingstone.
Bei 81 Patienten wurde eine Tumorprogression verzeichnet, besonders in den Stadien IIa-IIb (10/13 Patienten) und IIIb-IIIc (13/10 Patienten). Weniger als die Hälfte der TIII-Patienten mit hohem Metastasierungsrisiko (33,7%) erhielt eine adjuvante Therapie mit Interferon-alpha (IFNa) – der einzigen Option in der Nachsorge, die zudem seit Jahren kontrovers diskutiert und nur nach sehr sorgfältiger Risiko-Nutzen-Abwägung für Patienten oberhalb des Stadiums IIa empfohlen wird.
„Dass die Risikopatienten nur selten eine adjuvante Therapie erhielten, wurde häufig mit dem Alter und mit Komorbiditäten begründet“, erklärte Livingstone.
Selbst direkt nach initialer Diagnose erhielten von 95 TIII-Patienten weniger als die Hälfte (n=44) eine systemische Therapie bzw. Chemotherapie. Bei 32 fand eine Progression in ein höheres Tumorstadium statt. Insgesamt starben 43 Patienten, 30 von ihnen Melanom-bedingt.
Lymphknotenstaging „unnötig häufig“
Ausnahmen bildeten die Stadien T0 und TI. Von 679 Patienten wurden bei nur 6 Patienten erhöhte Rezidivraten festgestellt. „Das entspricht der Darstellung in der deutschen Leitlinie“, kommentierte Livingstone. Als nicht leitlinienkonform bezeichnete sie dagegen gerade bei diesem Kollektiv eine hohe Zahl an diagnostischen Untersuchungen. „Außerdem wurde unnötig häufig ein Lymphknotenstaging durchgeführt.“
Ob eine gezielte Metastasendiagnostik mittels Wächterlymphknoten- bzw. Sentinel-Lymphknoten-Biopsie (WLKB/SLNB) sinnvoll eingesetzt werden kann, um die Letalität, Morbidität und Lebensqualität betroffener Patienten zu verbessern, wird in der neuen S3-Leitlinie „Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Melanoms“ im Kapitel 3.6.3. „Nachsorgeschema“ intensiv abgehandelt [2]. Zumal der Nachweis von Mikrometastasen im Wächterlymphknoten mit einer signifikant schlechteren Prognose assoziiert ist und postoperativ gerade in den ersten Jahren ein erhöhter Anteil an Zweitmelanomen diagnostiziert wird.
Diese Überlegungen betreffen indes nicht die Stadien 0-Ia. „Stadium Ia weist durch die Hinzuziehung von Ulzeration des Primarius sowie der Mitoserate nunmehr eine 10-Jahres-Überlebensrate von über 95% auf“, schreibt Leitlinien-Autor Prof. Dr. Michael Weichenthal, Universitäts-Hautklinik Kiel. „Bezogen auf die jährlichen Hazard-Raten im Verlauf lässt sich auch keine signifikante Dynamik erkennen, sodass diese Patienten keiner intensivierten Nachsorge bedürfen.“ Die Untersuchungsintervalle sollen der Ganzkörperinspektion, des psychosozialen und sonstigen Informationsbedarfs dienen – und der intensiven Anleitung zur Selbstuntersuchung.
Ganzkörperinspektion entdeckt Rezidive und Zweitmelanome am besten
Die meisten Rezidive und Zweitmelanome werden bei der körperlichen Untersuchung gefunden und selbst entdeckt, heißt es zudem in der Leitlinie. Deshalb sollte die jährliche Früherkennungsuntersuchung auf Zweitmelanome lebenslang durchgeführt werden und nach Beendigung der geregelten Tumornachsorge durch Fachärzte im Rahmen der Prävention übernommen werden.
Im Nachsorgeschema ist eine tumorspezifische Diagnostik erst ab Stadium Ib vorgesehen, da es mit 85 bis 88% 10-Jahres-Überleben eine höhere Rezidivrate aufweist, die eine tumorspezifische Nachsorge sinnvoll macht. Dazu gehört dann auch der lokoregionäre Lympknoten-Ultraschall nach korrektem pathologischem Staging mittels WLKB.
Insgesamt, so kommentierte Dr. Alexander Stratigos, Andreas Sygros Hospital, Athen, und Chair der Sitzung, könnte man die Zwischenanalyse deshalb dahingehend interpretieren, dass es bei den Patienten mit Stadien 0-Ia einen Trend zur „Überindividualisierung“ gebe, und für TIII-Patienten einen hohen Bedarf an neuen adjuvanten Therapien mit akzeptablerem Nebenwirkungsprofil. Der Dermatologe sprach der Studienautorin Livingstone aus der Seele.
Nachsorge laut Leitlinie
Laut neuer S3-Leitlinie „Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Melanoms“ der Deutschen Krebsgesellschaft, Deutschen Krebshilfe und Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. gilt: Eine anfänglich intensivierte Nachsorge findet alle 3 Monate statt. Die einzelnen Untersuchungen können abhängig vom Risiko mit unterschiedlichen diagnostischen Methoden durchgeführt, und die Intervalle bei sich verringerndem Risiko auf 6 bis 12 Monate verlängert werden [2].
10 Jahre gelten als Zeitlimit für die Tumorstadien I-III, „da nur etwa 5 Prozent aller Rezidive nach zehn Jahren auftreten und sich das Rezidivrisiko unabhängig von den Risikofaktoren des Primärtumors in diesen Stadien nach einem Zeitraum von acht bis zehn Jahren angleicht, … wobei die Häufigkeit der Kontrolluntersuchungen im Verlauf reduziert werden kann“, schreibt PD Dr. Ulrike Leiter, Universitätshautklinikum Tübingen, als Leiterin der AG Nachsorge im ersten Update der Leitlinie vom Februar 2013.
Während der Zeit der Nachsorge werden evidenzbasiert unterschiedliche Untersuchungen empfohlen, die das Ziel haben,
- die Tumorfreiheit bzw. Früherkennung einer Progression festzustellen- das Pigmentsystem zur Früherkennung von Melanomvorläufern und Zweitmelanomen zu überwachen
- die Patienten psychosozial zu begleiten, zu betreuen und sie zur intensiven Selbstuntersuchung anzuleiten und zu motivieren
- Krankheitsverläufe zu dokumentieren - ggf. eine adjuvante Therapie mit Interferon-alpha durchzuführen.
Wer soll die Nachsorge vornehmen? Das ist – in Übereinstimmung mit den internationalen Guidelines – derzeit nicht genau definiert. In Deutschland erfolgen sie sowohl im dermato-onkologischen Ambulanzbereich der Kliniken als auch bei niedergelassen Ärzten.
In den Stadien I-III hat sich die körperliche Untersuchung als das effektivste Verfahren zur Früherkennung von Rezidiven und Zweitmelanomen herausgestellt, heißt es. Darüber hinaus erscheint es sinnvoll, die Patienten intensiv zur Selbstuntersuchung anzuleiten und zu motivieren, dies lebenslang über den Nachsorgezeitraum hinaus selbst durchzuführen.